Stunde Null für die Corona-Präsidentin

Kanzlerin Merkel muß beim deutschen Ratsvorsitz improvisieren, die EU-Kommission will Schulden machen – und die Lufthansa-Rettung fliegt noch nicht: Die Watchlist EUropa vom 27. Mai 2020.

Alles war von langer Hand vorbereitet. Um den Kampf gegen den Klimawandel, die China-Politik und den Brexit sollte es gehen, wenn Deutschland am 1. Juli für sechs Monate den EU-Vorsitz übernimmt. Schon seit einem Jahr bereitet sich die Bundesregierung auf „ihre“ Präsidentschaft vor, hundert Experten wurden eigens nach Brüssel geschickt.

Doch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Pläne am Mittwoch dem Europaparlament vorstellt, muß sie wieder bei Null anfangen.

Die Coronakrise hat ihre Pläne durchkreuzt, Merkel muß nun eine „Corona-Präsidentschaft“ improvisieren. Die Gesundheitskrise schlägt den „Green Deal“, der Wiederaufbau wird wichtiger als der Brexit.

Und dann ist da auch noch das liebe Geld und die ungewohnte neue Rolle, die Deutschland in der Finanzpolitik einnimmt. Noch vor wenigen Wochen zählte Merkel zu den Hardlinern.

Keine Gemeinschafts-Schulden, keine Transferunion, und schon gar kein Geld ohne strikte deutsche Kontrolle: So lautete ihr finanzpolitisches Mantra.

Doch nun steht Merkel überraschend für das Gegenteil ein: Gemeinsam mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron fordert sie 500 Milliarden Euro als Wiederaufbau-Hilfe, finanziert durch EU-Anleihen.

Arm in Arm mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen will sie einen Aufschwung auf Pump finanzieren, rückzahlbar in 20 oder 30 Jahren.

Bei den meisten EU-Abgeordneten dürfte das gut ankommen. Schließlich fordert auch das Europaparlament einen schuldenfinanzierten „Recovery Fund“.

Sogar der CSU-Politiker Manfred Weber hat sich hinter Merkel gestellt. Einzige Bedingung: Kein „neues Geld für alte Probleme“ – und keine Hilfe für die „kommunistische Podemos in Spanien“.

„Die Regierung ist schlecht vorbereitet“

Doch ein Heimspiel dürfte das Treffen mit den EU-Parlamentsspitzen im Berliner Kanzleramt dennoch nicht werden.

„Die Bundesregierung ist schlecht vorbereitet“, kritisiert Martin Schirdewan, der die linke Fraktion im Europaparlament leitet. Schon vor Corona sei keine klare Linie erkennbar gewesen. Nun gehe alles durcheinander.

Der europaweite Mindestlohn drohe ebenso untergehen wie der Neuanfang in der Asylpolitik, kritisiert Schirdewan. Statt einen europäischen Gesundheitsfonds zu planen, wolle Merkel den neuen Verteidigungsfonds um 650 Prozent aufstocken.

„Es geht nicht nur ums deutsche Image“

Zudem bleibe die „entscheidende Frage der solidarischen Bewältigung der Krise unbeantwortet.“

Auch Sozialdemokraten und Grüne haben noch Fragen. So bemängelt die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, dass die Bundesregierung ihre Pläne „erst kurz vor knapp“ im Juli im Plenum vorstellen und diskutieren werde.

Der EU-Vorsitz sei „nicht nur eine Image-Veranstaltung der Bundesregierung“, warnt Brantner. Das hat sie Recht. Im Kern geht es um die Frage, ob Deutschland die EU wieder flott machen kann – und dabei sollten die Parlamente eine zentrale Rolle spielen…

Siehe auch „Jetzt wird es ernst – auch für Merkel“ und „Die neue deutsche Frage (2)

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Watchlist

Wie viel Schulden will Frau von der Leyen aufnehmen? Dies ist die spannendste Frage, wenn die deutsche Kommissionspräsidentin am Mittwoch ihren Vorschlag für das künftige EU-Budget und den Wiederaufbau vorstellt. Viele Details sind schon durchgesickert – doch die Zahlen hütet die CDU-Politikerin wie ihren Augapfel. Von der Leyen muss sich an der Vorgabe von Kanzlerin Merkel und Präsident Macron messen lassen: 500 Mrd. Euro. – Mehr hier

Was fehlt

Der Streit um Lufthansa. Nur eine Woche, nachdem die EU-Kommission vor einem deutschen Übergewicht bei Staatsbeihilfen gewarnt hatte, will Brüssel nun den deutschen Rettungsplan eingehend prüfen. Mit Air France sei das nicht zu vergleichen, sagte eine Sprecherin – denn Paris zahlte Kredite, während Berlin beim Kranich einsteigen will. Im Ernstfall droht der Entzug von wertvollen Landerechten in Frankfurt oder München. – Mehr hier (Beitrag für die taz)

Das Letzte

Die französische Nationalversammlung richtet einen Untersuchungsausschuß zur Coronakrise ein. Dies wurde am Dienstag in Paris beschlossen. Der Ausschuß soll sechs Monate lang arbeiten und klären, wieso Frankreich so schlecht auf die Pandemie vorbereitet war. Bisher gab es 28.000 Tote – fast vier Mal so viel wie in Deutschland. Wie konnte das passieren? Und wieso richtet das Europaparlament nicht auch einen Untersuchungsauschuß ein?


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