So teuer ist der “Energiekrieg” mit Russland
Deutschland und die EU sehen sich in einem “Energiekrieg” mit Russland – und behaupten, auch diesen Kampf werde Kremlchef Putin verlieren. Doch noch sprudeln die russischen Einnahmen aus dem Verkauf von Gas und Öl. Derweil steigen die Kosten für EUropa in schwindelerregende Höhe.
Rund eine Billion US-Dollar hat der “Energiekrieg” die Europäer bereits gekostet, rechnet die Nachrichtenagentur Bloomberg vor. Allein für Deutschland belaufen sich die Kosten, die sich aus dem Wirtschaftskrieg mit Russland ergeben, schätzungsweise auf 440 Mrd. Euro.
Und das sei erst der Anfang, sagen die Experten. Im kommenden Jahr dürfte die Rechnung noch höher ausfallen – denn dann steht voraussichtlich gar kein billiges Gas aus Russland mehr zur Verfügung. Auch das Ölembargo dürfte dann Wirkung zeigen und die Preise treiben.
Deutschland und EU versuchen zwar, die höheren Kosten durch schuldenfinanzierte Hilfsprogramme zu kompensieren. Doch selbst der deutsche “Doppelwumms” kommt mit 200 Mrd. Euro nur für einen Teil auf. Der Rest schlägt sich in Wohlstandverlusten nieder.
Multis kassieren ab, Arbeitnehmer zahlen drauf
Diese sind jedoch sehr ungleich verteilt. Während Energiekonzerne und viele Multis von der Krise profitieren, müssen Arbeitnehmer den größten Reallohnverlust seit dem 2. Weltkrieg hinnehmen. Das gewerkschaftsnahe WSI beziffert ihn auf 4,7 Prozent – das sei “historisch”.
Die EU hat es nicht geschafft, die Bürger vor den Folgen des “Energiekriegs” zu schützen, im Gegenteil. Sie hat auf ganzer Linie versagt. Erst hat die Europäische Zentralbank die Inflation verschlafen. Dann plante und verhängte die EU Sanktionen, die die Krise noch verschärft haben.
Schon vor Beginn des Krieges in der Ukraine genügte die Ankündigung aus Brüssel, dass ein Sanktionspaket im Anmarsch sei, um den Gaspreis in die Höhe zu treiben. Doch der hochspekulative Gasmarkt wurde nicht reguliert, der Gaspreisdeckel kam viel zu spät und ist allenfalls eine Notbremse.
Immerhin, Deutschland und die EU haben es in Rekordtempo geschafft, sich von russischen Gaslieferungen unabhängig zu machen. Das war ein wichtiger Erfolg. Doch auch er wird teuer erkauft – nicht nur mit exorbitanten Gasrechnungen, sondern auch mit mehr klimaschädlichen Emissionen.
Das liegt nicht nur am “schmutzigen” Flüssiggas LNG, das der grüne Wirtschaftsminister Habeck neuerdings aus allen Ecken der Welt herbeischaffen lässt. Es liegt auch daran, dass wieder mehr Kohle verstromt wird.
Das Ergebnis: Die Kraftwerke in Deutschland haben in diesem Jahr erstmals mehr Treibhausgas produziert als staatlich zugebilligt. Der CO2-Ausstoß im Energie-Sektor werde nach vorläufigen Zahlen 2022 die Vorgabe um rund ein Prozent übersteigen, so der Bundesverband der Energiewirtschaft.
Mehr Tote als auf dem Schlachtfeld in der Ukraine?
Besonders nachdenklich stimmt aber eine andere Nachricht: Der “Energiekrieg” dürfte auch Menschenleben fordern. Infolge hoher Energiepreise und niedrigerer Raumtemperaturen sei eine höhere Sterblichkeit in Europa zu erwarten, schreibt der “Economist”.
For Europe as a whole, the model’s estimate of deaths caused by energy-price increases surpasses the number of soldiers thought to have died in Ukraine, at 25,000-30,000 for each side.
