Brüssel will mehr Macht, Berlin will Uploadfilter – und das EU-Parlament ist ein Corona-Hotspot
Die Watchlist EUropa vom 12. November 2020
Auf dem Höhepunkt der zweiten Corona-Welle hat die EU-Kommission mehr Kompetenzen in der Gesundheitspolitik eingefordert. “Die Bürger erwarten von der EU, dass sie eine aktivere Rolle zu ihrem Schutz einnimmt”, sagte Gesundheitskommissarin Kyriakides. Als Beispiel nannte sie den Ausbau von EU-Agenturen und die Impfung gegen die Corona-Pandemie.
So sollen die Seuchenbekämpfungs-Behörde ECDC in Stockholm und die Europäische Arzneimittelagentur EMA in Amsterdam ausgebaut werden. Die größten Hoffnungen sind aber mit der europäischen Impfstrategie verbunden.
Die 27 EU-Staaten hatten die Kommission im Frühjahr aufgefordert, sich um eine EU-weite Versorgung mit einem Corona-Impfstoff zu bemühen. Drei Verträge mit Pharma-Laboren hatte die Brüsseler Behörde bereits abgeschlossen, als Anfang dieser Woche die Meldung vom Testerfolg bei Biontech und Pfizer kam.
Ausgerechnet mit diesen Firmen hatte Brüssel noch keinen Vertrag geschlossen – bis gestern. Auf Drängen von Bundesgesundheitsminister Spahn holte die EU-Kommission am Mittwoch das Versäumte nach und schloß auch mit Pfizer und Biontech einen Deal.
„Wir haben schnell gehandelt, bei der Lieferung wird es keine Verspätungen geben“, betonte Kyriakides. Zunächst müsse man aber auf die Zulassung des Impfstoffs warten. Dafür ist die Europäische Arzneimittelagentur EMA zuständig.
Wann die EMA grünes Licht geben wird, ließ Kyriakides offen. Sie wolle nicht spekulieren, sagte sie, aber Europa werde nicht später als andere versorgt.
Dahinter steht die Sorge, dass der US-Konzern Pfizer die USA bevorzugt behandeln könnte. Pfizer und Biontech wollen dort in der kommenden Woche eine beschleunigte Genehmigung für die Zulassung beantragen.
Das Gezerre um Pfizer/Biontech zeigt, wie schwer sich die EU in der Gesundheitspolitik tut. Bisher liegt die Zuständigkeit bei den 27 Mitgliedstaaten, Brüssel kommt nur eine koordinierende Rolle zu.
Doch auch die Staaten wissen sich kaum zu helfen, wie das Chaos bei der ersten Corona-Welle im Frühjahr gezeigt hat. Damals haben sich die EU-Länder sogar gegenseitig Schutzausrüstung streitig gemacht.
„Wir haben eine lange Wegstrecke hinter uns“, sagte Kyriakides rückblickend. Nun hätten aber alle verstanden, wie wichtig gemeinsames Handeln sei.
Ein Notstandsrecht für die EU
Durch diese Erfahrungen fühlt sich die EU-Kommission nun ermutigt, eine „europäische Gesundheitsunion“ aufzubauen. Unter anderem will sie eine neue Behörde für „Gesundheitsnotfallvorsorge” schaffen und eine Art Notstandsrecht für die EU schaffen.
Offen bleibt, ob die EU-Staaten mitziehen und Kompetenzen nach Brüssel abgeben werden. Bisher sieht es nicht danach aus. Der deutsche EU-Vorsitz unterstützt zwar den Ausbau von ECDC und EMA.
