Coronakrise: Belgien ignoriert seine Jugend – und das Recht
(Un)Rechtsstaat Belgien: Am Mittwoch hat ein belgisches Gericht die Corona-Regeln für unrechtmäßig erklärt. Am Donnerstag hat die Polizei – unter Berufung auf eben jene Corona-Regeln – mehrere tausend Jugendliche aus dem Bois de la Cambre in Brüssel verjagt – mit Wasserwerfern und Tränengas.
Ich wurde zufällig Zeuge der Jagdszenen, weil ich im Bois de la Cambre joggen war. Der Polizeieinsatz erinnerte an den G-20-Gipfel in Hamburg – mit Hubschrauber, Drohnen, berittener Polizei, Polizeihunden und Hundertschaften, die in Kampfmonitur gegen friedliche Jugendliche aufzogen.
Natürlich kann man sagen, dass sich die jungen Leute (meist zwischen 13 und 18) unvernünftig verhalten haben. Aber der Einsatz der Polizei war absolut unverhältnismäßig. Und er steht rechtlich auf wackligem Grund, auch wenn er vom (sozialistischen) Brüsseler Bürgermeister verteidigt wird.
Denn zuvor hatte ein Gericht befunden, dass die Corona-Einschränkungen in Belgien unrechtmäßig seien – es fehlt die Rechtsgrundlage. Laut “Le Soir” beruft sich die Regierung auf ein Gesetz für Evakuierungen in Katastrophenfällen. Es wurde 2007 nach einer Gasexplosion (!) verabschiedet.
Belgien will nun nachbessern und eine neue Rechtsgrundlage schaffen. Doch damit wird man den wachsenden Unmut der Jugend gegen die Corona-Maßnahmen nicht beseitigen. Der Widerspruch zwischen Sicherheit bzw. Gesundheit und Freiheit lässt sich nicht mit Wasserwerfern lösen.
Die surrealen Szenen in Brüssel sollten auch Deutschland und der EU zu denken geben. Ich habe im Bois de la Cambre keine “Querdenker” oder AfD-ler gesehen, sondern ganz normale Kinder und Jugendliche, die für ein paar Stunden dem belgischen COVID-Gefängnis entfliehen wollten.
Und ich habe eine Polizei gesehen, die sich wenig um rechtliche Probleme schert – und stattdessen ohne zu zögern auf ihre eigenen Kinder einprügelt. – Ist Belgien noch ein Rechtsstaat? Diese Frage stellt sich aktuell nicht nur den Belgiern – sondern allen hier lebenden EU-Bürgern (wie mir) und der ganzen EU.
Schließlich hindert die belgische Regierung die Einwohner des Landes seit Monaten an der Ausreise – noch so eine umstrittene Corona-Maßnahme. Dabei ist die Freizügigkeit ein fundamentales EU-Recht, das “Brüssel” (also die EU-Kommission) eigentlich schützen sollte…
La police charge à cheval et tente de disperser la foule au Bois de la Cambre#Bruxelles pic.twitter.com/BkG5ZoAXDh
— Infos Bruxelles🇧🇪 (@Bruxelles_City) April 1, 2021
Siehe auch “Lockdown: Proteste und Festnahmen in Brüssel und Wien” sowie meinen Beitrag für die taz: “Jagdszenen im Brüsseler Stadtwald”
P.S. Immerhin will die Regierung nun der Frage nach gehen, ob der Einsatz von Polizeipferden angemessen war. Mehrere Menschen wurden von berittenen Polizisten überrannt und verletzt…
Ute Plass
2. April 2021 @ 15:09
“Beschädigte Justiz – Die Krise unseres Rechtsstaates”
https://1bis19.de/gesellschaft/beschaedigte-justiz-die-krise-unseres-rechtsstaates-zwanzig-eins-3/
Ute Plass
2. April 2021 @ 15:03
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weichen zunehmend einem Hygiene-Staat.
Was mich erschüttert, ist dass die Masse einem Gefährdungsnarrativ
anhängt welches sich auf PCR-Tests gründet, die keinerlei Aussage über
Krankheit und Infektionen treffen können.
Wir sind auf dem Weg in eine Art von Gesundheitsdiktatur.
https://www.clemensheni.net/ist-steffen-seibert-ein-anhaenger-des-zerocovid-totalitarismus/
c.w.
2. April 2021 @ 14:40
mein gott, das waren meist fröhliche, feiernde junge menschen.
wo sind wir als sog. westliche wertegemeinschaften bloss hingekommen?
worum geht es hier eigentlich noch?
geht es nur noch um autoritäres gehabe?
wenn wir jetzt nicht die notbremse ziehen, landen wir aufgrund solcher überzogener staatlicher maßnahmen, die m.e. ganz klar staatliche gewalt schutzbedürftigen gegenüber beinhalten, wieder in der barbarei.
wer dazu schweigt, mit den schultern zuckt, unentschieden ist oder dieses vorgehen gar richtig findet und verteidigt, kann die menschenrechte und die ganzen hochgehaltenen werte von humanität gleich in die tonne kloppen und anzünden.
um den entstandenen schaden auszugleichen, gibt es jetzt nur noch eins: die bankrotterklärung der verantwortlichen in den parlamenten und in den verwaltungen, rücktitte, strafrechtliche verfahren wegen misshandlung von schutzbefohlenen, eine entschuldigung bei der jungen generation und ein geamtgesellschaftlicher diskurs darüber, wie eine gesellschaft/ein staat organisiert werden muss, dass solche gewalthandlungen nicht mehr stattfinden (selbstverständlich ohne diejenigen, die es so weit kommen haben lassen).
diese ganze unverhältnismäßigkeit staatlichen handelns hat m.e. mit den überzogenen und rechtlich fragwürdigen coronamaßnahmen begonnen. da ist einiges aus dem ruder gelaufen.