The Economist
Mehr Tote durch den “Energiekrieg” als durch den Militärkonflikt in der Ukraine – das zeigt, wie verheerend sich ein Wirtschaftskrieg auswirken kann.
Das britische Magazin gibt natürlich einzig und allein “Putin” die Schuld. “Russia is using energy as a weapon”, schreibt das Blatt. Dabei gingen die Energielieferungen aus Russland auch nach Kriegsbeginn zunächst weiter. Sogar die Ukraine wurde mit Gas beliefert.
Der eigentliche “Krieg” spielte sich auf den Märkten ab – und da ging die Initaitive von den USA und der EU aus, nicht von Putin. Doch während die USA selbst genug Energie haben und vom Krieg sogar noch profitieren, ist die EU auf Gedeih und Verderb den Launen des (schlecht regulierten) Marktes abhängig – und verliert…
Mehr zum Wirtschaftskrieg hier
P.S. Allein die Rettung des deutschen Energieversorgers Unipers kostet 51 Mrd. Euro – und damit mehr als das Bürgergeld…
Stef
22. Dezember 2022 @ 07:49
Nicht zum Wohle der Freiheit, sondern „Frieren für die territoriale Integrität der Ukraine“!
KK
21. Dezember 2022 @ 16:49
@ ebo:
Die Versorgung einigermassen gesichert? Wo denn das?
Solange den Chef der Bundesnetzagentur Müller wie eine tibetanische Gebetsmühle die bisherigen Einsparungen als nicht ausreichend bezeichnet und zu weiteren “Anstrengungen” aka kalten Wohnungen aufruft?
Solange nicht klar ist, ob für den Winter 23/24 die Gasspeicher auch nur annähernd hinreichend wieder aufgefüllt werden können?
Solange auch Probleme mit der Stromversorgung nicht ausgeschlossen werden, weil dann doch zu viele auf Radiatoren, elektrische Kochplatten und ähnliches ausweichen könnten – von den heiligen Kühen e-Automobile mal gar nicht erst angefangen?
Solange Turnhallen, Kirchen und ähnliche Einrichtungen gar nicht mehr oder nur noch unzureichend geheizt werden, so dass dort Veranstaltungen ausfallen müssen?
Zum Wohle unserer Freiheit, wohlgemerkt, die die Ukraine für uns ja so heldenhaft und selbstlos verteidigt!
(Soviel Zynismus muss schon sein!)
Stef
21. Dezember 2022 @ 16:29
Ich habe auch meine Schwierigkeiten damit, die vermeintliche Unabhängigkeit von russischem Gas als Erfolg zu bezeichnen. Zwar ist die Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten unbestrittenermaßen ein strategisches Problem. Die richtige Antwort wäre aber Diversifikation gewesen, also mehr Unabhängigkeit durch mehr leistungsfähige Lieferanten. Wir habe aber stattdessen unsere wichtigsten Lieferanten in die Wüste geschickt, was zu noch mehr und noch katastrophelaer Abhängigkeit führt (und absehbar führen musste).
Wir werden in 2023 ein Mengenproblem bekommen. Das wird auch nicht durch exorbitant teures Gas zu lösen sein. So viel LNG geben die global disponierbaren LNG-Kapazitäten nicht her. In der Folge werden wir auch die benannten Probleme in der großen und kleinen Wirtschaft bekommen.
Dies alles als Inkompetenz der Regierung(en) zu betrachten, geht an der Sache vorbei. Insbesondere im Weltbild der Grünen-Partei ist die drastische Verknappung und Verteuerung von Energie der Schlüssel zu einer klimafreundlichen Wirtschaftsweise. Die Konsequenzen einer solchen Rosskur werden implizit billigend in Kauf genommen worden (juristisch ausgedrückt: dolus eventualis, also bedingter Vorsatz). Der Terroranschlag auf Nordstream 1+2 war in diesem Zusammenhang keine bedauerliche Episode, der man klammheimlich Beifall zollt. Sondern eine willkommene Festschreibung eines herbeigeführten politischen Schicksals. Eine Röhre von vier ist noch lieferfähig. Trotz aller Preisrekorde und Lieferengpässe soll über eine Lieferung von Gas nicht gedacht und erst recht nicht gesprochen werden. Darüber wacht mit Argusaugen unsere Bundesregierung.
