Rücksturz in die Krise, EU wieder Epizentrum
Was bleibt von der EU-Politik der vergangenen Woche? Es gab eigentlich nur ein Thema: Die Coronakrise und die verzweifelten Versuche, sie einzudämmen. EUropa ist wieder das Epizentrum, wie im März. Doch niemand übernimmt Verantwortung.
Jetzt sind wir wieder da, wo wir im März waren: im Lockdown. Dass es diesmal ein “Lockdown light” sein soll, die die “Welle bricht”, ändert nichts an der bitteren Tatsache: EUropa ist wieder das Epizentrum der Krise, die EU und ihre Mitgliedstaaten haben versagt.
Klar, man hat dazugelernt. Anders als im Frühjahr sollen diesmal die Grenzen offen bleiben, um den Binnenmarkt nicht zu gefährden. Man hilft sich bei Beatmungsgeräten, Schutzausrüstung und Krankenbetten. Die schlimmsten Fehler sollen sich nicht wiederholen.
Doch das ist nur ein schwacher Trost angesichts der Tatsache, dass die Pandemie diesmal alle EU-Staaten und Regionen trifft, und nicht nur ein paar “Hotspots”. Dass sich das Virus überall ausbreiten konnte, zeigt, dass die europäische Strategie gescheitert ist.
Sie setzte auf testen, nachverfolgen und impfen – wobei nur die Impfung von der EU koordiniert wird. Doch die Mitgliedsstaaten und die Kommission erzielten keine Erfolge. Das Testen ging schief, die Nachverfolgung scheiterte, der Impfstoff lässt auf sich warten.
Gleichzeitig versäumte man es, ausreichend Kapazitäten in den Krankenhäusern aufzubauen, die Krankenbetten zentral zu erfassen, und auf die ersten Warnsignale zu achten. Die EU handelte erst, als es zu spät war – nämlich in der vergangenen Woche.
Plötzlich überboten sich Ratspräsident Michel, Kommissionschefin von der Leyen und Kanzlerin Merkel mit dramatischen Warnungen. Sogar ein Sondergipfel wurde einberufen, als Videokonferenz wie im März. Doch Beschlüsse gab es keine.
Der deutsche EU-Vorsitz hatte nichts vorbereitet, und die EU-Kommission wiederholte nur altbekannte Empfehlungen, die schon bisher nicht gewirkt haben (wer möchte, kann sie hier nachlesen). Viel mehr konnte sie auch nicht tun.
Denn die Zuständigkeit für die Gesundheitspolitik liegt bei den Mitgliedsstaaten – sie haben versagt und müssten nun die Verantwortung übernehmen. Zumindestens könnte man erwarten, dass die EU die Mitglieder an ihre Pflichten erinnert.
Doch das ist nicht geschehen. Ratspräsident Michel rief ebenso wenig zur Ordnung wie Kommissionschefin von der Leyen. Am deutlichsten soll Merkel geworden sein – dabei wäre es doch ihr Job als amtierende Ratsvorsitzende, die EU vorzubereiten!
Das hat sie versäumt, vier Monate ist nichts geschehen. Auch sonst will keiner schuld sein. Statt sich an die eigene Nase zu fassen, werfen die Politiker den Bürgern vor, sich unverantwortlich zu verhalten. Von der Leyen warnt vor “Maßnahmen-Müdigkeit” – geht’s noch?
Siehe auch “Rücksturz in die Rezession – droht noch ein verlorenes Jahrzehnt?”
Peter Eschke
2. November 2020 @ 10:49
Die heute beginnenden Einschränkungen waren absehbar. Der Mensch ist nunmal von sozialen Kontakten abhängig. Aber: Ein Teil der Menschheit will es nicht zu Kenntnis nehmen, dass es in der Pandemie schlau ist, diese Kontakte zu reduzieren und/oder Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Langfristig wird es bis zum hinreichenden Verimpfen von Impfstoff notwendig sein, in gewissen Abständen zwangsweise diese Kontaktmöglichkeiten für jeweils 3 bis 4 Wochen zuunterbinden. Mehr Personal für Krankenhäuser wäre schlau. Aber das hat die Politik schon vor langen Jahren mit falscher Gesundheitspolitik versemmelt. Hier müßte umgesteuert werden. Krankenhäuser sind Teil der Daseinsvorsorge und müssen optimiert geführt werden. Sie sollten keine Objekte sein, mit denem Geldgeber sich eine “goldene Nase” verdienen. Ansonsten müssen wir Bürger uns vernünftig verhalten. Das setzt aber Einsichtsfä#higkeit voraus, die manchem Bürger abgeht…
Peter Nemschak
2. November 2020 @ 10:41
Die Frage nach der Verantwortung ist müßig. Vermutlich gibt es zahlreiche Begründungen, politische und solche die in unserer Gesellschaft begründet sind, warum das Virus seit Herbst virulenter geworden ist. Derzeit kommt es vor allem darauf an die Verbreitung mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verlangsamen. Mit den von den Regierungen verordneten Einschränkungen der Grundrechte scheinen Linke und liberale schwerer als Konservative und Rechte zurecht zu kommen. Die daraus resultierenden Verzögerungen haben wertvolle Zeit gekostet, um einen Ausnahmezustand, der einigermaßen seinen Namen verdient, zu beschließen. Asiatische Demokratien wie jene Südkoreas und Taiwans scheinen mit der Pandemie besser zurecht zu kommen als die EU. Offenbar ist das Verständnis des Verhältnisses von Individuum zu Gesellschaft in Asien ein anderes als in Europa. Die Gesellschaft Taiwans kämpft um das Überleben ihrer gesellschaftlichen Identität gegen die Übermacht des kommunistischen China, was den Zusammenhalt der Gesellschaft stärkt und auch zur Bekämpfung von Corona positiv beigetragen hat. Letztlich ist der Kampf gegen Corona ein gesellschaftliches Problem, das sich durch demokratische Prozesse nicht verrechtlichen lässt.
