In den Fängen von Big Pharma, mit den Worten von Merkel – und Frust in Frankreich

Die Watchlist EUropa vom 27. Januar 2021 –

Selten hat man EU-Politiker in Brüssel so wütend gesehen wie in diesen Tagen. „Das ist nicht akzeptabel”, schimpfte Gesundheitskommissarin Kyriakides nach zwei Krisensitzungen mit Vertretern des Pharmakonzerns AstraZeneca.

Das Vertrauen ist ernsthaft erschüttert“, empörte sich ein EU-Diplomat. Selten habe eine Firma so schlecht mit den Europäern kooperiert. „Das stinkt zum Himmel“, ärgert sich der CDU-Europaabgeordnete Liese.

AstraZeneca hatte am Freitag überraschend erklärt, dass man Probleme mit der europäischen Lieferkette habe – und deshalb die Lieferung in die EU kurzfristig reduzieren müsse.

Statt 80 Millionen Impfstoffdosen sollen es bis Ende März nur noch 31 Millionen sein. Dabei läuft die Versorgung mit Vakzinen in Großbritannien reibungslos. Offenbar wurde der für die EU bestimmte Impfstoff “abgezweigt” – oder gar nicht erst produziert.

Grund genug, die Beziehungen zu AstraZeneca abzubrechen oder wenigstens rechtlich gegen den Konzern vorzugehen, sollte man meinen. Lettlands Außenminister E. Rinkevics forderte, die EU solle juristische Schritte prüfen. Auch die Grünen sind dafür.

Aber weit gefehlt. Brüssel klammert sich an den Deal wie Ertrinkende an einen Strohhalm. Dies liegt vor allem daran, dass die groß angekündigte Impfkampagne längst nicht so gut läuft wie versprochen.

Nicht nur AstraZeneca ist in Verzug. Auch von der deutschen Firma Biontech und ihrem US-Partner Pfizer kommt nicht genug Impfstoff in der EU an. Auch hier gibt es Lieferprobleme, auch deshalb liegen in Brüssel die Nerven blank.

Wer ist verantwortlich? Keiner!

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Normalerweise würde man nun die Verantwortlichen suchen und zur Rechenschaft ziehen. Doch in Brüssel ist dies kaum möglich. Die Verträge unterliegen strikter Geheimhaltung, nicht einmal die an der Verhandlung beteiligten Personen sind bekannt.

Deshalb ist auch unklar, wer für was verantwortlich ist. Dabei wäre es schon wichtig, zu klären, wie es sein kann, dass europäische Firmen zuallererst nicht-europäische Kunden bedienen.

Wieso werden die USA, Großbritannien und Israel besser mit dem Impfstoff des deutschen Pharmalabors Biontech versorgt als Deutschland?

Legitime Fragen, keine Antworten

Wieso beliefert der britisch-schwedische Konzern AstraZeneca zuerst Großbritannien, nicht aber Schweden und den Rest der EU? Das sind legitime Fragen, Antworten sucht man vergebens.

Denn die EU hat sich in die Fänge von Big Pharma begeben und viel Steuergeld gezahlt – in der naiven Hoffnung, das würden die Konzerne mit besonderer Treue honorieren.

Nun sind die EUropäer auf Gedeih und Verderb auf die Pharmafirmen angewiesen – und haben nicht einmal einen Verantwortlichen, der für das Debakel gerade steht…

Siehe auch “Wie Brüssel mit Big Pharma kungelt” und meinen Beitrag für den “Cicero”: “Zwischen Dilettantismus und Dirigismus”

Watchlist

Verhängt Frankreich wieder einen landesweiten Lockdown? Dies dürfte sich bei einer Kabinettssitzung unter Vorsitz von Staatschef Emmanuel Macron zeigen. Zuletzt waren die Corona-Fallzahlen wieder angestiegen; zudem wird immer öfter die “britische Mutante” für Krankheiten verantwortlich gemacht. Allerdings sind die Vorsichts-Maßnahmen schon jetzt sehr streng. So gilt eine landesweite Ausgangssperre, die um 18 Uhr beginnt – sogar in der Hauptstadt Paris. Und die Franzosen scheinen sie sogar zu respektiweren – anders als die Niederländer, die gegen wesentlich lockerere Maßnahmen auf die Barrikaden gehen…

Hotlist

  • Kanzlerin Merkel zeigt Nerven, berichtet das Online-Portal “telepolis”. “Warum können wir die Reisen nicht verbieten?”, soll sie bei einer internen Konferenz der Unionsfraktionschefs zur Corona-Krise gesagt haben. “Uns ist das Ding entglitten”, wird sie weiter zitiert. – Wenn das stimmt, dann stehen uns noch härtere Corona-Maßnahmen bevor – etwa nach dem Vorbild Belgiens, wo ab Mittwoch ein allgemeines Verbot von Auslandsreisen gilt…
  • Amerikanische Konzerne wie Visa, Mastercard und Paypal dominieren den Zahlungsverkehr. Das will sich die EU nicht länger bieten lassen. Gut für die Verbraucher, meint die “FAZ”. Allerdings reicht es nicht, sich über die Amerikaner zu empören. Man muss auch eine eigene europäische Strateige entwickeln – und die Bürger beteiligen. