Sanktionen ersetzen keine Diplomatie
Die EU handelt in der Belaruskrise entschlossen und einig. Doch die Sanktionen treiben Lukaschenko nur noch mehr in die Arme von Putin. – Ein Kommentar.
Immerhin, diesmal haben sie sich nicht spalten lassen. Diesmal hat es nicht einmal der notorische Quertreiber Viktor Orban gewagt, ein Veto gegen die Sanktionen einzulegen, mit denen die Europäische Union den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko und sein Regime belegen will.
Die EU hat schnell, solidarisch und energisch auf die Entführung des Ryanair-Flugs und die Verhaftung des oppositionellen Bloggers Roman Protasewitsch durch Lukaschenkos Schergen reagiert. Das ist aber auch so ziemlich das einzig Gute, das man über den EU-Gipfel und seine Teilnehmer sagen kann.
Ansonsten zeigt auch dieses Treffen, wie schlecht es um die Außenpolitik der EU bestellt ist. Die Staats- und Regierungschefs wollten über Russland reden – Belarus hatten sie ursprünglich gar nicht auf dem Schirm. Sie wollten über eine neue Strategie nachdenken – Beschlüsse waren eigentlich gar nicht geplant.
Was dann über Nacht ausgearbeitet wurde, zeugt mehr von Empörung und Wut als von strategischer Weitsicht. Auf dem Papier liest sich die Liste der Sanktionen und Flugverbote beeindruckend. In der Praxis treffen die neuen Strafmaßnahmen jedoch vor allem die Menschen in Belarus – und nicht den Diktator.
Lukaschenko wird es locker wegstecken, dass die Lufthansa nun einen großen Boden um Belarus macht. Sein Regime wird es verkraften, wenn EU-Investitionen auf Eis gelegt werden. Auch die Einfrierung von Privatvermögen und andere individuelle Strafmaßnahmen dürften Lukaschenko und seine Komplizen kaum erschüttern.
Das haben schon die bisher verhängten Sanktionen gezeigt: Sie sind wirkungslos verpufft – und sie haben Lukaschenko in die Arme des russischen Zaren Wladimir Putin getrieben. Die EU hat damit genau das bewirkt, was sie eigentlich verhindern wollte: Belarus ist noch abhängiger von Russland geworden.
Wie wär’s mal mit Diplomatie?
In Moskau liegt denn auch der Schlüssel zur Lösung der Krise. Um Putin zu beeinflussen, werden sich die Europäer allerdings mehr einfallen lassen müssen als Sanktionen, Sanktionen und noch mehr Sanktionen. Vielleicht sollten sie es zur Abwechslung einmal mit Diplomatie versuchen.
Denn Putin wird nicht nur in Belarus gebraucht. Auch in Syrien, im Nahostkonflikt, in Libyen und Afghanistan müssen sich die Europäer mit dem Kremlchef verständigen. Ohne Diplomatie wird dies nicht gehen. US-Präsident Joe Biden hat dies verstanden. Er will sich mit Putin zu einem Zweiergipfel in Genf treffen.
Die Europäer wären gut beraten, nun ebenfalls auf Diplomatie zu setzen. Aus dem Debakel in Belarus sollten sie lernen, dass Sanktionen keine Strategie ersetzen. Sie sind nur ein Instrument der Außenpolitik – ohne Diplomatie und ohne ein klar definiertes strategisches Ziel führen sie in die Sackgasse.
Dieser Kommentar erschien zuerst in der “taz”. Die Onlineversion steht hier. Siehe auch “USA und Russland nehmen Dialog wieder auf – ohne die EU”
european
27. Mai 2021 @ 11:23
Vielleicht müssen wir uns davon verabschieden, dass wir andere Länder mit unserem System, unserem unendlichen Moralismus und unserer Art zu denken beglücken? Wenn nicht vor Corona Landtagswahlen verloren worden wären und die CDU vor einer Zerreißprobe gestanden hätte, würde Angela Merkel u.U. noch ein 5. und ein 6. Mal alternativlos antreten. Ist ja nicht so, als wäre bei uns eine heile Welt. Deutschland wählt ja immer gleich kaiserähnliche Figuren.
Sanktionen sind nicht nur nutzlos, sondern kontraproduktiv. Die russisch-chinesischen Verbindungen sind enger denn je, Russland ist unser Nachbar und wir teilen uns den gleichen Kontinent. Wir legen bei gleichen Aktionen unterschiedliche Maßstäbe bei USA und Russland an. USA ist gut, Russland ist böse. Wenn aber eine kriegerische Auseinandersetzung stattfindet, dann hier und nicht in USA. Die führen ihre Kriege nie auf eigenem Boden, jedenfalls seit einigen Jahrhunderten nicht mehr.
https://www.ft.com/content/b02e2fd3-c69f-4bbf-825b-eeef4e5be945
“The announcement was made as both countries place greater emphasis on bilateral relations in a period where US dominance of geopolitics has receded and the Covid-19 pandemic has stoked global upheaval.”