El Zorro
2. November 2020 @ 08:26
Eine Grundregel des Lebens heißt: Fieber nicht unterdrücken, sondern wirken lassen. So verhält es sich auch mit Corona. In einer Pandemie entscheidet nicht die Vorsorge, sondern allein die effiziente medizinische Versorgung und Nachsorge. So wünsche ich allen E x p e r t e n einen schnellen tödlichen Verlauf, damit sie aussterben, bevor sie die Weltwirtschaft ganz ruinieren. Wenn wir weiter auf sie hören, wird die „Verelendung der Massen“ ein Vielfaches an Todesopfern fordern. Lockyourself-Empfehlungen und Reisewarnungen ja – für Menschen im Rentenalter.
Holly01
2. November 2020 @ 07:59
Schöner Artikel dazu.
Nachdem Hr.Dr Drosten ja regelmäßig viel zu hoch lag, mit seinen Projektionen, hat man sich wohl tatsächlich eine andere Quelle gesucht.
” https://www.heise.de/tp/features/Steigen-die-Corona-Todesfaelle-Anfang-November-auf-500-800-woechentlich-an-4944561.html ”
Also, wir haben Anfang November und die Projektion ist auch nicht annähernd richtig (zum Glück).
Kann es sein, das die Projektionen einen zu hohen “Sicherheitsbereich” haben, der bewusst überzeichnet, damit man nicht “unangenehm überrascht wird”?
Warum sagt man das dann nicht ganz offen.
Das ist doch inhaltlich nachvollziehbar, wenn Wissenschaftler sagen “Wir haben eine Verantwortung und bauen da gezielt 25% Überzeichnung ein, um uns vor Schuldzuweisungen zu schützen”.
Die Merkel hat doch auch jeder verstanden. Die hat ja auch gesagt “Ist im Moment übertrieben, aber wenn wir nichts machen, stehen wir in 4 Wochen da und müssen uns anhören, wir hätten nicht reagiert und es dadurch vergeigt”.
Wieso sind wir eigentlich so völlig unfähig mit einander zu reden? Wann ist uns denn die gesamte Sprachkultur abhanden gekommen?
War das schon vor TINA oder kam das erst mit “wir machen das und Argumente interessieren uns einen feuchten Schmutz”?
vlg
Kleopatra
1. November 2020 @ 10:39
EU-Europa hat ähnlich viele Einwohner wie die USA, ist wie die USA sehr divers und gleichzeitig stark untereinander vernetzt (sowie auch mit dem Rest der Welt, z.B. China), auch das Wohlstandsniveau ist ähnlich; es ist überhaupt nicht erstaunlich, dass EU-Europa und die USA für die COVID-19-Epidemie ähnlich anfällig sind. Der Verlauf der Epidemie dürfte viel weniger von politischen Maßnahmen oder Entscheidungen abhängen als gemeinhin angenommen. Politische Entscheidungen dürften fr dien Verlauf der Epidemie weniger bedeutsam sein als oft angenommen; die EU hat in der Gesundheiotspolitik nichts zu sagen, allerdings haben einige Aspekte Folgen, die für manche Länder problematisch sind. Die Freizügigkeit der Arbeitskräfte kann dazu führen, dass manche Länder zuwenig Personal im Gesundheitswesen haben; und die sehr strikten und komplexen Datenschutzbestimmungen (EU-DSGVO) machen eine Nutzung von Handydaten zur Überwachung – wie in vielen asiatische Staaten, m.W. etwa Südkorea) illegal.
(übrigens: “Ventilators” sind in diesem Kontext “Beatmungsgeräte”)
ebo
1. November 2020 @ 10:50
Das würde ich differenzieren. Die Politik kann den Verlauf der Pandemie kaum beeinflussen, einverstanden. Italien hat im Frühjahr Pech gehabt, Deutschland viel Glück.
Aber die Auswirkungen sind durchaus von politischen Entscheidungen abhängig. Das sehen wir jetzt, wo das Virus praktisvh überall zuschlägt.
Dort, wo genug in die Gesundheit investiert wurde, sind die Auswirkungen weniger dramatisch als dort, wo alles kaputt gespart wurde.
Es ist ein großes Versäumnis der EU, dass sie nicht massiv in die Gesundheits investiert, sondern das dafür vorgesehene EU-Busget sorgar noch kürzt!
Kleopatra
1. November 2020 @ 12:26
Dem stimme ich zu: Ich hatte sagen wollen, dass die kurzfristigen Maßnahmen wenig Unterschiede ausmachen, aber dass der Unterschied in den Krankenhausbetten pro Einwohner (und damit wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen der letzten Jahrzehnte) zum Großteil für die Unterschiede in der Sterblichkeit ursächlich ist, sehe ich genauso. Die jetzigen “Lockdowns” sind nach meiner Ansicht eine hysterische Kettenreaktion, bei der keine Regierung sich mehr traut, nichts anzuordnen, nachdem die Nachbarn “reagiert” haben.
Ulf Cihak
1. November 2020 @ 09:16
„Jetzt sind wir wieder da, wo wir im März waren“
Das ist für mich eine sehr gute Nachricht: das „ever closer“ ist zum Stillstand gekommen.
Wäre es nicht an der Zeit für eine Schubumkehr?