Plattform mit Proporz, Diplomatie mit Nawalny – und Irland gegen Biden

Die Watchlist EUropa vom 19. April 2021 –

Vor zwei Jahren erschien das Buch “Plattform Europa“, in dem der Berliner Politikberater J. Hillje für ein partizipatives digitales Netzwerk warb, um die EU voranzubringen. Vor drei Wochen erschien das Büchlein “Jeder Mensch”, in dem der Jurist und Autor F. von Schirach neue Grundrechte für die EU-Bürger fordert.

Und nun kommt die “mehrsprachige Online-Plattform” für die “Conference on the Future of Europe” (COFE). Am Montag (19. April) wird sie freigeschaltet.

Dieses neue Portal strebt so ziemlich genau das an, was Hillje und Schierach fordern: Es will die Bürger ermächtigen, sich selbst Gedanken über die EU zu machen und Reformideen zu entwickeln.

Eine gute Sache, wie es scheint. Allerdings machen die ersten Slides, die ich vorab sehen konnte, wenig Lust auf das neue EU-Portal. Sie sind so “sexy” wie die Homepage der EU-Kommission und so “partizipativ” wie “We Move Europe“.

Wo ist der Mehrwert?

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Jeder kann ein Event kreieren, die Einladung und der Begleittext wird sogar in mehrere Sprachen übersetzt. Doch all dies ist auch jetzt schon möglich, ohne EU-Anleitung und EU-Login (das man für die Benutzung haben muß).

Im Netz zirkulieren schon hunderte Petitionen und Einladungen für Online-Events, bei denen es um die EU und ihre Verbesserung geht. Wo soll der Mehrwert der neuen Plattform sein?

Nun, die Vorschläge, die auf dem Portal generiert werden, gehen an zufällig ausgewählte EU-Bürger (“Bürgerkonferenz”), die darüber diskutieren und daraus Politik-Empfehlungen ableiten sollen.

Das letzte Wort haben die Politiker

Diese Empfehlungen gehen dann zurück an die EU-Politiker, die daraus bis Frühjahr 2022 erste Schlußfolgerungen ziehen sollen. Es geht von unten nach oben, doch das letzte Wort haben Kommissare, Minister und Abgeordnete.

Und die haben schon bei der Vorbereitung der Zukunftskonferenz bewiesen, dass sie mehr an Proporz interessiert sind als an echten Reformen.

Ich bin daher spektisch – auch wenn die Plattform-Idee sympatisch ist…

Siehe auch “Braucht EUropa eine digitale Plattform?” (Buchbesprechung auf diesem Blog) und “Wovon die Bürger träumen – Was bringt die Zukunftskonferenz?”

Watchlist

Wie wird die EU auf den Hungerstreik von Kreml-Kritiker Nawalny reagieren? Diese Frage steht überraschend im Vordergrund, wenn die EU-Außenminister am Montag eine Videokonferenz abhalten. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell rief die russischen Behörden am Sonntag dazu auf, Ärzten seines Vertrauens sofortigen Zugang zu Nawalny zu gewähren. Die EU werde weiterhin Nalwanys sofortige und bedingungslose Freilassung fordern, “da wir seine Verurteilung für politisch motiviert und den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Russlands zuwiderlaufend halten”, erklärte Borrell. Ähnliche Forderungen zu politischen Gefangenen in der Türkei hat es nicht gegeben. Auch zum Fall Assange schweigt die EU beharrlich… – Mehr hier

Hotlist

  • Irland gegen USA: U.S. President Joe Biden often proclaims a sentimental soft spot for Ireland. But his administration’s vision of a 21 percent tax rate on American firms’ overseas profits could hit the Irish the hardest, meldet “Politico”.Dublin möchte sich nicht mit Facebook, Google & Co anlegen, die von weitaus niedrigeren Steuersätzen profitieren. Die große Frage ist nun, ob Irland ein Veto einlegt – und die EU die Steuer-Reform verschläft. – Mehr hier (Makroskop)
  • Belgier gegen Corona-Maßnahmen: In Brüssel sind wieder mehrere hundert Jugendliche auf die Straße gegangen, um mehr Freiheiten im strikten Corona-Regime zu fordern. Diesmal waren sie allerdings auf dem Fahrrad unterwegs, und nicht zu Fuß – und so blieb es friedlich, berichtet BX1. – Wieder ging es durch den Stadtwald Bois de la Cambre, wo vor drei Wochen berittene Polizei auf die Jugend eingedroschen hatte. – Mehr hier
  • Tschechien gegen Russland: Binnen 48 Stunden müssen 18 russische Diplomaten Tschechien verlassen. Sie sollen als Spione an der Explosion eines Munitionslagers im Jahr 2014 beteiligt gewesen sein. Der Kreml spricht von “Tricks”, berichtet die “Tagesschau”. – Der Fall liegt sieben Jahre zurück. Da ist es schon erstaunlich, dass Tschechien nun so massiv zurückschlägt. Es ist fast wie im Kalten Krieg… – Mehr hier