Berlin hat bisher jedoch keine eigenen Initiativen ergriffen. Auf einem Krisengipfel Ende Oktober wurde kein Beschluss gefasst. Alle Staaten wachen eifersüchtig über ihre Rechte, auch in der zweiten Corona-Welle…
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Watchlist
Kommen nun die umstrittenen Uploadfilter? Darüber wird derzeit hinter den Kulissen in Brüssel verhandelt. Nach einem Bericht des “Standard” will der deutsche EU-Vorsitz “technische Mittel” einsetzen, um Terror-Propaganda in kürzester Zeit aus dem Internet zu löschen. Das Europaparlament ist dagegen, auch die Uno warnt vor allzu rigiden Regeln. Auch ein Verschlüsselungsverbot und “Backdoors” sind weiter im Gespräch…
Was fehlt
Der Appell von Kanzlerin Merkel, schnell das EU-Budget zu verabschieden. Die Zeit sei knapp, da der Haushaltsrahmen und die Corona-Krisenhilfen zum 1. Januar in Kraft treten sollten, hieß es nach einer Videokonferenz mit EU-Kommissionschefin von der Leyen und Parlamentspräsident Sassoli. Merkel hatte sich geweigert, direkt in Verhandlungen mit dem Parlament einzutreten. Nun, da die Abgeordneten klein beigegeben haben, macht sie Druck.
Das Letzte
Das Europaparlament in Brüssel hat sich trotz Lockdown zum Corona-Hotspot entwickelt. “Allein am vorletzten Wochenende hatten wir 171 Ansteckungen”, sagte Parlamentspräsident Sassoli. Der Italiener verteidigte zugleich die Schutzmaßnahmen, die offenbar ziemlich wirkungslos waren. Der CSU-Abgeordnete Ferber hatte Sassoli zuvor vorgeworfen, die “Arbeit des Parlaments zu behindern”…
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fidas
12. November 2020 @ 12:53
Bleiben wir cool. Die Staaten der EU haben jeder für sich eine eigene Gesundheitspolitik wie auch Politik der Sozialen Sicherung. Die EU hat sich bei der Sozialen Sicherung frühzeitig auf Koordinierungsregeln in Form von EU-Verordnungen geeinigt ( Ursprünglich bis 2010 die VO(EWG)1408/1971 ab dann VO(EG) 883/2004 u. die Durchführungsverordnung 987/2009 , ). Damit sind wir gut gefahren, die unterschiedlichen Sozialsysteme sind so nicht zum Hindernis für das Freizügigkeitsgrundrecht in der EU geworden, der EuGH hat dazu mit seiner ständigen Rechtsprechung entschieden beigetragen.
Eine gemeinsame Gesundheitspolitik müsste das selbe bezwecken . Wie es heute aussieht gibt es keine gemeinsame Regeln und somit wird die Freizügigkeit -also der wesentliche Daseinsgrund der EU- brutalstens beeinträchtgt ( Ich war entsetzt als die Corona bedingte Wiederteilung einer kleinen DE/F Ortschaft im Elsass im TV gezeigt wurde ) : Es werden die Gesundheitsstandards, die Bekämpfungsmethoden der Krankheiten der jeweils anderen Staaten nicht anerkannt. Die migrierende Person muss bei EU-Grenzüberschreitung die Standards des Einreiselandes erfüllen. Wenn dafür keine gemeinsame koordinierenden bzw. harmonisierenden Regeln eingeführt werden, können wir bald von einer ehemaligen EU sprechen. Allein mit der EU-weiten Zulassung/Vorschrift und Finanzierung von bestimmten Impfstoffen kommen wir nicht weiter. Es muss doch mindestens festgelegt werden wie die gesundheitliche Unbedenklichkeit eines innerhalb der EU migrierenden Bürgers im Herkunftslstaat als solche ohne weiteres auch im Einreisestaat anerkannt wird.
Ich habe den Eindruck die EU-Oberen haben auch hier den den Überblick verloren.
Holly01
12. November 2020 @ 18:08
Nach Trump kommt die Fraktion “Fuck the EU” (Nuland unter Obama) wieder an die Schalthebel.
Die östlichen, südöstlichen EU sehen sich im Widerstand gegen die EU sehr gut aufgestellt.
Das ist diese Schere aus Jahrzehnte langem “immer weiter integrieren” und dem aktuellen “die show ist vorbei”.
Da können die Reden etwas an einander vorbei gehen und die Positionen geringfügig variieren bis sich gegenseitig ausschließen.
Das ist völlig normal ……
vlg