Nur bei Putin ist sich die EU noch einig (halbwegs)
Der Konsens in der Tagespolitik ist futsch, eine gemeinsame Zukunftsvision gibt es auch nicht. Im Grunde wird die EU nur noch durch das Feindbild Putin und den Krieg in der Ukraine zusammengehalten. Dies zeigen die Flops der letzten Tage in Brüssel.
So haben sich die Fronten im Streit um einen europäischen Gaspreisdeckel weiter verhärtet. Ein Vorschlag der EU-Kommission sorgte beim Treffen der 27 Energieminister am 24.11. für so viel Ärger, dass auch eigentlich unstrittige Themen auf die lange Bank geschoben wurden.
“Es war eine hitzige Debatte”, räumte der tschechische Minister Jozef Sikela als Vorsitzender des Energierats nach dem Treffen ein. Man habe sich nicht auf einen Preisdeckel einigen können und werde sich am 13. Dezember erneut treffen.
Der Streit um die Energiepolitik ist nicht das einzige Beispiel für Blockaden. Die EU hat in vielen wichtigen Politikbereichen massive Probleme. Ein Dauerbrenner ist die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Seit 2015 gilt „rien ne va plus“ – nichts geht mehr.
Auch bei der Reform der Schuldenregeln geht es nicht voran. Auch hier fährt Deutschland eine harte Linie, die vielen nicht passt. In der Handelspolitik schließlich lähmen sich die EU-Länder so sehr, dass sie keine Antwort auf die Subventionen der USA finden.
Der Konsens in der Tagespolitik ist futsch, eine gemeinsame Zukunftsvision haben die 27 auch nicht mehr. Sie sind sich nicht einmal einig, was mit den Ergebnissen der „Konferenz zur Zukunft Europas“ geschehen soll! Deshalb liegen alle wichtigen Reformen auf Eis.
Im Grunde wird die EU nur noch durch das neue Feindbild Putin und den Krieg in der Ukraine zusammengehalten. Doch wehe, einer fragt nach der EU-Strategie oder einer Vision für die Zeit nach dem Krieg. Sofort geraten sich Ost- und Westeuropäer in die Haare.
Denn auch an dieser Front ist man sich letztlich nicht einig…
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Newsletter “Watchlist EUropa”. Mehr davon hier
Arthur Dent
25. November 2022 @ 23:18
Man muss sich von der Illusion befreien, supranationale Institutionen mit einer eigenen demokratischen Legitimität versehen zu wollen. Trotz aller berechtigten Kritik an der EU, der Zusammenschluss der verschiedenen Staaten stellt eine zivilisatorische Errungenschaft dar, die man nicht leichtfertig auf´s Spiel setzen sollte. Vielleicht liegt jetzt aber schon ein Zuviel an Integration vor. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass die wirtschaftsliberale Agenda der EU ebenso demokratie- wie gerechtigkeitsfeindlich ist. Man sollte sich daher überlegen, welche Regulierungskompetenzen wieder auf eine einzelstaatliche, bzw. auf eine regionale Ebene zurückverlagert werden können und welche Bereiche supranational gestärkt werden können.
ebo
26. November 2022 @ 00:56
Natürlich ist die EU eine zivilisatorische Errungenschaft, auch und gerade wegen der unterschiedlichen Interessen und vielen Probleme. Aber sie ist und bleibt eine Union der Staaten, nicht der Bürger. Und nun verwandelt sie sich vor unseren Augen in einen Überstaat, der sich dem Bürgerwillen entzieht. That’s the problem. Hat übrigens schon Enzensberger beklagt
Machiavelli
25. November 2022 @ 18:33
Das kommt davon, wenn 27 Staaten mit sehr unterschiedlichen Interessen glauben, eine politische Union bilden zu können, vor allem wenn einige Länder sich als Anhängsel der USA begreifen, die nicht zögern, diese Rolle zu übernehmen, um zusammen mit osteuropäischen Ländern Europa zu spalten. Bislang sind die Probleme in der EU mehr schlecht als recht mit Geld zugeschüttet worden. Das ist jetzt vorbei, und nun zeigt sich, dass die EU in dieser Verfassung keine Zukunft hat. Schade, war aber vorhersehbar…
ebo
25. November 2022 @ 18:45
Ja, ich komme auch zunehmend zu dem Schluß, dass es nicht nur unterschiedliche, sondern sogar unvereinbare Interessen in Europa gibt. Damit wäre allerdings das gesamte EU-Narrativ hinfällig. Es beruht ja auf Kompromiss und Interessenausgleich… Ein weiteres Problem ist, dass die EU zwar Regeln und Gesetze beschließen, aber nicht durchsetzen kann. Das müssen in der Regel die Mitgliedsstaaten tun. Doch die haben immer öfter keine Lust mehr…