Soziale Krise: Immer mehr “Working poor”
Mehr Investitionen, mehr Wachstum, mehr Jobs: Mit dieser wohlklingenden Formel ist EU-Kommissionschef Juncker 2014 ins Amt gestartet. 2017 bekannte er sich dann auch zum “sozialen Europa”. Leider passt beides nicht recht zusammen.
In den letzten Jahren wurden in der EU zwar tatsächlich mehr Jobs geschaffen. Allein durch das 2014 aufgelegte Investitionsprogramm (EFSI oder auch “Juncker-Plan”) sollen 750.000 neue Arbeitsplätze entstanden sein.
Doch zuvor, in der Finanz- und Eurokrise, waren wesentlich mehr Arbeitsplätze vernichtet worden. Viele Jobs fielen der von der EU geforderten Austeritätspolitik zum Opfer. In einigen Ländern ist die Bilanz immer noch negativ.
Und selbst in jenen Ländern, die niedrige Arbeitslosenquoten ausweisen, ist die Welt nicht Ordnung. Denn in EUropa gibt es immer mehr “Working poor”, wie die “FT” meldet. Jeder zehnte Arbeitnehmer-Haushalt gilt als arm.
Die wachsende Armut unter Schein-Selbständigen und Mini-Jobbern trifft nicht nur ohnehin kriselnde Länder wie Italien, Spanien oder Frankreich. Auch das vergleichsweise glückliche Deutschland ist betroffen:
Even in wealthy Germany the share of workers at risk of poverty has almost doubled since 2005, to 9.1 per cent — a similar figure to the EU average and the fastest increase of all major EU economies.
Das eigentlich Beunruhigende ist aber, dass die Zahl der “Working Poor” mit dem “Aufschwung” anstieg und erst kürzlich – nämlich 2017 – ihren Höhepunkt erreichte. Seither verharrt sie auf Rekordniveau.
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Das deutet darauf hin, dass Junckers “Jobwunder” mit einer massiven Umstrukturierung des Arbeitsmarktes zulasten der Arbeitnehmer einherging – und dass der “Aufschwung” bei vielen Menschen gar nicht ankommt.
Das passt schlecht zu Junckers Versprechen, sich mehr um das “soziale Europa” zu kümmern. Seine 2017 ausgerufene “europäische Säule sozialer Rechte” zeigt keine Wirkung – denn sie steht bisher nur auf dem Papier.
Wenn Juncker es wirklich ernst meint, müsste er die sozialen Rechte verbindlich und einklagbar machen. Doch das passt nicht zum neoliberalen Grundkurs der EU. Wachstum, Jobs und Einkommen gehen nicht mehr Hand in Hand.
Die “Gelbwesten” in Frankreich lassen grüßen…
Siehe auch “So groß ist die soziale Krise” und “Macrons Krise und Merkels Beitrag”
Ute Plass
28. Dezember 2018 @ 19:50
“Wachstum, Jobs und Einkommen gehen nicht mehr Hand in Hand.”
Umso notwendiger sich endlich vom Glauben an ein unendliches Wachstum zu verabschieden und Wege in Richtung solidarischer-ökologischer-demokratischer Ökonomie
zu entwickeln. Wie sonst soll es was werden mit einem geeinten Europa?
Holly01
29. Dezember 2018 @ 00:31
Als R.Reagan tausende Milliarden Dollar für den Informellen-Militärischen-Industriellen Komplex ausgegeben hat, musste eine Finanzierung dafür aufgestellt werden.
Der Reichtum der 1% wird nicht national verwaltet, sondern von den US “Investmentbanken”.
Je mehr man den 99% wegnimmt, desto mehr landet bei den “Investmentbanken”.
Je mehr privatisiert wird, je mehr Rechte abgebaut und Rechte/Güter umverteilt werden, desto mehr landet bei den US-Investmentbanken.
Der Bundeshaushalt der USA ist aktuell nur noch zu 50% durch Einnahmen gedeckt.
Der Rest, kommt über die Investmentbanken von Aussen.