Jetzt macht sogar Biden den ersten Schritt und wird sich mit Putin zu bilateralen Gesprächen treffen. Ja kuck. Und Europa steht ziemlich dumm da mit seinem Sanktionismus und seiner Überheblichkeit.
US aims to ‘restore predictability and stability’ to Russia ties
https://www.theguardian.com/us-news/2021/may/25/biden-putin-meeting-date-set-us-russia-talks
Und aus Europa steht niemand auf der Gästeliste. Wenigstens Macron macht den Vorstoß und erklärt die bisherigen Maßnahmen für fruchtlos und kontraproduktiv. Aber wahrscheinlich wird auch diesmal niemand aus Deutschland und der Zweigstelle Brüssel auf ihn hören.
Was ist mit der NATO? Wozu ist sie eigentlich noch da? Spätestens mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes als großem Gegenspieler hat sie eigentlich ihre Existenzberechtigung verloren und gehört mindestens auf den Prüfstand. Außerdem gibt mindestens ein fast unlösbares Problem: die Türkei als Mitglied, die ja auch gern in die EU eintreten würde, zumindest wenn es nach Erdogan geht.
Dieser außenpolitische Tiefflug ist nicht nur mit Corona zu erklären.
Ditmar Porth
26. Mai 2021 @ 10:48
Liebe Freunde in Brüssel,
ich weiß nicht warum ihr immer vom Zaren Putin schreibt. Das ist eine vermutlich beabsichtigte Abwertung von Putin, der für sein Land mehr getan hat als jeder Zar ,mit Ausnahme Katherina der Großen.
Im übrigen sollte man auch was Putin angeht den Namen mit seinem Titel Präsident von Russland verwenden, das nennet man diplomatischer Anstand.
ebo
26. Mai 2021 @ 18:39
Wie nennen Sie es, wenn sich Putin die Macht bis 2036 sichert? Ein demokratisches Präsidialsystem?
Peter M3
27. Mai 2021 @ 10:56
Wie nennen Sie es, wenn die PR darüber entscheidet, wer wie lange Kanzler ist? Demokratie?
Rückblickend muss man doch konstatieren, dass Herr Kohl die 16 Jahre den “Qualitätsmedien” zu verdanken hatte (andere gab es zu dieser Zeit kaum, vor allem der Springer-Presse). Die Wechselstimmung 1998 wurde ebenfalls medial befeuert. Man darf Konzerne als Strippenzieher vermuten, die sich Vorteile davon versprachen.
Und genau das ist dann auch eingetreten. Völlig zurecht wurde Herr Schröder als Genosse der Bosse bezeichnet. Die abhängig Beschäftigten SPD-Wähler wurden betrogen!
Der Krieg gegen Serbien 1999 wurde ebenfalls medial orchestriert. Die Begleitmusik spielt bis in die Gegenwart. Frau Merkel konnte mit medialer Unterstützung und Dauerfeuer ein Regime installieren und sowohl die vertikale als auch horizontrale Gewaltenteilung praktisch abschaffen. Das BVerfG wurde zu einer Art Kreisverband des “Kanzler-Bunker” degradiert.
Vor ein paar Wochen gab es auf reitschuster.de einen Gastbeitrag mit dem Titel “Der Preußenschlag”.
Man muss davon ausgehen, dass die vom “Werte-Westen” angefeindete Nationen mehr demokratische Elemente aufweißen als das Imperium mit seinen EU-Vasallen. Mit dem Motto “doppelte Standards halten besser” beeindruckt man vielleicht noch die bereits konditionierten Teile des Staatsvolkes.
Peter M3
26. Mai 2021 @ 09:59
https://www.anti-spiegel.ru/2021/kompletter-funkverkehr-veroeffentlicht-ryanair-piloten-haben-selbst-entschieden-in-minsk-zu-landen/
https://www.anti-spiegel.ru/2021/lukaschenko-prostasewitsch-und-der-westen-wer-ist-in-wessen-falle-getappt/
Wer sich halbwegs fakten- und nicht narrativbasierend informieren möchte, der lese die oben verlinkten Artikel. Thomas Röper, ein Journalist mit großer Kenntnis und ausgewiesenen Sachverstand.
Das Aufjaulen der “NATO-Brüllaffen” erweckte erst den Eindruck eines getroffenen Hundes. Doch nach besagter Lektüre muss man unweigerlich an eine Blaupause zu Skripal und den russischen Rechtextremisten Nawanlny denken. Dann wäre das ganze eine politische Theateraufführung mit dem Ziel, BY zu destabilisieren.
El Zorro
26. Mai 2021 @ 09:40
In aller Kürze: Sanktion = Heilung. Für wen oder von was?