Wahlk(r)ampf in Maastricht, Krise in Tiflis – und 20 Jahre EU-Erweiterung
Die Watchlist EUropa vom 04. Mai 2024 – heute mit der Wochenchronik.
Stell dir vor, es ist Wahlkampf, und keiner schaut hin. Genau das ist diese Woche in Maastricht passiert. Auf Einladung des Springer-Portals „Politico“ haben sich die Spitzenkandidaten für die Europawahl den Fragen handverlesener Journalisten gestellt – doch nur ein paar Tausend EU-Insider haben zugeschaut.
Die „Brussels Bubble“ – die Brüsseler Blase aus EU-Politikern, Beamten, Diplomaten und Journalisten – war unter sich. Dabei sollte die Debatte sechs Wochen vor der Wahl mehr Öffentlichkeit für die spröden EU-Themen schaffen und zeigen, wie lebendig die europäische Demokratie ist. Das ist gründlich daneben gegangen.
Gezeigt wurde eigentlich nur, wie blasiert die Blase ist. Fragen und Antworten waren so absehbar, als wären sie direkt dem „Wahl-O-Mat“ entnommen. Die traurige Rolle des einstigen Friedensnobelpreisträgers EU im Ukraine-Krieg wurde ebenso wenig hinterfragt wie der beschämende Rechtsruck in der Asyl- und Flüchtlingspolitik.
Spannend wurde es nur ein einziges Mal – als der grüne Spitzenkandidat Bas Eickhout die christdemokratische Fake-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen (sie bewirbt sich nicht um einen Parlamentssitz und steht auf keinem Wahlzettel) nach ihrer Haltung zu den Rechtspopulisten und Rechtskonservativen von der EKR fragte.
“Es hängt sehr stark davon ab, wie sich das Parlament zusammensetzt und wer in welcher Fraktion sitzt”, antwortete die immer noch amtierende (und aktive) Kommissionspräsidentin, die für diesen Abend das schillernde Kostüm der Wahlkämpferin übergestreift hatte.
Eine klare Antwort war das nicht, eine Absage auch nicht: Von der Leyen hält sich alle Optionen offen…
Weiterlesen im “Makroskop”. Siehe auch Angst-Kampagne zur Europawahl, Sanchez bleibt – und VDL blinkt rechts
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Was war noch? Fünf Monate nach der Verleihung des Kandidatenstatus’ für den EU-Beitritt rutscht Georgien in die Krise. Weil die Regierung in Tiflis ein Gesetz zur Erfassung von ausländischen NGO’s (“Foreign Agents”) durchbringen will, geht die Opposition auf die Barrikaden.
Auch die EU macht Front gegen das “russische Gesetz” – dabei gibt es längst ähnliche Regulierungen in den USA, auch das Europaparlament hat entsprechende Pläne. In Wahrheit geht es um einen Machtkampf zwischen dem Westen und der demokratisch gewählten Regierung.
Kritiker sprechen von dem Versuch, einen zweiten “Euro-Maidan” nach dem Vorbild der Ukraine zu inszenieren; Regierungschef Kobachidse wirft den USA sogar öffentlich einen Putschversuch vor!
Außerdem feiert die EU das 20jährige Jubiläum der (Ost-)Erweiterung. Der “Big Bang” soll zur Begründung einer neuen Beitrittswelle dienen – dabei ist die Aufnahme der Ukraine, Georgiens und der Westbalkan-Länder nach heutigem Stand eine “Mission impossible”…
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Arthur Dent
5. Mai 2024 @ 16:06
Wenn jemand den bekanntermaßen nur schwach demokratisch legitimierten EU-Institutionen und den Beschlüssen aus Brüssel kritisch gegenübersteht und glaubt, Deutschland sollte hier manchesmal seinen eigenen Weg gehen – ja, dann ist das doch Nationalismus. Das genügt, um jemanden als Rechtspopulisten einzustufen. Noch schlimmer, wenn jemand mehr direkte Demokratie fordert. So breitet sich der Rechtsextremismus immer mehr bis in die Mitte der Gesellschaft aus und nach Ansicht der politischen Eliten muss „unsere Demokratie“ davor umso mehr geschützt werden.
umbhaki
4. Mai 2024 @ 21:22
Die Frage an von der Leyen, wie sie es mit Rechtspopulisten und Rechtskonservativen halte, ist doch müßig.