Wir sind mit anderen Worten mit den Konsequenzen einer bewusst und vorsätzlich implementierten Politik konfrontiert. Dies sollte bei jeder Gelegenheit auch klargestellt werden, weil unsere Regierung gerne versucht es “dem Russen” oder “den Umständen” in die Schuhe zu schieben. Weil eine Demokratie nicht funktionieren kann ohne Verantwortung für die Fehler einer Politik.
KK
21. Dezember 2022 @ 13:36
“Immerhin, Deutschland und die EU haben es in Rekordtempo geschafft, sich von russischen Gaslieferungen unabhängig zu machen. Das war ein wichtiger Erfolg.”
Ob das ein “Erfolg” war, wird erst die Zukunft weisen – wenn wichtige Industrien wegen der Energiepreise komplett aus Deutschland und der EU abwandern, war es wohl eher ein wirtschaftlicher Seppuku! Und wenn die Wirtschaft am Boden oder weg ist, wird auch kein Geld mehr zur Krisenbewältigung vorhanden sein.
ebo
21. Dezember 2022 @ 13:59
Stimmt! Der Erfolg bezieht sich nur darauf, dass die Versorgung (einigermaßen) gesichert wurde. Dass dies einen exorbitanten Preis hat, zeigt ja der Artikel!
european
20. Dezember 2022 @ 21:34
Der Krieg war verhinderbar. Er wurde nicht verhindert, weil der Westen ihn wollte.
Interessanter Lesestoff. Ein Jahr danach. Von Leo Ensel
“Die ignorierte letzte Chance: Das Schweigen von USA und NATO auf Russlands Briefe vom 17. Dezember 2021”
http://www.russland.news/die-ignorierte-letzte-chance-das-schweigen-von-usa-und-nato-auf-russlands-briefe-vom-17-dezember-2021/
Die energietechnische Loslösung von Russland ist in meinen Augen kein Erfolg für Europa. Höchstens für die USA. Es hat mit Russland selbst zu Zeiten der sowjetischen Betonköpfe keine Probleme mit den Energielieferungen gegeben. Jetzt sind wir von Katar und Aserbaidschan abhängig. Obwohl Katar scheidet aus, nachdem wir uns da so unmöglich benommen haben. Man kann sich gar nicht genug fremdschämen.
Es gibt keine Unabhängigkeit auf dieser Welt.
Man kann ja alles mögliche anstellen. Wenn man aber Verantwortung für ein Land trägt, hat man zuerst einen tragfähigen Plan einschließlich Kalkulation, solider Risikobewertung und festgelegter milestones für die Feinjustierung, bevor man die Reißleine zieht. Erst springen, um dann unterwegs festzustellen, dass man keinen Fallschirm hat, ist eine ganz blöde Idee 😉
Was erschrecken sollte, sind weniger die Kosten und Neuverschuldung, sondern das fehlende Wirtschaftsmodell. Das ist nämlich mit abgesprungen und wird auch nicht wiederkommen. Man wird das auch nicht mehr durch noch niedrigere Löhne kompensieren können. Womit also wollen wir ab dem nächsten Jahr unsere Brötchen verdienen und wer soll unsere Produkte kaufen? Monte Carlo?
Dabei geht es nicht einmal um Autos oder Maschinen. Die werden einfach nur in die USA ziehen. Nein, die jüngste Deindustrialisierungsgeschichte kommt von der deutschen Süßwarenindustrie, in der tatsächlich 50.000 Deutsche arbeiten und gerade dabei sind ihre Jobs zu verlieren, weil die exorbitanten Energiekosten nicht tragbar sind. Die Waren sind nicht einmal mehr exportierbar. Auch nicht in die USA. Zu teuer.
https://www.akademie-bergstrasse.de/deindustrialisierung