Update Slowakei: Alles nur “Desinformation”?
Die Präsidentschaftswahl in der Slowakei treibt die EU weiter um. Der neue Präsident Pellegrini sei “russlandfreundlich”, seine Wahl verdanke er “Desinformation”, heißt es in Brüssel. Wirklich?
Es gibt auch andere Stimmen. Pellegrini sei einfach der populärste Politiker der Slowakei, heißt es im Blog der renommierten London School of Economics. Er habe seine Wähler gut mobilisieren können.
Dabei sei es ihm zugute gekommen, dass er sich als “Friedens-Präsident” präsentierte und Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnte. Es gab jedoch noch einen anderen, bemerkenswerten Grund.
Die Drohung des französischen Präsidenten Macron, eigene Truppen in die Ukraine zu schicken, habe viele Wähler in der Slowakei aufgeschreckt. Macron habe die Furcht genährt, das Land könne in den Krieg gezogen werden!
Moreover, leaping on Emmanuel Macron’s mention of the possibility of western military deployments and Korčok’s strong commitment to defend Ukraine, Fico and his allies evoked the fear that Slovakia would be sucked into a military conflict. Even though the presidency does not have the power to deploy troops, social media, in particular, was awash with emotive messages encouraging voters to turn out to ensure that Slovak sons and grandsons would not be sent to die in the war.
Why Peter Pellegrini won the Slovak presidential election
Das hat mit russischer “Desinformation” nichts, mit französischer Kriegsrhetorik jedoch sehr viel zu tun. Wenn diese Analyse stimmt, dann ist nicht Putin am Sieg Pellegrinis “schuld”, sondern Macron!
Ähnlich argumentiert auch der Slowakei-Korrespondent Christoph Thanei, der für “International” arbeitet. Thanei zeichnet ein durchaus differenziertes Bild, wobei er auch mit Kritik an der Politik der slowakischen Regierung nicht spart.
Es ist seiner Meinung nach übertrieben, diese schlichtweg als russlandfreundlich zu bezeichnen. Man hat den russischen Angriff auf die Ukraine sehr wohl verurteilt, unterstützt auch nach wie vor die ukrainische Armee.
Viele Slowaken meinen aber, dass man diesen Krieg möglichst rasch beenden sollte und in einer Nachkriegsordnung sehr wohl auch russische Sicherheitsinteressen berücksichtigen müsse…
Ein Video mit Thaneis Analyse steht hier (YouTube). Siehe auch Schwarz-Weiß-Malerei nach Wahl in der Slowakei
Arthur Dent
10. April 2024 @ 11:57
Na sicher, das europäische „Stimmvieh“ ist halt zu blöde, sich eine eigenständige politische Meinung zu bilden – wer Geert Wilders, Le Pen oder AfD wählt, der ist schon auf die russische Desinformation (Putin, der Allmächtige?) hereingefallen. Gleiches gilt für Amerikaner, die ihr Kreuzchen bei Trump machen.
Wähler mögen ja auf vieles hereinfallen, aber diese Erklärung ist schon arg dünn.
Chamberlain war ein durchaus rationaler Mann, er wollte Land gegen Sicherheit eintauschen und es war ja nicht sein Land, das er eintauschen wollte. Was damals nicht geklappt hat, funktioniert bislang aber zwischen Israel und Ägypten ganz gut. Appeasement hat den Briten aber damals Zeit verschafft, genügend Spitfires auf die Piste zu bringen (hat ein bisschen was von Minsk II). Im Gegensatz zu Appeasement ist Abschreckung eine öffentliche Kriegsvorbereitung, wo man sehr schnell in sehr kostspielige Rüstungsspiralen reingerät.
Die Teilung Deutschlands im Kalten Krieg war ein probates Mittel, diesen kalt zu halten. Er wäre schnell heiß geworden, wenn eine Seite Anspruch auf beide Teile erhoben hätte. So wird der Krieg in der Ukraine erst enden, wenn beide Seiten (Der Westen und Russland) das bekommen, worauf sie glauben nicht verzichten zu können (Henry Kissinger). Die Ukraine wird Russland nicht mehr gänzlich von ihrem Gebiet vertreiben können, Russland aber wird nie sicher sein. Die Ukraine wird ohne Krim und Donbass in die Nato aufgenommen, und Russland wird entsprechende Sicherheitsgarantien bekommen. Oder es kommt zu einer direkten Konfrontation zwischen Russland und der Nato.
