Nicht repräsentativ, nicht transparent, nicht nachhaltig
Was bleibt von der Europapolitik der vergangenen Woche? Das Europaparlament wählt eine neue Präsidentin und rückt nach rechts. Die EU-Kommission will keine Transparenz bei den SMS zu Biontech/Pfizer. Und der Streit um die Nachhaltigkeit von Atom und Gas geht in die nächste Runde.
Wir hatten versucht, im neuen Jahr das Positive zu sehen. Doch in der vergangenen Woche stand das Negative im Vordergrund, leider. Das Säbelrasseln um Russland und die Ukraine wird immer lauter, die USA und viele Nato-Länder haben mit der Mobilmachung begonnen und Waffen an die vermeintliche Front geschickt.
Die EU spielt dabei immer noch eine Nebenrolle – trotz des Vorschlags von Präsident Macron, die Europäer sollten einen eigenen Vorschlag für eine neue Sicherheitsordnung erarbeiten. “Politico” erklärte Macron daraufhin zum Sicherheitsrisiko – genau wie US-Präsident Biden :-)
Während der Kalte Krieg 2.0 immer heißer wird, waren die EU-Politiker mit anderen Dingen beschäftigt. Im Europaparlament wurde eine neue Präsidentin gewählt, die nicht nur gegen Abtreibung ist, sondern auch über keinerlei Hausmacht verfügt. Sie ist komplett von der EVP abhängig.
Die Frau aus Malta startet mit einer schweren Hypothek in den neuen Top-Job. Sie gilt als Kandidatin Manfred Webers, ohne dessen offene Unterstützung sie nie in diese Position gekommen wäre. Manche sprechen sogar von einer Strohfrau, mit der die deutschen Konservativen ihren Einfluss in der EVP ausbauen wollten.
Der Tagesspiegel
Die konservative Parteienfamilie führt nun, gemeinsam mit den Liberalen, praktisch alle wichtigen EU-Ämter. Den Sozialdemokraten ist nur der Außenbeauftragte Borrell geblieben. Repräsentativ ist das nicht, wenn man an den Machtverlust der CDU/CSU und den (relativen) Aufstieg der Sozis in EUropa denkt.
Die EVP führt nur noch kleine Staaten wie Österreich oder Griechenland – doch in der EU gibt sie den Ton an. Das kann nicht richtig sein – zumal sich EVP-Fraktionschef Weber nun auch noch auf dubiose Deals mit der rechtskonservativen EKR und der polnischen PiS einlässt.
Derweil tut die EU-Kommission alles, um nicht minder dubiose Deals mit Biontech/Pfizer zu vertuschen. Die SMS, in denen Kommissionschefin von der Leyen ihre Geschäfte eingefädelt hat, werden nicht veröffentlicht, teilte Justizkommisarin Jourova mit.
Leyens neue SMS-Affäre wird also nicht aufgeklärt, die dunkle Seite der Macht nicht aufgehellt. Wir hatten dies mehrfach beklagt, nun ist es definitif. Dass das Europaparlament den Schneid hat wie der Bundestag und einen Untersuchungsausschuß einsetzt, glaube ich nicht.
Am Ende der Woche kochte dann auch noch der Streit um die Taxonomie und die angeblich nachhaltigen Energieträger Atom und Gas wieder hoch. Die Bundesregierung protestiert – sie will das Atom aus der EU-Empfehlung streichen, das (vorwiegend russische) Gas aber festschreiben.
Honni soit qui mal y pense 🙂
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Kleopatra
23. Januar 2022 @ 08:49
Meines Wissens ist die EVP noch die stärkste Fraktion im EP. Und das ist das einzige, was für die Wahl zum Präsidenten des EP zählt. Und welche „Hausmacht“ soll ein Kandidat einer großen Fraktion außer seiner Fraktion haben? Freilich ist der Posten als Parlamentspräsident für Politiker, die echte Macht wollen, wahrscheinlich weniger interessant.
ebo
23. Januar 2022 @ 11:34
Nun, wer kennt Metsola außerhalb von Malta? Wie groß ist das politische Gewicht des kleinsten EU-Landes? Es geht gegen Null.
Zum Vergleich können wir EVP-Fraktionschef Weber heranziehen. Er kommt aus dem größten EU-Land, zieht seit Jahren in Brüssel die Strippen und war sogar Spitzenkandidat bei der Europawahl.
Wenn Weber gewollt hätte, wäre er jetzt Präsident des Europaparlaments – genau wie M. Schulz vor ein paar Jahren. Das ist eine ganz andere Gewichtsklasse…