Krieg und Wirtschaftskrieg: Versuch einer Einordnung
Seit dem 24. Februar 2022 herrscht in Europa wieder Krieg. An diesem Tag hat Russland die Ukraine überfallen. Die USA und die EU antworteten mit einem Wirtschaftskrieg gegen Russland. Was hat das eine mit dem anderen zu tun – und wie kommen wir da wieder raus? Versuch einer Einordnung.
Beginnen wir mit dem Krieg in der Ukraine. Russland hat das Land grundlos überfallen, es handelt sich eindeutig um einen illegalen Angriffskrieg. Doch ist er wirklich beispiellos, und worum geht es eigentlich? Das ist nicht so klar, wie es aussieht. Es gibt mindestens drei Deutungen:
- Russland führt einen imperialen Eroberungskrieg gegen die Ukraine, ihm könnten weitere folgen – so die westliche Sichtweise. Gelegentlich ist auch von einem Vernichtungskrieg die Rede – das behauptet vor allem Präsident Selenskyj.
- Russland und die USA bzw. die Nato führen einen Krieg um die Ukraine – das ist die russische Deutung. In diesem Narrativ geht es um eine Großmacht-Rivalität, Russland will den westlichen Einfluss zurückdrängen und einen Cordon sanitaire schaffen.
- Russland und China führen einen Krieg gegen den Westen – das ist die geopolitische Deutung, die vor allem in den USA verbreitet ist. Sie ist brisant, denn sie läuft auf eine Art Entscheidungskampf um die Weltherrschaft hinaus.
Nüchtern betrachtet, sind alle drei Deutungen übertrieben. Ähnliche Kriege hat es nach dem 2. Weltkrieg mehrfach gegeben. Kosovo, Afghanistan, Irak, Tschetschenien, Syrien, Libyen, Berg-Karabach – die Friedensordnung wurde schon oft erschüttert.
Was wir derzeit erleben, bleibt (bisher) weit hinter dem Irakkrieg zurück. Russland führt (noch) einen begrenzten Krieg des 20. Jahrhunderts, die Ukraine verteidigt sich mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts (modernste Waffen, Video, Social Media) – Ausgang ungewiß.
Seine Brisanz erhält dieser Krieg dadurch, dass er sich in Europa und noch dazu an der Frontlinie zweier Großmächte abspielt und zu einer direkten Konfrontation zwischen den USA und Russland führen könnte – wie zuletzt in der Kubakrise.
Doch während damals in letzter Minute der Frieden gesichert werden konnte, brennt es diesmal lichterloh – und beide Seiten setzen auf Eskalation. Die USA und ihre Allierten pumpen mit Waffenlieferungen sogar noch kräftig Öl ins Feuer.
Der Wirtschaftskrieg kennt keine Grenzen mehr
Zudem hat der Westen eine weitere Front eröffnet: die Wirtschaft. Im Gegensatz zum (noch) begrenzten Ukraine-Konflikt handelt es sich hier um einen im Prinzip unbegrenzten, internationalen Konflikt, der historisch ohne Vorbild ist.
Natürlich gab es schon viele Sanktionen und etliche Wirtschaftskriege. Doch kein Land wurde jemals so stark sanktioniert wie Russland, noch nie war man auf die Isolierung und Zerstörung einer ganzen Volkswirtschaft aus.
Die USA ziehen in diesen Krieg nicht nur ihre Alliierten hinein, sie wollen auch noch China, Indien und andere wichtige Player auf Linie bringen. Dies birgt erhebliches Konfliktpotential, die Weltwirtschaft steht auf dem Spiel.
Alarmierend ist auch, dass die Sanktionen direkt oder indirekt Deutschland und die EU treffen. Die europäische Wirtschaft muß in kürzester Zeit von Freihandel auf Blockade und von Interdependenz auf Autonomie umschalten.
Können Bidens Sanktionen Putins Krieg stoppen?
Für die Wirtschaftgemeinschaft EU ist dies eine riesige Herausforderung – den Folgen gehe ich im Live-Blog “Europa im Wirtschaftskrieg” nach. Wenn nicht alles täuscht, steht die EU vor der größten Bewährungsprobe ihrer Geschichte. Sie dürfte länger dauern als der Krieg.
Womit wir bei der letzten Frage wären: Wie verhalten sich die Sanktionen zum Ukraine-Krieg? Können Bidens Sanktionen Putins Krieg stoppen? Oder heizen sie ihn sogar noch an? Kommt es zum Kollaps der russischen Wirtschaft – und welche Folgen hat das?
Meine Vermutung ist, dass die Sanktionen den Krieg nicht stoppen, sondern den Konflikt eskalieren und verlängern. Selbst wenn die Waffen in der Ukraine schweigen, werden die Sanktionen noch lange nachwirken, vor allem in Deutschland und der EU.
Klar ist schon jetzt, dass beide Fronten – Wirtschaftskrieg und Ukraine-Krieg – zeitlich und räumlich entkoppelt sind. Wir haben es nicht mit einem, sondern mit zwei Konflikten zu tun – und beide könnten fatal für Europa und die EU werden…
Siehe auch unseren Live-Blog “Europa im Wirtschaftskrieg”
P.S. In den Medien werden Krieg und Sanktionen meist durcheinander geworfen. Die Wirtschaft leide wegen des Ukraine-Kriegs, heißt es. Das ist aber falsch. Die Sanktionen haben wir selbst beschlossen und die Folgen haben wir selbst verschuldet. Man hätte der Ukraine auch ohne Wirtschaftskrieg helfen können, Waffenlieferungen hätten vollauf gereicht. Das man beides macht, zeigt, dass es hier um mehr geht.
sanne
24. März 2022 @ 00:31
Danke, Holly, für diese Antwort/Erklärung, welche mir wirklich eine Stütze war/ist.
“Und das ist so schmerzhaft, das es viele (oft aus Selbstschutz) nicht tun.” Es ist so schmerzhaft, dass man damit rechnen muss, dass essentielle Fragen zur Ausgrenzung führen. Da moppt ein cancel-Regime durch Deutschland, welches diktiert, was an Hinterfragung politischer Entscheidungen ohne Kontra per Generalverdacht überhaupt möglich ist.
“In Deutschland haben wir ein Wirtschaftsmodell das ziemlich einzigartig ist”. Merkels Wirtschaftswunder? Deutschland auf der Exportliste immer Nr. 1:. der Preis ist hoch: hier dumpingpreise über Schröder eingeführt, in der eu umverteilt, Verarmung, Verelendung im eigenen Raum, in eu-Zone der Gönner mit Machtanspruch – natürlich einem abgesprochenen Machtanspruch.
“Die Deutschen möchten gerne das 3. Reich auch inhaltlich hinter sich lassen. Damit stehen die Deutschen aber ziemlich alleine da.” Man wird uns in der eu niemals aus der moralischen Schuld entlassen. Wir haben für den Lauf des Euro zu sorgen: alleine diese Währung hält Wagnisse in Schuld für uns offen, welche Otto nicht sieht, welche Welt weiß und weshalb man auch mit D so spielen kann….von allen Seiten her; auch hier sehe ich massive Fehler einer Merkel-Politik. Aber, es hilft mir ja nicht mehr, es zu sehen, jetzt oder an meinem Geburtstag, an dem der ESFS im Bundestag verabschiedet wurde, während ich Rotz und Wasser heulte.
Es wäre besser gewesen, Deutschland zu einem neutralen Staat mit ewg-Anbindung zu erklären, als dieses Konstrukt eu mit Euro zu gebähren; es geht alles schief, was man sich in übelsten Träumen nicht vorzustellen wagte. Und niemand redet darüber; man tut so, als wäre diese eu-Truppe mit mangelnder demokratischer Legitimation unsere Rettung über Krisen. Hier agieren eu und us-“Oligarchen”, vernetzt über NGO’S, welche uns per Umfragen und weiter über den “Tag des X” als Forum zur Presseberichtserstattung “Nachrichten” präsentieren, welche keine sind, aber immer einen level der Angst antreiben. Alle sind immer und überall in Sorge, und wenn wir diese Welt vor der Klimakatastrophe evtl. haben retten können – er sackt die Gelder der Steuertreiberei ein – dann kommt das nächste Ding: dann müssen wir die Welt wohl vor dem Weltraumschrott retten.
Mich ernüchtert dieses Spiel um Macht per Angst so sehr; die Aussagen um Kampf um Demokratie gilt hier im Lande wohl der Angst, dass die Bürger nicht mehr 40 Jahre warten wollen, um einen aufgeblähtem Parteienstaat beim Abbau seiner Posten im Parlament zuzusehen. Man muss sich nur vor Augen halten, dass die Präsenz des dt. Parlamentes im Vergleich seiner Bürger unsaghaft größer ist, als die Chinesen sich eines erlauben. Wo bleibt in Deutschland Mass und Mitte, wo in der eu? Und wie will man dieser überborderten ngo-Welle noch Demokratie betreiben: indem Parteien auf die Strasse gehen, wie es hier in D geschieht, weil die Bürgerproteste zu groß werden?
