Europawahl: “EU könnte unregierbar werden”
Der Chef der Liberalen im Parlament warnt, nach der Europawahl könne die EU “unregierbar” werden. Really?
Es gebe ein reales Risiko, dass “es populistischen Parteien gelingt, eine Sperrminorität im Parlament zu erlangen”, sagte der Franzose Stéphane Séjourné in Brüssel. In einem solchen Fall werde es schwierig, überhaupt Mehrheiten zu bilden.
“Das Risiko eines unregierbaren Europa ist ziemlich groß”, so der Chef der liberalen Renew-Fraktion. Die Schuld schob er nicht nur Nationalisten und Rechtspopulisten zu, sondern auch der konservativen EVP.
Nach der Wahl werde es eine “Neuzusammensetzung” des Parlaments geben, so Séjourné. Die EVP, die der deutsche CSU-Politiker Weber führt, könnte eine “Allianz mit den nicht Frequentierbaren” eingehen.
Dies ist tatsächlich eine Möglichkeit. In diesem Fall würde allerdings die bisherige ganz große Koalition aus EVP, Sozialdemokraten, Liberalen (derzeit die Nummer drei) und Grünen platzen.
“Unregierbar” würde die EU aber immer noch nicht. Denn nach der Wahl gibt es ja keine Regierungsbildung im klassischen demokratischen Sinne. Die neue EU-Kommission wird ernannt – auf Vorschlag der 27 EU-Staaten.
Zudem ist nicht zu erwarten, dass Rechte und Nationalisten wirklich eine Sperrminorität im neuen Parlament erreichen. Umfragen sehen die rechte Fraktion “Identität und Demokratie”, der auch die AfD angehört, auf dem dritten Platz.
Damit würden sie die Liberalen verdrängen, sie wären dann nicht mehr Zünglein an der Waage oder gar “Königsmacher”. Vielleicht ist Séjourné deshalb so besorgt?
Art Vanderley
12. Januar 2024 @ 20:24
@monika
Tiefer Staat der USA, naja, sonst Zustimmung. Die Milchbubisierung der Politik ist augenfällig. Direkt aus der Wiege an die Spitze der Politik, mit entsprechender Kompetenz und Lebenserfahrung.
Monika
12. Januar 2024 @ 23:20
Hatte gestern ein Telefonat mit einer altgedienten Parteigenossin aus dem “mittleren politischen Dienst”. Wir waren uns einig, dass die Verjugendlichung, die ja einhergeht mit vielen Jungpolitikern, die weder abgeschlossene Berufsausbildungen oder ein abgeschlossenes Studium haben, geschweige denn Beruf-(und damit eine gewisse Lebens-)erfahrung. Diesen Leute fehlt die “Rückfahrkarte” aus dem politischen Betrieb ins normale Leben, sie MÜSSEN ihr Leben in der Politik oder politiknahen Lobbygruppierungen fristen. Wir waren einig, dass das der Idee einer repräsentativen Demokratie auf schädliche Art zuwider läuft…
Art Vanderley
13. Januar 2024 @ 21:12
Das sehe ich jetzt wieder anders, meine Erfahrungen in der Arbeitswelt gehen in eine andere Richtung. Egal ob jung oder alt, mit oder ohne Ausbildung oder Berufserfahrung, es ist immer dieselbe Mischung- derselbe Anteil an klugen Leuten und an absoluten Vollidioten, und alles dazwischen.
Ich halte es für einen Mythos daß berufliche Erfahrung erdet, im Gegensatz zur allgemeinen Lebenserfahrung, Vorsicht vor antipolitischen Reflexen.
Politik ist genauso ein Beruf wie andere und erfordert Eigenschaften die Spezialisten oft fehlen.
Die Krisen sind eher auf einen allgemeinen Verfall zurückzuführen der in allen Berufsgruppen zu beobachten ist.
