Recovery-Plan: Zwischen Kurz und Hamilton
Der deutsch-französische Plan für den Wiederaufbau schüttelt Brüssel durch, Österreich kündigt einen Gegenentwurf an – und UK macht der Freizügigkeit für EU-Bürger ein Ende: Die Watchlist EUropa vom 20. Mai 2020.
Ist das nun der Plan für den Wiederaufbau der EU nach Corona? Oder kommt da noch mehr? Selbst die EU–Kommission tut sich schwer, den Vorschlag von Kanzlerin Merkel und Präsident Macron politisch korrekt einzuordnen. Der Plan gehe in die richtige Richtung, erklärte die EU-Behörde. Von der Leyen sei vorab eingeweiht gewesen und werde die Pläne bei der Vorstellung ihres eigenen Entwurfs am 27. Mai berücksichtigen.
Allerdings werde es kein „Copy and Paste“ geben, betonte Leyens Chefsprecher Eric Mamer. Aus Brüsseler Sicht ist der Plan zunächst nur ein willkommener erster Aufschlag, um die verhärteten Fronten zu lockern.
Man kann den Merkel-Macron-Deal für die “Recovery” allerdings auch ganz anders sehen: Als “historischen Schritt” (so Frankreichs Finanzminister Le Maire), der zu einem Quantensprung in der Europapolitik führen könnte.
Optimisten sprechen schon von einem Hamilton’schen Moment. Der erste US-Finanzminister Alexander Hamilton sicherte Washington im Jahr 1790 das Recht, Schulden aufzunehmen und gemeinsame Einnahmen zu erzielen.
Ein solcher Quantensprung sei auch im deutsch-französischen Vorstoß angelegt, meint Bundesfinanzminister Scholz. Schließlich soll nun auch die EU das Recht erhalten, sich zu verschulden und neue Finanzquellen zu erschließen.
Doch damit es so weit kommt, muß der Plan erst einmal von der EU-Kommission aufgegriffen werden. Und dann müssen noch alle anderen EU-Staaten zustimmen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, wie die ersten Reaktionen zeigen.
“Unsere Position bleibt unverändert“, erklärte Österreichs Kanzler Kurz nach Gesprächen mit den Regierungschefs der Niederlande, Dänemarks und Schwedens. Die “Nordländer” sagen weiter Nein zu Schulden und Transfers.
“Ein Stück mehr Solidarität” – aber nicht genug?
Positiv wurde der deutsch-französische Plan dagegen in Spanien und Italien aufgenommen. Eher verhaltenes Lob kam aus dem Europaparlament. “Es ist ein Stück weit mehr Solidarität als bisher gezeigt wurde“, sagte Vizepräsidentin Barley.
Allerdings geht der Plan vielen Abgeordneten noch nicht weit genug. Sie fordern bis zu 2 Billionen Euro für den Wiederaufbau und drohen mit einem Veto, falls ihre Wünsche nicht berücksichtigt werden…
Siehe auch “Merkel und Macron preschen vor, brechen Tabus“ und “Kommt doch noch eine politische Union?”
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Watchlist
Baut sich ernsthafter Widerstand gegen “Mercron” auf? Diese Frage treibt die EU in Brüssel um, nachdem Österreichs Kanzler Kurz ein Gegenkonzept angekündigt hat. “Wir glauben, dass es möglich ist, die europäische Wirtschaft anzukurbeln und dennoch eine Vergemeinschaftung der Schulden zu vermeiden”, sagte Kurz. Er stimmt sich eng mit den Niederlanden, Dänemark und Schweden ab – aber auch mit der Bundesregierung in Berlin…
Was fehlt
Das Ende der Freizügigkeit in UK. Das britische Unterhaus hat ein Gesetz beschlossen, mit dem die Freizügigkeit für EU-Arbeitskräfte ab Januar 2021 endet. Nun plant die Regierung von Premier Johnson ein Punktesystem für die Zuwanderung. In Brüssel wurde der Plan mit Schweigen quittiert. Die EU und UK liegen wegen des Brexits und des Streits um einen neuen Freihandelsvertrag über Kreuz. Die letzte Verhandlingsrunde endete ohne Ergebnis.
Das Letzte
Österreich und Ungarn finden wieder zusammen – als Blockierer der EU-Außenpolitik. Beide Länder haben eine gemeinsame Erklärung zur Nahost-Politik abgelehnt. Die EU wollte mit ihrem Appell erreichen, dass Israel von Annexions-Plänen im Westjordanland abrückt – doch nun muß sie sich erstmal mit “Österreich-Ungarn” auseinandersetzen…
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Immer locker bleiben
20. Mai 2020 @ 16:33
Ich sag mal so: Wenn die Länder rund um Österreich bis zum September (2020) die Grenzen dicht halten (und so die Ischgl-Route schließen), dann kommen keine Urlauber, keine Erntehelfer und keine Pflegkräfte nach Österreich. Mal sehen, womit dann Geld verdient wird und wer die Arbeit macht. (Das Wort Kurz-Arbeit bekommt dann vermutlich ein völlig neue Bedeutung.) Spätestens dann braucht auch Österreich einen Recovery-Plan.
Peter Nemschak
20. Mai 2020 @ 16:54
Das tun die Länder rund um Österreich im Eigeninteresse nicht.
Kleopatra
21. Mai 2020 @ 10:06
Erntehelfer, Pflegekräfte und Urlauber kommen nach Österreich, weil sie nach Österreich kommen wollen. Die ersten zwei Kategorien verdienen in Ö Geld, das zuhause gebraucht wird, die letzteren sind gutsituierte Wähler, die ihren Politikern die Hölle heiß machen werden, wenn die sie nicht verreisen lassen.
European
20. Mai 2020 @ 12:52
Jetzt rächt sich, dass man in der EU nicht zwischen Eurozone und der gesamten EU unterscheidet. Dänemark und Schweden gehören nicht der Eurozone an. Die Niederlande sind das größte Steuerparadies in der EU und ziehen jährlich Milliarden aus den gebeutelten Ländern ab. Und Kurz pflegt Nationalismus innerhalb der EU, jetzt auch mit einem großen buy-local Programm für Agrarprodukte. Gleichzeitig exportiert Österreich aber auch Lebensmittel. Wenn nun die anderen Länder auch buy-local gehen?
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20181010_OTS0088/agrar-und-lebensmittelexporte-sind-konjunkturmotor-fuer-oesterreich-lebensmittel-sind-hidden-champion-bild
“Seit dem EU-Beitritt Österreichs konnten die gesamten österreichischen Agrar- und Lebensmittelexporte sogar um mehr als 500 Prozent gesteigert werden, jene von den Erzeugnissen der Lebensmittelindustrie um fast 600 Prozent (von 959 Mio. Euro auf 6,7 Mrd. Euro). Die besondere Leistung zeigt sich vor dem Hintergrund, dass die gesamte Wirtschaft Österreichs in diesem Zeitraum ihre Exporte um 237 Prozent erhöhen konnte. Somit zählen die Unternehmen der österreichischen Lebensmittelwirtschaft zu den erfolgreichsten Branchen im Export.”
Kurz eben! Zu kurz gedacht, zu kurz gesprungen. Nicht in der Lage, das ganze Bild zu sehen.
Persönlich würde ich gern all die Konzerne, die nun um Staatshilfen betteln und in Steuerparadiesen Briefkästen unterhalten, diese an diese Steuerparadiese verweisen. Mal sehen, wie lange es dauert, bis Mark Rutte die Briefkästen höchstpersönlich abgehängt hat.
Holly01
20. Mai 2020 @ 17:09
Ich würde die Briefkästen nicht zu sehr in den Focus schieben.
Die größten Sauereien finden ganz und gar ohne Ausland innerhalb der BRD statt.
Würden die Reichen und die Firmen ihre Steuern zahlen, wäre der Staat innert weniger als 10 Jahren saniert und die soziale Befriedung wäre gar kein Problem mehr ….
Da kommt der european market der city of london, mit dem ganzen offshore und schatten otc on top.
Sie regen sich ja auch nicht über die Prostituierten auf, das ist nur das Gewerbe. Das schlimme sind ja die Kunden und die Zuhälter ….. die werden aber von der tapferen Politik gedeckt und gefördert.
vlg
European
20. Mai 2020 @ 18:58
Naja, wenn die Reichen und Firmen in den Niederlanden niedrige Steuersätze aushandeln können, weil sie dort in engen Briefkästen wohnen können, dann trägt das niederländische Businessmodel durchaus zur inländischen Steuerhinterziehung bei. Es gibt allein 4 in der EU – Niederlande, Luxembourg, Irland und Malta. Zuzüglich mittendrin die Schweiz als Nicht-EU-Land. Plus die anderen üblichen Verdächtigen.
https://www.corporatetaxhavenindex.org/
https://www.corporatetaxhavenindex.org/introduction/cthi-2019-results
https://www.taxjustice.net/2020/04/27/eu-loses-over-27-billion-in-corporate-tax-a-year-to-uk-switzerland-luxembourg-and-netherlands/
Immer locker bleiben
20. Mai 2020 @ 11:47
Sehnsüchtig warte ich ja auf die Vorschläge aus Österreich. Nach Ischgl, Rekordarbeitslosigkeit (höchste seit dem 2. Weltkrieg, Respekt, das muss man erst mal hinkriegen) und Versagen bei der Unterstüzung der eigenen Bürger/Betriebe (bei viel bürokratischem Aufwand mit täglichem Update im Standard)… Das zeugt doch von Selbsbewusstsein. Lassen wir uns überraschen! Außerdem darf man gespannt sein, wer die Alpenrepublik unterstützt. Die Visegrad-Staaten? Italien? Spanien? Schaun wer mal.
ebo
20. Mai 2020 @ 11:51
Kurz gegen Macron und Merkel, die Battle des Jahres 🙂
Wobei Merkel natürlich auch zu Kurz hält, irgendwie. Wie genau, werden wir leider erst beim nächsten EU-Gipfel erfahren…
Peter Nemschak
20. Mai 2020 @ 16:53
Kurz muss den rechtskonservativen Rand seiner Partei bei Laune halten, um ihn nicht an die FPÖ zu verlieren. Letztlich wird der MM-Plan mit einigen Retuschen umgesetzt werden, Und niemand wird zufrieden sein, am wenigsten jene, die davon am meisten profitieren könnten. In einem Staatenbund muss jedes Mitgliedsland für den Luxus einer eigenen souveränen Fiskalpolitik selber aufkommen. Ungleichheit ist und bleibt ein Bauprinzip der heterogenen Gemeinschaft EU.
Holly01
20. Mai 2020 @ 09:58
Im Moment kaufen die Zentralbanken „Werte“ auf.
Sehr einfach ausgedrückt, sagen die Zentralbanken „es werde Geld“ und nehmen die „Werte“ in ihre Bücher auf. Dafür zahlen die Zentralbanken Geld aus, für das es keinen realen Bezug gibt.
Böse könnte man sagen, die Gesellschaft wird durch die Zentralbank „enteignet“.
DAS soll eine Rettung sein?
Wo ist denn die gesellschaftliche Kontrolle über die weitere Verwertung dieser „Werte“?
Kurze Frage an die Neos: Wäre es nicht logischer diese Eingriffe in den Geldkreislauf und die reale Wirtschaft zu unterlassen?
Meine Antwort lautet weiterhin: Die Zentralbanken müssen negativ verzinste Kredite gewähren.
Ob die Staaten diese negativen Zinsen direkt erhalten oder ob die Gelder über vertrauenswürdige (öffentliche) Institute laufen oder ob man private Institute dazu zwingt das negativ verzinste Geld weiter zu geben ist da egal.
Negative Zinsen sind in der Privatwirtschaft eine Realität.
Die EZB sollte die Aufkaufprogramme beenden und negative verzinste Kredite an die Nationalstaaten vergeben.
Es ist naiv zu denken, die Geldinhaber lassen zu, dass die Staaten handlungsfähig werden und ihre Aufgaben wieder übernehmen dürfen. Das wäre eine Konkurrenz die nicht erwünscht ist.
Covid-19 und die Jahre davor haben aber gezeigt: Wir brauchen funktionierende Staaten.
Als (bei den Einnahmen kastrierter) Lückenbüßerstaat gibt der Staat mehr aus als er einnimmt.
Keynes funktioniert nicht.
Die Salden werden NICHT zurück geführt.
Es wäre ein Akt der Ehrlichkeit das endlich zu thematisieren und einzuräumen.
Sonst zerbrechen unsere Gesellschaften (siehe USA) und dann unsere Staaten und ihre Bündnisse.
vlg
Peter Nemschak
20. Mai 2020 @ 09:42
Der MM-Plan bedeutet im Grunde “more of the same” und stellt nicht den hineininterpretierten Quantensprung in Richtung Finanzunion dar. Die Haftung für das aufgenommene Kapital ist anteilig (several) und nicht gesamthaft (joint). Die Verteilung der Mittel erfolgt über die Kommission als Co-Finanzierung (diesmal nicht als Kredit sondern als verlorener Zuschuss) mit den betroffenen Ländern für Projekte. Solange die EU institutionell im heutigen Zustand verharrt, ist sichergestellt, dass die Mitgliedsländer ihre de facto Vetomacht nicht verlieren. Fazit: die Gemeinschaft der Mitgliedsländer gibt besonders betroffenen Ländern verlorene Zuschüsse für bestimmte Projekte: zweckgebundene Solidarität. Man wird sehen, wie der Vorschlag bei den potentiellen Empfängern ankommt. Es gibt kein Mitgliedsland, das sich nicht als potentieller Empfänger sieht. Schließlich waren alle Mitgliedsländer mehr oder minder von Corona betroffen. Der Streit um den noch nicht einmal gebackenen Kuchen ist damit vorprogrammiert.
ebo
20. Mai 2020 @ 09:54
Das sehe ich ganz ähnlich. Es ist kein Quantensprung, dafür aber sehr teuer. Denn die 500 Mrd. Euro sollen ja zurückgezahlt werden.
Demgegenüber sah der spanische Vorschlag vor, “ewige” Anleihen zu begeben, die nicht zurückgezahlt worden wären. Die Hilfen waren nach diesem Plan auch nicht an Reform-Auflagen gekoppelt.
Merkel und Macron haben ein merkwürdiges Zwitter-Wesen entwickelt, das noch für viel Ärger sorgen dürfte.
Peter Nemschak
20. Mai 2020 @ 10:07
Auch “ewige” Anleihen sind teuer. Auch sie sind “rückzahlbar”, zwar nicht in Cash aber durch Wertverlust, wenn die Zinsen wieder einmal steigen. Die Krise der “Perpetuals” im Jahr 1986 wurde Jahre später durch Restrukturierung in Anleihen mit fixer langer Laufzeit, unterstützt durch Zero-Kuponbonds erster staatlicher Adressen und Cash-Einschuss umgewandelt. Es gibt keine Wunder bei den Finanztechnologien. Alle haben ihren Preis, offen oder versteckt, jetzt oder in der Zukunft. Die weit entfernte Zukunft hat den Vorteil, dass die davon betroffenen Wähler noch ungeboren sind.
Holly01
20. Mai 2020 @ 07:32
Bisher kommen nur Vorschläge, die absolut KEINE Chancen auf Umsetzung haben.
Also werden (wie so oft) die Fakten sprechen, die willkürlich geschaffen werden.
Herr Sonneborn hat einen Kommentar dazu abgegeben Schlagwort “bis zu ..”:
” https://www.youtube.com/watch?v=BnrIJh7IlsI&feature=youtu.be ”
Im Moment scheint niemand ein Interesse an abgestimmten Maßnahmen zu haben …
vlg