Die “Bankenkrise” ist nur ein Puzzlestein, denn natürlich ist es nicht gut, wenn andere als die US-Banken im großen Geschäft tätig sind.
Es gibt auch keine Finanzkrisen.
Es werden nur Zinserwartungen der “Anleger” entwertet.
Working poor, Prekariat, A-typische Arbeit, Jugendarbeitslossigkeit, Perspektivlosigkeit der daraus resultierende gesellschaftliche Wahnsinn, sind nur Folgen.
Da das Geld verbraucht ist (Militaria zahlen keine Rendite), kann auch ein Umsteuern nur schwer stattfinden.
@ Ute Plass: Was gut und richtig wäre, da sind sich in Deutschland 80% der Menschen absolut einig.
Leider gibt es keine einzige Partei, die das auch nur ansatzweise thematisiert, von Lösungsansätzen, wage ich nicht einmal zu träumen.
Es wird also noch sehr (also extrem) viel schlimmer werden, ehe die Fliehkräfte die Gesellschaften zerreissen und den aktuellen Zustand beenden.
Ich fürchte auch, das das nachfolgende Chaos, kein gutes Ende hervorbringt.
Die Vermögen sind weg. Die Schulden sind aber sehr sehr real……
Kurzer Blick auf die USA: Scheint, als würde es dort nicht nur kein Einsehen geben, die aktuelle Administration will mehr von der Welt, viel mehr.
Kurzer Blick in der europäische Umfeld:
Steuersenkungen für Unternehmen und Steuerbefreiungen für Reiche stehen hoch im Kurs.
Man muss mit Gewalt auf der Strasse stehen, so wie in Frankreich, um auch nur zur Kenntnis genommen zu werden.
Ja, das wird sich dann wohl als Konsens durchsetzen, das Gewalt und Gegengewalt die Mittel der Wahl sind.
Kurzer Blick auf die aktuellen Polizeigesetze: läuft …..
vlg
Ute Plass
29. Dezember 2018 @ 13:34
Danke @Holly01 für die gehaltvollen Einlassungen.
Bin mir allerdings nicht sicher, ob “Gewalt auf der Strasse” sowie “Gewalt und Gegengewalt die Mittel der Wahl sind”. Sie zeigen ja deutlich auf, wer letztlich das
Sagen hat: der militärisch-industrielle Komplex. Wird dieser dem “Druck der Strasse” weichen oder ist nicht eher zu befürchten, dass dieser ‘Komplex’ den Druck der Strasse wegfegt?
Ein Europäer
30. Dezember 2018 @ 13:48
“Wie sonst soll es was werden mit einem geeinten Europa?”
Dafür brauchen wir eine echte Währungsunion und vor allem eine echte Bankenunion. Ferner noch brauchen wir eine gemeinsame Arbeitslosen-, Renten-, Pflege-, und Krankenversicherung. Des Weiteren müssen endlich alle EU-Spitzpositionen von Menschen besetzt werden, die direkt von uns – alle EU Bürger- gewählt wurden. Nur dann und nur dann kann wieder vorwärts gehen. Alle die dagegen argumentieren oder scih dagegen sträuben wollen kein starkes und vereintes Europa.
Ute Plass
31. Dezember 2018 @ 10:38
@Ein Europäer – stimme als eine von vielen Europäerinnen dem zu. Dazu braucht es
allerdings mehr und echte Demokratie. Ein Hoffnung machende Vision, zitiert Erich Fromm in diesem Beitrag: https://www.rubikon.news/artikel/feindliche-geschwister
„Die Einrichtung eines Systems, das eine Garantie dafür bietet, daß die Grundbedürfnisse aller befriedigt werden, bedeutet, daß herrschende Klassen verschwinden müssen. Der Mensch darf nicht mehr unter ‚Zoobedingungen‘ leben, das heißt, seine volle Freiheit muß wieder hergestellt werden, und die ausbeuterische Herrschaft in all ihren Formen muß verschwinden.“
Bedanke mich bei *ebo* für die engagierte und unentwegte Aufklärung und Berichterstattung und wünsche uns allen eine gutes Neues Jahr.