Nehmen wir mal die Bauernproteste:
Die haben schon recht, die handwerkliche, teils inhaltliche Umsetzung der Ampel ist atemberaubend dilettantisch, so kann man Transformation nicht machen.
Aber so wichtig die Landwirte sind, so toll ist ihre “Performance” jetzt auch nicht. Die Landwirtschaft ist prominent verantwortlich für Artensterben, Umweltzerstörung, teils für überflüssige Bodenerosionen und übrigens auch für Feinstaubbelastungen in Dörfern, und ein erheblicher Teil beschwert sich eher über den “faulen” Arbeistlosen anstatt mal die Frage nach der Verteilung zu stellen.
Keiner hat hier das Recht das große Wort zu führen, alle sollten erstmal vor der eigenen Tür kehren bevor sie den Breiten markieren.
Arthur Dent
10. Januar 2024 @ 13:55
Was sind Parteien? Im Grunde genommen Bürger, die sich zusammenschließen und an Parlamentswahlen teilnehmen. Ihre Aufgabe ist es, die Interessen der Bürger – und zwar aller Bürger – zu vertreten und in deren Sinne eine “gute”, gemeinwohlorientierte Politik zu machen. Dazu müssen die Bürger aber einen bestimmenden Einfluss auf die Politik haben. Haben sie? Die Sorge vor einer Sperrminorität zeigt schon, dass es vor allem um Macht und Amt und Einfluss geht – und das die politische Willensbildung genau falsch herum – von oben nach unten – verläuft.
Kleopatra
10. Januar 2024 @ 12:58
Eine Minderheit der Abgeordneten kann nur in solchen Fragen eine Entscheidung verhindern und daher als Sperrminderheit gelten, in denen eine Mehrheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder (oder der Abstimmenden) erforderlich ist. Z.B. hat eine Partei, die mehr als ein Drittel der Abgeordneten umfasst, dann eine Sperrminderheit, wenn für wichtige Entscheidungen eine Zweidrittelmehrheit verlangt wird.
Nun ist bei den meisten Entscheidungen des EP keine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (früher Mitentscheidungsverfahren) benötigt das Parlament aber oft eine Mehrheit seiner Mitglieder, wenn es Änderungswünsche gegen die Kommission und den Rat durchsetzen oder die Annahme eines Vorschlags blockieren will. Wenn jedoch das Parlament keine Änderungsvorschläge hat, die von einer Mehrheit unterstützt werden, und auch keine Mehrheit seiner Mitglieder gegen einen Kommissionsvorschlag aufbringt, kann dieser auch ohne Zustimmung des Parlaments als “Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates” beschlossen werden.
Fazit: Die Gefahr einer Sperrminderheit besteht in dieser Form nicht. Nur eine Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments könnte substanzielle Änderungen der EU-Politik erzwingen.
ebo
10. Januar 2024 @ 13:32
So ist es. Danke für die Klarstellung!
Kleopatra
13. Januar 2024 @ 09:12
Was die Liberalen wirklich zu befürchten scheinen, ist die Möglichkeit, dass die EVP öfter zusammen mit den „Rechten“ gegen Legislativvorschläge stimmen könnte (vgl. neulich in Umweltfragen, die die Landwirtschaft betrafen), und dabei Kommissionsvorschläge abgelehnt werden könnten. Allerdings kann von einer Partei/Fraktion ja schlecht mit moralischer Argumentation verlangt werden, dass sie gegen ihre eigenen Überzeugungen oder die wahrgenommenen Interessen ihrer Wähler stimmt. Auch hier könnte aber von einer Sperrminorität keine Rede sein, sondern nur wenn insgesamt eine Mehrheit der Abgeordneten gegen einen Vorschlag stimmt, ist er abgelehnt. Dass ein Gesetzesvorschlag abgelehnt ist, wenn er im Parlament eine Mehrheit gegen sich hat, ist ein völlig demokratischer Vorgang, egal wie sinnvoll man den konkreten Vorschlag finden mag.