stopp, es reicht!
ebo
2. April 2021 @ 15:54
Richtig. Da war keine Spur vom Schwarzen Block, gewaltbereiten Jugendlichen oder Querdenkern. Es waren ganz normale Schülerinnen und Schüler, die meisten so 14-17 Jahre alt. Die Polizei hätte sie einfach nach Hause schicken können, zur Not auch die Personalien aufnehmen. Aber es wurde nicht einmal versucht, zu deeskalieren. Es wurde gleich draufgehauen und – das gibt es in Deutschland wohl nicht mehr – mit berittenen Pferden Angst und Schrecken verbreitet. “Die Menge auseinander treiben” nennt man es wohl. Ein Video zeigt, wie ein Mädchen von einem Pferd umgerannt wurde – und kein Polizist oder Sanitäter kam, um ihr zu helfen!
c.w.
2. April 2021 @ 19:05
ja, und in den “qualitätsmedien”, wie z.b. dem deutschlandfunk wird weder das alter der feiernden erwähnt, noch dass es ein belgisches gericht die regeln für unrechtmäßig erklärt hat. dort wurde, zumindest heute vormittag, nur von 2000 menschen, einem illegalen massentreffen und von 26 verletzten polizisten berichtet. die 4. gewalt versäumt damit wieder einmal, ihre aufklärerische und korrigierende funktion wahrzunehmen und betätigt sich stattdessen weiterhin in geschäftsmäßiger manier als totengräber einer demokratischen gesellschaftsordnung, während der jugend europas droht, immer mehr zu einer “verlorenen generation” zu werden. das war schon nach der finanzkrise 2007/2008 so und hat sich durch den coronakrieg noch verschärft.
https://www.wiwo.de/politik/ausland/jugendarbeitslosigkeit-die-verlorene-generation/14645522.html
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-jugend-kinder-folgen-100.html
https://www.arbeit-wirtschaft.at/jugendarbeitslosigkeit-verlorene-generation/
ebo
2. April 2021 @ 19:58
Das hat mich auch geärgert. Selbst der “Spiegel” erklärt die improvisierte Schüler-Fete zu einem “illegalen Massentreffen” – so dass die meisten Deutschen sofort an Querdenker & Co. denken dürften. Doch damit hat diese Jugendbewegung überhaupt nichts zu tun. Über die Details des brutalen Polizeieinsatzes wird praktisch gar nicht berichtet. Ich habe sie nochmal für die taz aufgeschrieben, siehe hier
El Zorro
2. April 2021 @ 13:10
Sie schreiben sinngemäß:
“Ich habe eine Polizei gesehen, die sich wenig um rechtliche Probleme schert – und stattdessen ohne zu zögern auf ihre eigenen Kinder einprügelt. Ist Belgien noch ein Rechtsstaat? Diese Frage stellt sich (fast) allen in der EU” – nicht den Schweden z. B.. Von ihnen will keiner lernen. Im Gegenteil: Sie werden – ad majorem Coronae gloriam – zweckdienlich ignoriert.
Ich sehe Polizeistaaten, die dem Wahnsinn verfallen sind – Corona als Vehikel benutzend – per Rechtsbeugung (Seuchengesetze) Verfassung und Grundrechte nach Belieben aushebeln zu können. Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Die sich anbahnende Revolution wird ihre Kinder nicht fressen – sondern d i e Kaste von Politikern, die weder Gesetz noch Moral kennt. Hough!
Thomas Fiedler
2. April 2021 @ 12:24
Die belgische Polizei hatte schon immer eine robusteres Auftreten als die deutsche. Beispiele: Drei zu Fuß patroullierende, hünenhafte Polizisten mit scharfen Schäferhunden schafften es in den 80ern an Samstagen in Oostende locker, Hunderte besoffener Engländer zurück auf die letzte Fähre nach Dover zu komplimentieren. Da muckte niemand. Lassen Sie sich, anderes Beispiel, mal nach einer Geschwindigkeitskontrolle von der belgischen Polizei anhalten und wagen Sie es zu widersprechen. Es gab Zeiten, in denen die belgische Polizei um 5 Uhr früh in Wohnungen eindrang, um Ehebrecher in flagranti zu überraschen. Die beherzte Zugriffsbereitschaft der belgischen Polizei steht in umgekehrter Poportionalität zur Leistungsfähigkeit des “nearly failed state” Belgien. Aber egal: Belgien war schon immer ein bisschen crazy, aber dafür umso liebenswerter. Ich sehne mich danach, wieder einmal mit Freunden durch die Brüsseler Innenstadt schlendern und im “La Mort subite” ein leckeres Kriek trinken zu können.
MariL
2. April 2021 @ 10:19
Moment, in dem Artikel fehlt doch was.
Das war eine organisierte Veranstaltung. Schon nicht das Gleiche. Wenn die Franzosen dergleichen über mehr als eine Woche dulden, macht man sich über sie lustig…
ebo
2. April 2021 @ 10:52
Was heißt hier organisiert? Es gab Aufrufe, die klar als Aprilscherz gekennzeichnet waren. Im übrigen treffen sich die Kids hier seit Wochen schon im Park oder Wald, auch ohne Aufruf. Ist in Berlin und Hamburg ja nicht anders.
MariL
2. April 2021 @ 09:41
Da hätten sie mal besser die Schulen offen gelassen. Da sind die Kiddies geordnet mit einem gewissen Abstand aufbewahrt. Dies ist die noch-Schul-aber-nicht-Schul-Woche.
ebo
2. April 2021 @ 09:57
Richtig. Das ist ohnehin das große Mißverständnis bei den Lockdowns. Sie sorgen nur scheinbar für mehr Abstand und “Ordnung”.