Kalter Krieg um Gaspipelines
Der Streit mit Russland weitet sich aus. Nach dem Machtkampf um die Ukraine hat die EU-Kommission nun auch noch einen Streit um die geplante Gaspipeline “South Stream” angezettelt.
Das Projekt sei nach EU-Recht “illegal”, sagt die Sprecherin von EU-Kommissar Oettinger. Die Pipeline könne daher nicht gebaut werden. Sie soll bis nach Österreich führen, betroffen sind auch Griechenland und Kroatien.
Laut Kommission beinhalten die Vereinbarungen, die Gazprom abgeschlossen hat, „mindestens drei” strittige Punkte: Die fehlende Trennung zwischen Gewinnung und Weiterleitung, das Transportmonopol und die Undurchsichtigkeit der Tarifstruktur.
Merkwürdig ist allerdings, dass Brüssel ausgerechnet jetzt sein Veto einlegt. Schließlich wird “South Stream” schon seit Jahren geplant, das Projekt war auch der Kommission bestens bekannt.
Vielleicht stört Oettinger, dass sein eigenes Prestigeprojet “Nabucco” klinisch tot ist? Oder geht es um noch mehr – eine Kräftemessen zwischen Deutschland und Russland? – Mehr hier
Michael
7. Dezember 2013 @ 10:51
Wenn bei Kollisionen europäisches Recht den Vorrang vor dem Vertrag hat, ist das zwar einerseits nur korrekt, aber es bedeutet auch, dass man den Vertrag zum größeren Teil wegschmeißen kann und neu aushandeln muss. Denn Gazprom müsste – wegen der Entflechtung von Netzt und durchgeleitetem Gas – das Gasnetz an ein anderes, evtl. neu zu gründendes, Unternehmen übertragen; eine solche Änderung der Struktur würde wirklich einen im wesentlichen neuen Vertrag nötig machen, weil viele essentielle Dinge nicht geregelt sind, jedenfalls nicht in unionsrechtskonformer Weise.
Außerdem wird umgekehrt ein Schuh daraus: Der – im Vertrag festgehaltene – Vorrang des Unionsrechts wird erst dann praktisch bedeutsam, wenn jemand das Unionsrecht geltend macht; und genau das tut die Kommission, und wie gesagt – es ist eine ihrer Hauptpflichten.
Dass kaum eine Bank bereit sein wird, einen Kredit für eine Pipeline zu geben, wenn noch nicht einmal klar ist, wer in einigen Jahren ihr Eigentümer sein wird, steht ja auch dort im Standard, und es ist sehr nachvollziehbar.
Dass Österreich angeblich überrascht ist, erstaunt mich allerdings. Schließlich gibt es im Unionsrecht nichts, an dessen Beschluss nicht ein Vertreter jedes einzelnen Mitgliedstaates mitgewirkt hätte (nämlich im Rat).
ebo
7. Dezember 2013 @ 09:57
Oettinger tut so, als höre er erst heute von South Stream und den damit verbundenen Verträgen. Das ist nicht nachvollziehbar. Auszug aus Wikipedia:
Am 5. Februar 2009 wurde das Abkommen zum Bau der Pipeline durch das Schwarze Meer zwischen Gazprom und der Bulgarischen Energieholding unterzeichnet. Es sieht vor, die ursprünglich geplanten 31 Milliarden Kubikmeter Durchleitungskapazität um weitere 16 Milliarden zu erhöhen.
Im April 2009 fand ein weiteres Treffen zwischen Eni und Gazprom statt. Eni plant auch Gazprom am libyschen Elephant-Feld zu beteiligen.
…
Am 24. April 2010 genehmigte Österreich bei Verhandlungen mit Russland den Bau der Pipeline.
Drei EU-Staaten verhandeln bereits seit 2009 mit Russland. Und Oettinger will erst heute von den Details erfahren haben?
Michael
7. Dezember 2013 @ 10:07
Gegen die Analyse, dass die South-Stream-Verträge unionsrechtswidrig sind, haben Sie anscheinend nichts einzuwenden?