Michael Conrad
10. April 2024 @ 10:30
Ohne die Einbeziehung russischer Sicherheitsinteressen und auch ökonomischer Interessen wird es keine tragfähige Lösung für die Ukraine geben, sondern nur einen immer weiter gehenden Konflikt und Krieg, der dann nicht Russland sondern die Ukraine langfristig zerstören würde und der das Potential hat in einen sehr viel größeren Krieg hinein zu eskalieren. Europa kann nicht das geringste Interesse an einer solchen Entwicklung haben.
Wenn EU und NATO rechtzeitig versucht hätten gegenüber Russland eine win win und keine win loose Politik zu betreiben, wäre die jetzige Situation zu vermeiden gewesen.
Gerhard Schröder hätte das hinbekommen.
Kleopatra
10. April 2024 @ 08:15
Leider benehmen sich die Russen als Besatzer und Eroberer so, dass man niemandem zumuten kann, für angebliche „russische Sicherheitsinteressen“ geopfert zu werden. Und darauf würde die Einstellung der Waffenlieferungen an die Ukraine hinauslaufen. Wenn also Pellegrini sich diese Forderung zu eigen macht, vertritt er de facto russische Interessen.
„Peace for our time“ ((c) Neville Chamberlain 1938, bei seiner Rückkehr aus München) dürfte auch mit Putin nur wenige Monate halten. Nebenbei bemerkt: das Münchner Abkommen von Herbst 1938 wird mancherorts mit dem Argument verteidigt, es habe Großbritannien wertvolle Zeit zur Aufrüstung seiner Luftwaffe erkauft – mutatis mutandis dasselbe Argument, das Merkel heute zugunsten der Schandverträge von Minsk anführt. Ich tendiere dazu, beides für nachträgliche Rationalisierungen zu halten.
ebo
10. April 2024 @ 10:46
Haben Sie die Analyse von Truchatschow in der Iswestija gelesen? Aus russischer Sicht ist das Wahlergebnis kein Erfolg. Pellegrini ist übrigens ein klassischer Sozialdemokrat, mit Chamberlain ist er nicht zu vergleichen. Er hat ja auch keinen Vertrag mit wem auch immer ausgehandelt 🙂
KK
10. April 2024 @ 13:18
@ Kleopatra:
“Leider benehmen sich die Russen als Besatzer und Eroberer so, dass man niemandem zumuten kann, für angebliche „russische Sicherheitsinteressen“ geopfert zu werden.”
Ja, die Russen haben zB schon angefangen, Mariupol wieder aufzubauen.
Während hierzulande alles marode ist und immer weiter vergammelt und zerbröselt – und hier braucht es dazu noch nicht mal einen Krieg auf eigenem Boden. Es reicht, dass man sich nicht um einen diplomatischen Konsenz zur Beendigung des Krieges in der Ukraine bemüht, sondern stetig weiter eskaliert und alles Geld in die korrupte* Ukraine pumpt.
* von Ihnen gelernter Adjektivismus
Thomas Damrau
10. April 2024 @ 08:14
Unsere PolitikerInnen und unsere Medien trauen den BürgerInnen nicht zu, sich selbst eine Meinung zu bilden. Deshalb müssen die BürgerInnen zur Wahrheit geführt werden. Außerdem muss die erwünschte Wahrheit binär sein, um die BürgerInnen nicht zu überfordern: Schwarz/Weiß, Putin-Freund/Putin-Feind, geschichtsbewusster Deutscher/Antisemit, Anhänger der Radikalen Mitte ( https://redfirefrog.wordpress.com/2024/03/02/das-glaubensbekenntnis-der-radikalen-mitte/ ) / Populist, Demokrat/Autokrat, regelbasiert/willkürlich, Wirtschaftswachstum/Verelendung, absolute Wahrheit/Desinformation, wissenschaftliche Erkenntnis/Verschwörungsglaube, …
In einer Welt, die vor extrem komplexen Problemen steht, ist eine solch simple Weltbeschreibung Gift für die Lösungsfindung. Denn die Suche nach den nötigen Lösungen erfordert ein sorgfältiges Abwägung der Vor- und Nachteile und keinen Kinderglauben an die eine perfekte Antwort.
european
10. April 2024 @ 10:31
@Thomas Damrau
Ich stimme Ihnen zu. Aktuell hat man, so zumindest mein Eindruck, Totschlagargumente aller Couleur fuer sich entdeckt, um die Massen vor sich herzutreiben und in Dauerstress zu halten. Bankenrettung, Covid, der boese Russe, Klima und was sonst noch so kommt. Angefangen hat es mit dem Begriff der “Alternativlosigkeit”.
Und immer wieder ist es dieselbe kleine Elite, die davon profitiert.
Fragen ueber Fragen….