Monika
10. Januar 2024 @ 11:11
„Problem mit einer fundamentalistischen Basis“…
diese „Probleme“ haben alle Parteien, nicht nur in Deutschland.
Frankreich z.B. hat jetzt gerade einen Young Global Leader (aus dem selben Ausbildungsjahrgang wie Baerbock und Sanna Marin) zum jüngsten Premierminister aller Zeiten in Frankreich gemacht. Als ob jugendliche Überheblichkeit gepaart mit Großmannsucht und wenig Geschichtsbewußtsein sowie Lebenskenntnis ein Wert sind, die einen Regierungschef ausmachen. Ein weiterer Sebastian Kurz sonst nichts, mit eben dieser politischen Lebensdauer, in der viel Sch… angerichtet werden kann, siehe Finnland und nicht zuletzt unsere Chefdiplomatin vom Dienst. Diese Leute sind schlicht Einflußagenten des tiefen Staats der USA und wir Idioten lassen uns diese Aufblaspuppen als „sexy Partner“ verkaufen. Ganz große Staatskunst….
Peter Michael
10. Januar 2024 @ 10:17
Welche Überheblichkeit – als ob ein “regieren” nur mit linken Ideen und Ideologie mit mutmaßlich hochkorrupten Strukturen klappen könnte – im Gegenteil. Die Bürger Europas haben was besseres verdient.
Arthur Dent
10. Januar 2024 @ 00:13
Für eine Demokratie braucht man ein Staatsvolk – die EU hat keins, oder eben ganz viele, was auf dasselbe hinausläuft. Halten wir mal fest – die EU ist keine Demokratie. Eine Bürgerschaft setzt so etwas wie ein Staatswesen voraus – hat die EU aber auch nicht. „EU-Bürger“ ist ein Euphemismus.
Pistorius als beliebtester Politiker der Republik – mein lieber Herr Gesangverein, lasst es mich mal so sagen: die Herzen der Jugend fliegen ihm eher nicht zu, jedenfalls geht kaum einer freiwillig zum Bund. Pistorius hat jetzt schon mal ein Jahr Zeit gehabt eine schlagkräftige Truppe zu formen, die Bundeswehr steht heute „gerupfter“ da als zu Lambrechts Zeiten. Um eine Wehrpflicht wieder einzuführen, fehlt es der Armee an Ausbildern, Unterbringungsmöglickeiten, vermutlich auch an Uniformen und Ausrüstung. (Die SPD war übrigens von den letzten 25 Jahren 21 Jahre in Regierungsverantwortung. Pistorius war zehn Jahre Innenminister in Niedersachsen. Der Hochwasserschutz hat noch Luft nach oben.)
Herr Lindner ein Liberaler? Hahaha- vielleicht mal mit Walter Eucken vergleichen. Die Staatsfinanzen sind bei ihm in besten Händen? Hahaha. Die FDP setzt sich für die Freiheit der Bürger ein? …
Art Vanderley
9. Januar 2024 @ 20:59
Die Liberalen hatten ihre Chance mit einer guten Coronapolitik in Deutschland. Kurz vor der Wahl hätten sie sich am Parteitag frei machen können von der Ideologie der schwarzen Null und der Schuldenbremse.
Leider haben sie das nicht begriffen und glauben bis heute für ihre neoliberale Seite gewählt worden zu sein und suchen daher ihr Heil in der immer weiteren Zuwendung zu dieser Seite, obwohl ihnen die Umfragen mit Anlauf ins Gesicht springen, daß das ein Irrweg ist.
Wie auch die Grünen haben die Liberalen ein Problem mit einer fundamentalistischen Basis, während man bei den einen an den Stuß vom Minuswachstum glaubt, besteht die Mitgliederschaft der FDP aus etwa einem Drittel, vielleicht mehr, an Leuten die während der Führung Westerwelles in die Partei eingetreten waren und die meisten wegen seines Kurses.
Die sind da jetzt und irrlichtern umher, wohl ahnend daß die neolibarele Ära ihrem Ende zuneigt, aber gleichsam unfähig, neue Gedanken zu entwickeln.
