Merkel und Macron preschen vor, brechen Tabus
Wie viel Geld gibt es für den Wiederaufbau nach der Coronakrise? Und zu welchen Konditionen? Eigentlich sollte die EU–Kommission einen Vorschlag machen, doch nun sind Kanzlerin Merkel und Präsident Macron vorgeprescht – und brechen Tabus.
Völlig überraschend haben Macron und Merkel am Montag einen Videogipfel einberufen. Das kann man als gutes Zeichen werten – Paris und Berlin versuchen nach langer Pause wieder, den “Motor” für die gesamte Union zu spielen.
Im neuen EU-Budget, so ihre Forderung, sollen 500 Mrd. Euro für den Wiederaufbau reserviert werden. Er solle “die am stärksten getroffenen Sektoren und Regionen” über Mittel aus dem EU-Haushalt, heißt es in einem gemeinsamen Papier.
Dazu solle es der EU-Kommission erlaubt werden, auf den Finanzmärkten Kredite im Namen der EU aufzunehmen. Allerdings soll dies nicht zur Regel werden. Es gehe um eine “einmalige Kraftanstrengung”, so Merkel.
Doch auch so ist es schon ein Tabubruch. Denn bisher hat sich Merkel stets gegen eine EU-Verschuldung gesträubt. Nun scheint sie sogar bereit, die Schulden aus dem EU-Budget abzustottern, was für Deutschland höhere Beiträge bedeutet.
Aus dem Vorstoß lässt sich aber auch anderes herauslesen: Mißtrauen in EU-Kommissionschefin von der Leyen und ihre Fähigkeit, einen tragbaren Kompromiß vorzulegen. Schließlich ist der Budget-Entwurf aus Brüssel seit Wochen überfällig.
Am Freitag hatte die Kommission nach langem Zögern angekündigt, dass die Vorlage nun endgültig am 27. Mai kommen soll – und ausgerechnet jetzt grätschen Merkel und Macron rein. Das riecht nach Ärger.
Geld nur gegen Reformen?
Zumindest ein Teil des Vorschlags aus Brüssel erscheint in der Tat konfliktträchtig: Von der Leyen will Corona-Hilfen offenbar nur gegen “Reformen” auszahlen. Dies berichtet die “Süddeutsche”, die vorab gebrieft wurde (warum eigentlich nur die SZ?).
Diese Idee erinnert mich an die Reformverträge, die Merkel schon in der Eurokrise einführen wollte. Doch damals stieß sie sich am massiven Widerstand aus Spanien und anderen Krisenländern.
Diesmal könnte es Frankreich sein, das das Prinzip “Geld gegen Reformen” ablehnt – denn es liefe ja darauf hinaus, Paris mangelnden Reformeifer vorzuhalten. Macron kann das nicht gefallen – ist er deswegen vorgeprescht?
Und was ist eigentlich aus seinen hoch fliegenden Visionen für den Euro geworden?
Siehe auch “”Von Macrons Euro-Vision bleibt nichts übrig”
P.S. Von der Leyen hat den deutsch-französischen Vorschlag begrüßt, allerdings klingt sie nicht begeistert. Zitat:
“I welcome the constructive proposal made by France and Germany. It acknowledges the scope and the size of the economic challenge that Europe faces, and rightly puts the emphasis on the need to work on a solution with the European budget at its core. This goes in the direction of the proposal the Commission is working on which will also take into account the views of all Member States and the European Parliament.”
EU Commission
Auch das Europaparlament ist nicht begeistert. Denn die EU-Abgeordneten fordern 2 Billionen für den Wiederaufbau – zusammen mit dem EU-Budget also mindestens 500 Mrd. Euro mehr. Noch am Freitag haben sie mit einem Veto gedroht, wenn das nicht kommt…
The 🇫🇷🇩🇪 recovery proposal is a constructive contribution to the debate about economic response to #covid.The 🇪🇺 Parliament has it‘s own 2 TN recovery package & we are proposing a structural strengthened 🇪🇺 budget.There is still a long way for reaching a compromise. #mff #Macron
— Rasmus Andresen 🇪🇺🏳️🌈 (@RasmusAndresen) May 18, 2020
European
19. Mai 2020 @ 15:35
Vorgeprescht ist Macron schon lange, siehe “Moment of Truth”
Transcript hier: https://www.ft.com/content/317b4f61-672e-4c4b-b816-71e0ff63cab2
Video hier: https://www.youtube.com/watch?v=DPGfKhCICC0
Angela Merkel versteht es immer sehr geschickt, sich vor bereits fahrende Trends zu setzen um dann als Trendsetterin oder Macherin die Lorbeeren einzuheimsen. Macron ist seit 2017 im Amt und wurde nicht müde, Vorschläge für sinnvolle Reformen der EU zu machen. In Berlin stieß er dabei bisher auf eine Mauer des Schweigens.
Die Pandemie wäre damit höchstwahrscheinlich viel glimpflicher und koordinierter verlaufen. Statt dessen verlieren wir uns in Nationalismen und altgedienten, teilweise höchst rassistischen, Vorurteilen.
Trotzdem ist jetzt immerhin ein Anfang gemacht und so langsam versucht man eine Abkehr von der bisherigen, völlig fehlgeleiteten und ökonomisch unsinnigen Politik, die diese Krise noch verstärkt hat. Man wird sehen, was daraus gemacht wird.
Peter Nemschak
19. Mai 2020 @ 13:15
Außer Zukunftsoptimismus wurde nichts zerstört. An welche Bedingungen wird die geplante europäische Charity geknüpft werden, abgesehen davon, dass die Staaten im Einzelfall ihren Eigenbeitrag leisten müssen ?