Die Gute hat sich doch längst mit Giorgia Meloni angefreundet und ist wohl auch auf deren Unterstützung angewiesen hinsichtlich ihrer zweiten Amtszeit. Der Guardian hat dazu einen interessanten Artikel veröffentlicht: https://www.theguardian.com/commentisfree/2024/may/04/giorgia-meloni-ursula-von-der-leyen-double-act-steering-eu-rightwards
Der Artikel hat einen schönen Schlusssatz: „Ursula and Giorgia: it has a familiar ring. Like Thelma and Louise, driving off a cliff.“
Die berühmte „Brandmauer“ zwischen den „Konservativen“ und den ganz rechten existiert doch nur, solange die Konservativen um ihre Pfründe fürchten, die ihnen von den noch Rechteren streitig gemacht werden. Sachlich gesehen stammen die aus dem selben Stall. Und Typen wie Leyen haben mit Rechtsaußen ohnehin nicht das geringste Problem, da ist sie auch bei weitem nicht die einzige.
Jan Jenzen
4. Mai 2024 @ 20:14
“Die traurige Rolle des einstigen Friedensnobelpreisträgers EU im Ukraine-Krieg wurde ebenso wenig hinterfragt wie der beschämende Rechtsruck in der Asyl- und Flüchtlingspolitik”
Ich kriege es nicht zusammen wie man beides ablehnen kann.
Entweder Du bist dafür dass die EU und Deutschland im besonderen kein Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl hat und seine eigenen Bürger präferiert schützt und präferiert deren “Nutzen mehrt” oder Du bist d’accord damit ebo, dass man mit uns weiterhin Schlitten fährt, alle Anderen wichtiger sind und wir weiterhin zugrunde gehen, als was ich die bisherige Ukrainepolitik und eine weitere Einwanderung nach Deutschland (oder in die EU, was ja bei offenen Grenzen dem gleich kommt) ansehe.
Gerade wenn Du auch der Ansicht bist, dass die 04er Erweiterung ein Fehler war (wie ich es damals schon meinte, weil schlicht nicht ersichtlich wie das gut sein soll wenn Einheit/Aufbau Ost nichtmals fertig), die Ukraineaufnahme die EU überfordern würde wie du ja des öfteren schriebst, die Lektion die man damals schon sehen musste dass man eine Union unter Gleichen macht aber nicht diese Erweiterung die uns letztlich den Verlust Großbritanniens aus der EU bescherte aufgrund der Freizügigkeit der Polen etc..
Vielleicht siehst Du, wenn auch die Medienbubble hierzulande es verweigert, den Zusammenhang zwischen dem Brexit, der dort dann fehlenden Arbeitsplätze da die Meisten Osteuropäer ersetzt werden mussten und eben in den letzten 20 Jahren mit Unsicherheit und Konkurrenzdruck bei den Unter/Mittelschichtsbritten sicherlich so manche Entscheidung gegen Nachwuchs fiel der diese nun hätte ausfüllen können und dem Fakt das Tusk durch die Rückkehr dieser Polen in ihre Heimat letztlich die PiS genau deswegen ablösen konnte weil sie eben mehrheitlich dann ihre liberaleren,jüngeren Ansichten wieder mit in die Heimat brachten, ganz zu Schweigen von ihrem Aktivismus in Bewegungen, auf Protesten.
Es muss schlicht irgendwann mal gut sein und wiedergutgemacht werden, was das neoliberale race to the bottom belastet oder sogar komplett zerstört hat in der Demographie, Infrastruktur, Wirtschaft, Demokratie und Leben all derer die nicht davon profitierten.