Könnte mir vorstellen daß es in Europa überall ähnlich aussieht.
european
9. Januar 2024 @ 20:13
„Unregierbar“ würde die EU aber immer noch nicht.“
Natürlich nicht, denn sie ist keine Regierung. Trotzdem ist die Formulierung insofern interessant, weil derjenige offensichtlich bisher geglaubt hat, dass die EU eine Regierung ist und er Teil davon ist. Und genau das ist das Problem bzw. die Fehlkonstruktion des „Raumschiffes Brüssel“. Ebo, Sie haben dieses treffende Bild einmal geprägt und da ist soviel Wahres dran. Ein geschlossener Raum, der über allem schwebt und offensichtlich den Kontakt zum Bodenpersonal nur zum Tanken braucht.
In Deutschland befinden sich die Liberalen auf dem Sturzflug. Die letzten Umfrageergebnisse waren unter 5%. Es ist die Frage, wan Lindner doch die Reißleine zieht. Bei SPD und Grünen ist auch noch deutlich Luft nach unten. Es brodelt und noch zeigt sich die Regierung unbeeindruckt von den Demonstrationen der Bauern und dem Generalstreik. Es ist doch klar. Die Russen sind daran schuld und wenn nicht die, dann die Rechten, die Reichsbürger, die Nazis, alle anderen eben. Mal sehen, wie das Ganze am Ende der Woche aussieht. Pistorius läuft sich schon mal am Spielfeldrand warm, um ggf. zukünftig den Kanzler zu spielen. Entsprechende „Umfrageergebnisse“ wurden schon in weiser Voraussicht veröffentlicht.
Spannende Zeiten. Schlecht für die vielen, die aktuell dabei wirtschaftlich unter die Räder kommen. Die Tafeln wissen sich nicht mehr zu helfen.
Art Vanderley
9. Januar 2024 @ 21:48
Pistorius ist in der Gesamtbevölkerung beliebt, aber nicht zwingend beim Wählerpotential der SPD, warum sonst profitiert die Partei nicht von ihm?
KK
10. Januar 2024 @ 09:59
Seit seiner Forderung nach “Kriegstüchtigkeit” heisst der bei mir nur noch Pistolerius, und Kriegsminister sowieso.
Skyjumper
9. Januar 2024 @ 19:51
Dass die EU – durch welches Wahlergebnis auch immer – unregierbar würde, setzte ja voraus, dass die Regierenden bei der Wahl gewählt würden. Seit wann regiert das EU-Parlament denn etwas?
Finde den Fehler. Vielleicht liegt es nur an der realitätsfremden Selbsteinschätzung eines Parlamentsmitgliedes. Vielleicht soll der Wahlviehherde aber auch nur mal wieder Angst gemacht werden.
ben
9. Januar 2024 @ 19:23
Die EU ist ein Konstrukt der Diebe und Technokraten, die sich an den Steuerzahlern der Länder bedienen. Alle Gründungsversprechen wurden gebrochen, man hat ein Bürokratiemonster gebaut, das niemandem der normalen Leute nützt. Jetzt will man jeden Bürger gläsern machen und überwachen. Die EU war noch nie und ist kein Europa der Bürger; die dienen nur als Melkkuh und Sklaven einer sich selbst bereichernden Elite. Ich würde einem Scheitern dieses Konstruktes wochenlang Beifall klatschen, denn es ist ein moralisch und ethisch völlig verdorbenes System.
Pjotr
9. Januar 2024 @ 18:35
Das wäre das Beste, was mit diesem EU-Sumpf passieren könnte! Sowas braucht kein Mensch.
KK
9. Januar 2024 @ 17:58
Und selbst wenn… dann gibts wieder Geld oder sonstige Vorteile und/oder Kaffee- und Pinkelpausen zur rechten Zeit, um sich die nötigen Mehrheiten zu sichern.
Wir kennen das…