Das Dritte Energiepaket wurde 2009 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Wer – ganz gleich, ob auf russischer, auf bulgarischer etc. Seite – annahm, das würde nicht vollumfänglich auch auf South Stream bezogen – sofern South Stream eben innerhalb der EU liegt, kann sich nicht naiv stellen; zumal die endgültigen Varianten der Planung erst deutlich nach 2009 vereinbart wurden. (Und auch die russische Seite kann sich nicht auf Unwissenheit berufen; die sind nicht dumm! Vielleicht haben sie aber die EU nicht genügend ernst genommen).
Die EU ist kein Partner der Verträge, deshalb kann die Kommission auch ihre Gesichtspunkte und ihre juristische Expertise nicht bereits begleitend bei der Aushandlung einbringen. Trotzdem ist Oettinger als Kommissionsmitglied (und – was man dazunehmen muss – sein Beamtenapparat, der die juristischen Stellungnahmen erarbeitet und verantwortet) verpflichtet, gegen die Mißachtung des Unionsrechts einzuschreiten, wenn sie konkret wird.
ebo
7. Dezember 2013 @ 10:31
@Michael
Sie sind doch wohl aus Österreich. Was halten Sie denn von diesem Artikel im Standard: http://derstandard.at/1385170163810/Wien-und-Moskau-im-Clinch-mit-Bruessel
Zitat: Österreich zeigt man sich überrascht von den Vorwürfen. Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es, es gebe eine in dem Abkommen eine Generalklausel, wonach bei allfälligen Kollisionen europäisches Recht Vorrang habe.
Michael
7. Dezember 2013 @ 09:16
Man kann über das Prinzip, dass die Leitungsinfrastruktur und die durchgeleitete Energie (Leitung und Strom; Röhrennetz und Gas bzw. Öl; und ähnlich auch Gleisnetz und die darauf fahrenden Züge) als getrennte Unternehmen geführt werden müssen, dass die Infrastruktur jedem zur Verfügung stehen muss (South Stream also auch nichtrussisches Erdgas gegen Vergütung durchlassen muss – etwa von einem Terminal in Polen nach Bulgarien, wenn den Bulgaren Gazprom als Lieferant zu teuer sein sollte), und dass die Vergütung für die Durchleitung von einer Aufsichtsbehörde genehmigt werden muss, also nicht vom Eigentümer der Infrastruktur einseitig festgesetzt werden kann, verschiedener Meinung sein. Worüber man nicht streiten kann, ist dass diese Prinzipien geltendes Unionsrecht sind, und dass Oettinger das fachlich zuständige Kommissionsmitglied ist. Eine der primären Aufgaben der Kommission besteht in ihrer Stellung als “Hüterin der Verträge”, d.h. praktisch des Unionsrechts. Wenn einzelne Mitgliedstaaten gegen Unionsrecht verstoßen, muss sie dagegen vorgehen. Oettinger tut also nur, wofür er bestellt ist und wofür wir ihn bezahlen. Übrigens ist das Unionsrecht sowohl den beteiligten Mitgliedstaaten als auch in Russland bekannt (R. wehrt sich deshalb auch entschieden gegen diese Punkte des Unionsrechts); deshalb können die Beteiligten nicht so tun, als seien sie überrascht.
Ein durchaus vom Unionsrecht beabsichtigter Effekt dieser Prinzipien ist natürlich, dass dadurch die wirtschaftliche Macht, bzw. die Möglichkeit, Druck auszuüben, des Netzbetreibers minimiert wird. Gerade im Verhältnis zu Russland ist dies nur wünschenswert (denn Russland versucht gern, wirtschaftliche Macht auch für imperialistische Zwecke zu nutzen); aber es ist keine spezifisch antirussische Maßnahme, sondern ein allgemeines Prinzip, das aus einer wirtschaftspolitischen Ideologie resultiert. Wenn Sie anderer Meinung sind, müssen Sie eben die Allgemeinheit in möglichst vielen EU-Mitgliedstaaten von Ihrer abweichenden Meinung überzeugen.
Ihre Kritik an Oettinger in diesem Zusammenhang ist dann aber doch etwas merkwürdig. Als langjähriger Autor u.a. der “taz” verteidigen Sie hier die knallharte Machtpolitik eines KGB-Veteranen, der in der Öffentlichkeit vor allem durch zynische, oft frauenfeindliche und homophobe Witze auffällt. Dabei ist er ein hochintelligenter Mann, bei dem man davon ausgehen muss, dass seine Zynismen keine Versehen, sondern scharf kalkuliert, und deshalb für seine Einstellung repräsentativ sind.