Von der Leyen, die Wunderwaffe?

Die Europawahl sollte einen großen Sprung nach vorn für die Demokratie bringen – und entpuppte sich als großer Schwindel. Wie konnte es dazu kommen? – Teil 8 der Sommer-Serie: Von der Leyen, die Wunderwaffe?

Was soll man von einer Politikerin halten, die sowohl von Emmanuel Macron als auch von Viktor Orban umgarnt wird? Was von einer Frau, die mit den Stimmen der PiS in Polen, der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien und der Labour-Party in UK an die Macht gekommen ist – ohne über eine eigene Mehrheit zu verfügen?

Willkommen bei Ursula von der Leyen, der nächsten Präsidentin der EU-Kommission. Dass sie am 1. November die Nachfolge von Jean-Claude Juncker antritt, ist für von der Leyen die Rückkehr in ihre Heimat (sie ist in Brüssel geboren) – und für die meisten Europäer ein befremdlicher Vorgang.

Denn bei der Europawahl ist sie nicht angetreten. Als die konservative EVP, auf deren Ticket sie läuft, ihren Spitzenkandidaten suchte, hat sie nicht ‚mal den kleinen Finger gerührt. Dabei hätte sie damals, im Herbst 2018, locker den CSU-Politiker Manfred Weber ausstechen können.

Was also soll man von dieser Frau halten? Soll man ihr mit Skepsis begegnen – wie die Mehrheit der Deutschen, die laut Deutschlandtrend nicht daran glauben, dass VdL eine gute Kommissionschefin wird? Oder sollte man sie nicht unterschätzen, wie ein Ex-Sprecher der EU-Behörde empfiehlt?

Ist die ehemalige Verteidigungsministerin gar eine Wunderwaffe, die die EU aus der Krise holen kann? Das scheinen vor allem Macron und Merkel zu hoffen. Für Macron soll VdL die „strategische Autonomie“ der EU von den USA bringen – was Aufrüstung und Militarisierung bedeutet.

Merkel hingegen sieht in VdL den „Aufbruch“, den sie selbst verschlafen hat. Ihre enge Vertraute soll in Brüssel dafür sorgen, dass alles bleibt, wie es ist – aber so aussieht, als bewege sich EUropa in die richtige Richtung. Ganz nebenbei soll sie deutsche Interessen vertreten und durchsetzen.

Doch Wunder wird von der Leyen nicht wirken.

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Die erste Kommissionschefin wird noch mehr vom Rat abhängig sein als Juncker. Macron, Orban, Merkel und andere werden einen Preis für ihre Unterstützung fordern. Auch im Showdown um den Brexit ist sie auf den Rat angewiesen, die Würfel fallen kurz vor ihrem Amtsantritt.

Wird sie sich von Merkel lösen?

Die CDU-Politikerin muss sich aber freischwimmen, wenn sie reüssieren will. Sie wird sich vor allem von Merkel lösen müssen, um dem Vorwurf zu entgehen, das „deutsche Europa“ habe gesiegt. Generell muß sie sich vom Rat distanzieren, um nicht als Handlangerin dazustehen.

Ob ihr das gelingt, wird sich an zwei Tests zeigen. Der erste ist die Bildung einer selbstbewussten Kommission mit Geschlechterparität. Der zweite ist der Streit um das künftige EU-Budget. VdL braucht mehr Geld, als der deutsche Sparkommissars Günther Oettinger eingeplant hat – sonst wird sie ihre Versprechen nicht umsetzen können.

Doch das sind nur die ersten, institutionellen Kraftproben. Fundamental geht es um ganz andere Fragen: die Abwendung der drohenden Rezession, den versprochenen „grünen Deal“ – und die Selbstbehauptung der EU in der neuen multipolaren Welt, in der die USA vom Freund zum Feind zu werden drohen.

Das sind harte Brocken für eine skandalumwitterte Transatlantikerin, die wenig von Wirtschaft versteht…

FAZIT: Die neue Kommissionschefin wird es schwer haben. Ihr haftet der Makel des Hinterzimmer-Deals im Rat an, sie hat keine Mehrheit im Parlament, und sie wird von Affären belastet. Zudem soll sie hohe und widersprüchliche Erwartungen erfüllen. Da sind Enttäuschungen programmiert – die Krise geht weiter.

Siehe auch „Der falsche Weg, die falsche Frau“ und „Von der Leyen hat zu viel versprochen“