Kurz & Co. reden wie Merkel – vor Corona
Österreichs Kanzler Kurz hat im Namen der „sparsamen Vier“ einen eigenen Recovery-Plan vorgelegt. Kurz verkauft ihn als „Gegenentwurf“ zum Merkel-Macron-Vorschlag – dabei kann die Kanzlerin damit sehr gut leben.
Der am Samstag in Wien veröffentlichte Alternativvorschlag der „sparsamen Vier“ (Österreich, Dänemark, Niederlande und Schweden) lehnt eine Vergemeinschaftung von Schulden ausdrücklich ab.
Statt eine schuldenfinanzierten 500 Milliarden-Euro-Fonds – wie bei Merkel und Macron – sieht er eine auf zwei Jahre befristete Nothilfe in unbestimmter Höhe vor. Und statt Zuschüssen soll es rückzahlbare Kredite geben.
Eine Überraschung ist das nicht. Denn im Grunde wiederholen Kurz & Co. nur ihr altes Mantra: keine EU-Schulden, keine „verlorenen“ Zuschüsse – und auch kein höheres EU-Budget. Der Haushalt soll stattdessen „modernisiert“ werden.
Ganz ähnlich hatten sie schon im Februar argumentiert, beim gescheiterten ersten Budgetgipfel. Damals wußten sie noch Merkel an ihrer Seite. Noch vor ein paar Wochen hätte die Kanzlerin denn wohl auch den Kurz-Plan unterschrieben.
Dass Merkel ihre Position mittlerweile geändert hat (warum, steht hier), bedeutet nicht, dass sie mit dem „Gegenentwurf“ nicht sehr gut leben könnte. Um das zu verstehen, muß man sich das weitere Verfahren vor Augen führen.
Zunächst einmal (am Mittwoch) wird die EU-Kommisison ihren Entwurf für ein „Recovery Instrument“ und das nächste EU-Budget vorlegen. Darin dürfte sie sowohl den Mercron-Plan als auch den „Gegenentwurf“ berücksichtigen – erster Kompromiss.
Danach müssen sich die 27 EU-Staaten auf Basis des Kommissionentwurfs zusammenraufen. Dabei dürfte vor allem Macron noch mehr Wasser in seinen Wein gießen, während Merkel auf die „sparsamen Vier“ zugehen wird – zweiter Kompromiss.
Die endgültige Einigung, an der auch noch das Europaparlament mitwirkt, wird erst im 2. Halbjahr erwartet. Dann hat Merkel den EU–Vorsitz übernommen (Start am 1. Juli), und kann erneut eigene Akzente setzen – für den dritten Kompromiss.
Da trifft es sich doch gut, dass viele der Forderungen aus Wien – z.B. bei der „Modernisierung“ des Haushalts, aber auch bei den Beitragsrabatten – vom Berliner Kanzleramt geteilt werden. Die Dinge laufen auf Merkel zu, wieder einmal…
Siehe auch „Recovery-Plan: Zwischen Kurz und Hamilton“
European
25. Mai 2020 @ 11:35
Sebastian Kurz bedient sehr kurzfristige politische, und sehr nationalistische Narrative und beherrscht offenbar die Grundrechenarten nicht. Manchmal zahlt es sich doch aus, wenn man zumindest eine abgeschlossene Ausbildung hat.
Italien ist drittgrößtes Exportland für Österreich. Wenn nun die Italiener durch mehr Kredite und Austerität gezwungen werden, den Gürtel noch enger zu schnallen, fällt dieser Markt weg. Griechenland ist ein exzellentes Beispiel, wohin so etwas führt. Weiterhin ist Italien Nettozahler der EU und hatte – mit Ausnahme 2008 – immer Primärüberschüsse. Konnte Österreich auch nicht.
Kurz fährt gerade ein groß angelegtes buy-local-Programm für landwirtschaftliche Produkte. Lebensmittel sind aber auch gewichtige Exportprodukte. Wenn nun die anderen Länder auch buy-local gehen, brechen in Östereich die Einnahmen weg.
Die Niederlande sind das größte Steuerparadies in der EU. Spanien und Italien verlieren dadurch jedes Jahr mind. 10 Mrd. Euro an die Niederlande. Dann „solide Haushaltführung“ zu verlangen, ist mehr als Hybris.
Die Südländer – einschl. Frankreich – haben weniger ein Ausgaben-, denn ein Einnahmenproblem. Sie haben das Level von vor 2008 noch nicht wieder erreicht, was auch mit der Beggar-Thy-Neighbor-Wirtschaft der Deutschen zu tun hat. Man muss einfach nur gegen die vereinbarten Regeln spielen und schon läuft der Laden.
Das ganze wäre noch nicht so schlimm, wenn es nicht dazu benutzt würde, bereits vorhandene rassistische Narrative zu bedienen. Der Schuldige ist immer schnell gefunden, befindet sich südlich der Alpen und hat sowieso noch nie etwas von Wirtschaft verstanden.
Mehr Selbstkritik ist dringend notwendig.
Peter Nemschak
25. Mai 2020 @ 14:40
Italien wird so oder so nicht untergehen. Eine bessere Governance würde dem Land nicht schaden. Solidarität zwischen unabhängigen Nationalstaaten hat Grenzen, die dadurch gesetzt werden, dass die nationalen Politiker ihren Wählern verantwortlich sind.
European
25. Mai 2020 @ 15:49
@Peter Nemschak
Sie missverstehen mich. Italien wird natürlich nicht untergehen, aber dazu brauchen sie auch nicht Ihre Weisheit bezüglich der governance.
Nationale Politiker sind ihren Wählern verantwortlich. Damit haben Sie absolut Recht. Aber wer nimmt die deutsche Politik in Haftung? Fast die Hälfte der Deutschen bezahlt dieses System, das nicht nur ihnen selbst massiv schadet, Lebensbiographien zerstört, sondern auch den anderen. Ein Friedrich Merz träumt schon von der Agenda 2030. Wieviele Nichtsverdiener und Altersarme sollen es denn dann sein? 60%, 75%?
Aktuell kann fast die Hälfte der Bevölkerung kein Vermögen bilden, nichts zusätzlich zur gesetzlichen Rente als Altersvorsorge zurücklegen. Wieviele sollen es denn dann sein, wenn wieder mal der Gürtel enger geschnallt werden soll?
Statt Gerechtigkeit im Land einzufordern, suchen sie gemeinsam die Schuldigen außerhalb.
Man könnte fast ein altes, vergessen gehofftes, Muster daraus lesen.
Lesenswert dazu:
https://braveneweurope.com/mathew-d-rose-germany-its-deja-vu-all-over-again
„So Germany’s oligarchy devised a bold plan. Give the PIIGS & Friends 500 billion euros, then transfer the costs to those Germans who still pay taxes, the 99%, through a new and better round of austerity, completing still another massive transfer of wealth to Germany’s 1%.“
„Part of the Black 0 narrative has been the traditional racist cant about lazy, corrupt, spendthrift Southern Europeans, not to mention the Eastern Europeans, all of whom have only one goal in life: stealing German treasure. The Black 0 has proven teutonic fiscal virtue and racial superiority. The rest of Europe simply needed a bit of German fiscal discipline and all would be fine – as the past 10 years have proven not to be the case.“
Im unten angegebenen Flassbeck-Artikel kann man sehr schön die Finanzierungssalden Deutschland’s erkennen und genau sehen, wie ab dem Zeitpunkt der Agenda 2010 die deutschen Unternehmen zu massiven Nettosparern wurden. Gleichzeitig stiegen die prekären Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit, Ein-Euro-Jobs. Verbunden mit der aktuellen Mietsituation birgt das jede Menge Sprengstoff.
Mit welchem Recht verlangt Deutschland von anderen Reformen und welche?
https://braveneweurope.com/heiner-flassbeck-common-sense-and-macroeconomic-logic
Und selbst nachgewiesene Steuerparadiese spielen keine Rolle mehr? Kein Protest?
Betrifft alles nur die anderen?
Claus Hiller
23. Mai 2020 @ 20:21
Im hier verlinkten vorigen Beitrag „Warum sich Merkel bewegen mußte“ lese ich: „Als Gewinner muss man jedoch großzügiger sein – insbesondere dann, wenn man auch künftig von der EU und ihrem lukrativem Binnenmarkt profitieren möchte. Dies hat Merkel erkannt – und sich gerade noch rechtzeitig bewegt.“
Verstehe ich diese Logik richtig? Damit Deutschland weiterhin vom lukrativen EU-Binnenmarkt profitiert und seinen Ruf als „Exportweltmeister“ verteidigen kann, muss Frau Merkel (korrigiere, der deutsche Steuerzahler) Hunderte von Milliarden Euro verschenken (Merkel / Macron Version 1.0) oder jetzt zumindest dafür haften, (Merkel Version 2.0), damit dann die Länder, die auch vor Corona schon Pleite waren, von diesem ihnen dann von der EU zugeteiltem Corona-Geld Waren in Deutschland kaufen können? Und das bei den Steuer-Mindereinnahmen, die auch Deutschland verkraften muss? Welch ein geniales Geschäftsmodell!
PS: Ob in Berlin und Brüssel bekannt ist, dass die Club Med-Länder keine unerheblichen Goldreserven im Keller haben? Stand heute, geschätzt:
* Frankreich: 125 Milliarden Euro
* Italien: 126 Milliarden Euro
* Spanien: 15 Milliarden Euro
* Griechenland: 6 Milliarden Euro.
Nun denn. Vermutlich wollen die Länder ihre Bestände schön festhalten und nicht für dieses, jenes oder Corona-Schäden verpfänden oder gar verplempern, Was man hat, das hat man. Und eine Währung nach dem Euro könnte goldgedeckt sein.
Peter Nemschak
24. Mai 2020 @ 12:11
(West)Deutschland hat schon vor dem EU-Binnenmarkt von der damaligen EWG und der geopolitischen Situation profitiert. Übrigens eine Gemeinschaftsanleihe der damaligen EWG mit anteiliger Mitgliederhaftung gab es bereits 1975, um durch die Erdölkrise in Zahlungsbilanzschwierigkeiten geratene Länder zu unterstützen. Italien war damals der prominenteste Unterstützungsempfänger.
Peter Nemschak
23. Mai 2020 @ 20:00
Der Merkel Plan ist keine Vergemeinschaftung im Sinne einer Solidarhaftung für das aufgenommene Kapital. Was ihn vom Gegenentwurf der Vier unterscheidet ist, dass er nicht von verlorenen Zuschüssen sondern von Krediten an die Begünstigten ausgeht. Wie werden die Osteuropäer darauf reagieren ?
ebo
23. Mai 2020 @ 20:11
Richtig. Der Kompromiss dürfte sein, dass von der Leyen sowohl Kredite als auch Zuschüsse vorschlägt. An der Schulden-Finanzierung wird man wohl festhalten, denn die EU Beiträge reichen bei weitem nicht aus. Und die ursprünglich geplanten Rechentricks will auch keiner mehr…
Peter Nemschak
23. Mai 2020 @ 20:54
Über kurz oder lang wird die EU eigene Einnahmen erschließen müssen. Ohne bundesstaatliche Struktur wird der Streit um die Besteuerungshoheit weitergehen.