Armin Christ
19. März 2022 @ 15:00
Dies ist auch ein Krieg der USOligarchen (entschuldigung im Westen hißen die ja: Leistungsträger) gegen die EU und gegen die BRD. Aber “unsere” Politiker und innen sehen das nicht oder dürfen das nicht sehen.
european
19. März 2022 @ 14:25
Wir sind keine Eichhörnchen, die die Nüsse für den Winter verbuddeln. Das gilt für unser Geldsystem wie auch für das Wirtschaftssystem. Wir sind darauf angewiesen, dass alles fließt. Selbst wenn es uns gelänge, ein Land wie Russland zu isolieren, haette es aufgrund der internationalen Verbindungen eine zerstörerische Wirkung.
Vor allem stellt sich wieder die Frage nach dem Ziel? Wer haette einen Vorteil von einem zerstörten Nachbarn auf dem gleichen Kontinent?
Die gleichen Leute, die schon genug Schaden angerichtet haben, weil sie unser Geldsystem nicht verstehen, richten jetzt noch mehr Schäden an, weil sie unser Wirtschaftssystem auch nicht verstehen.
Kleopatra
19. März 2022 @ 09:13
Der Versuch einer totalen wirtschaftlichen Isolierung ist als Kriegsmaßnahme alles andere als neu, man muss allerdings bis zu den Weltkriegen zurückgreifen. Z.B. wurde im I. Weltkrieg das Deutsche Reich so wirksam isoliert, dass es zu regelrechten Hungerkrisen kam (Stichwort „Steckrübenwinter“).
Die Annahme, dass Russland einen Krieg bis zur Vernichtung oder vollständigen Unterwerfung des Gegners führen will, ist nicht weit hergeholt. Alle Ratschläge westlicher Liberaler, die Ukraine möge zur Vermeidung der vollständigen Vernichtung doch kapitulieren, würden aber implizit ein Russland als Gegner voraussetzen, das mit dem Feind nach dessen Kapitulation maßvoll umgeht. Gerade diese Voraussetzung fehlt, denn Russland fordert unter dem Propagandaschlagwort der „Entnazifizierung“ unter anderem für sich das Recht, nach Belieben jeden tatsächlichen oder potenziellen Vertreter einer ukrainischen Führungsschicht zu inhaftieren oder zu töten. Da hilft es auch nicht, wenn Putin behauptet, keinen Regierungswechsel erzwingen zu wollen: eine Regierung Zelens’kyj, die über „Säuberungs“- und Mordorgien der Putinschen Armee präsidieren würde, wäre keine akzeptable Alternative zu einem Besatzungsregime.
Es war schließlich eine breite Mehrheit der Ukrainer, die eine wirtschaftliche Anbindung an die EU einer an Russland vorgezogen haben. Wer ihnen das vorwirft, behandelt sie wie eine Verfügungsmasse, die man dem kleinen Möchtegern-Stalin im Kreml zum Fraß vorwerfen kann.
sanne
19. März 2022 @ 00:02
Mir gehen so viele Verständnisfragen durch den Kopf, da ich diesen Krieg in Anbahnung nicht verstehen kann.
Zunächst muss ich für mich feststellen, dass die eu im Natobündnis offensichtlich keine anderen Lösung, als den brachialen Krieg um die Ukraine vertreten kann. Das folgert einige Schlüsse heraus, welche mich nur noch verwirren um den Anspruch dieser eu+Nato-Bündnis.
Es gibt auf dieser Welt mehr als westliche Interessen, welche bisher und zur Zeit hier auf diesem Kontinent ohne Eingreifen der Nato gestaltet werden.
Seit dem Anspruch der ehemaligen EWG über EU globalplayer zu sein – was nur über das Natobündnis geht – schliddert diese Gemeinschaft zusehend in moralische Konflikte per Ausweitung und Anspruch auf diesen per gesetzten Begriffen = Freiheit, Demokratie, Frieden, Menschenrechte. Pauschal alles richtig; oft vernachlässigt auch in der eigenen Zone der moralischen Ansprüche.
Ich erinnere mich an so was wie “grüne” Revolutionsromantik. Live mit Frau Beck aus dem Luxushotel am Maidan. Und diese Woche: Zelensky zugeschaltet, Katrin gratuliert 2 Abgeordneten zum 60.zigsten. Dann war es vorbei mit dem Kriegsgeschen, und die Romantik um Revolution ist nur in Erweiterung des Krieges so eine Entwicklung, dass das dt. Regierungsbündnis im Parlament nur noch Geburtsgrüße und covid als Antwort weiß. Das erschüttert doch sehr, wenn man per twitter die Parteien liest und im Parlament die Diskussion bzw. die Antworten scheut.
Man kann Legenden nicht abwählen; man kann allerdings diese EU hinterfragen ob ihrer ewigen Ahnungslosigkeit in Aussenwirkung, Anspruch und Realität.
Mir geht es nicht darum, diesen grausamen Krieg zu relativieren; mir geht es um die Frage der eu-Verantwortung. Hat man wieder nicht das Elend erkannt, wie in Afghanistan, so auch hier und so auch in Fragen um vorheriges Elend der westlichen Kriege?
Man kann diese eu-Legende der sauberen Staaten in all ihren Fehlern nicht korrigieren, wenn nicht endlich auch einmal auf diese mit den Augen um wirkliche demokratische Teilhabe dieser Macht geguckt wird. Es ist wieder einmal das Schicksal der Bürger der eu im Bündnis Nato fassungslos zu blicken und zu erkennen: wir sahen es, diesen Scherbenhaufen, wir sehen ihn wieder und wir können das Treiben nicht abwählen. Wir sollen patriotisch europäisch demokratisch für fortgesetzten Kontrollverlust einstehen.
Mir fällt es so schwer, gerade weil man über einen Krieg, an welchem Putin Schuld trägt, die Frage um das “wie war es überhaupt möglich” nicht drum herum kommt. Aber genau dieses wird gerade über alle Blätter verbreitet….wenn es so weiter geht, dann haben wir in Kürze der Zeit wieder so einen diplomatischen Supergau, in welchem hemdsärmelige Experten zum Machtausbau ein Volk im Krieg stehen lassen, denn man hat den Russen niemals etwas versprochen, und auch den Interessenten an dieser eu nichts ausser späterer Teilhabe versprochen, während diese ihre Märkte bereits öffneten, sprich die Hosen herunter zogen.
Ich gebe zu, ich bin ein ganz großer Verfechter der EWG, mit dieser eu habe ich moralisch nichts mehr am Hut.
Holly01
19. März 2022 @ 08:04
@ sanne:
Das ist so unübersichtlich, weil wir in Deutschland eine doppelte Doppelmoral haben.
Das spielt sich also auf isolierten Ebenen ab, die man nur bemerkt, wenn man die Sichtweise der Medien verlässt.
Und das ist so schmerzhaft, das es viele (oft aus Selbstschutz) nicht tun.
In Deutschland haben wir ein Wirtschaftsmodell das ziemlich einzigartig ist. Der Grund ist weniger das wir so genial sind, sondern der das dieses Modell die Wirtschaftspartner schädigt, was natürlich irgendwann zu massiven Gegenbewegungen führt.
Aber “wir machen keine Schulden” und “wir brauchen Konkurrenzfähigkeit der Staaten” sind nun einmal per se dumm. Das diskutieren wir aber nicht.
Die Deutschen möchten gerne das 3. Reich auch inhaltlich hinter sich lassen. Damit stehen die Deutschen aber ziemlich alleine da. Dieser Tatsache stellen wir uns aber nicht. Wir haben damit abgeschlossen, so funktioniert das aber nicht, weil die Zustände die wir haben nicht vom Himmel gefallen sind, sondern Ursachen haben.
Die Deutschen verdanken den Russen die Wiedervereinigung und das gefällt den USA und der EU gar nicht (also diese Sichtweise).
Was wir aus dieser Sichtweise tun erscheint uns logisch, den anderen aus der Wertegemeinschaft erscheint das wie Verrat.
Dann ist da noch der Euro. Da hat Deutschland eine Sichtweise die mit “speziell” nur sehr sehr ungenügend beschrieben ist.
Frankreich und Italien haben unter dem Euro den Anschluss an den Weltmarkt verloren. Macht da keine gute Stimmung.
Griechenland wurde ruiniert.
Die EZB kann keine richtige Notenbankpolitik machen, weil die Bundesbank (auch ein extrem spezielles deutsches Institut) sich ein letztes Wort also de facto Vetorecht vorbehält.
Deutschland ist seit der Wiedervereinigung (und dazu alleine könnte man Bücher schreiben) in der EU, der Welt und auch der NATO komplett isoliert.
WIR machen UNSER Ding.
Das fällt uns jetzt wo wir Hilfe bräuchten vor die Füße.
Wir haben alle bluten lassen und fanden das nicht nur toll, wir haben da drauf öffentlich onaniert.
Jetzt schauen alle, was die tollen Deutschen aus der Sache machen.
Dazu kommen die USA die ein ekelhaft feines Gespür für Verwerfungen haben und sich gute Argumente und Partner gesucht haben, mit denen die uns jetzt richtig teuer vorführen.
Das lesen Sie aber in keiner deutschen Presse und ich gestehe mir das selbst selten ein oder verharre bei “oh wie ungerecht und das kann doch alles nicht sein”.
Es ist unbequem wenn man in der Grube sitzt, die man 30 Jahre selbst für andere geschaufelt hat.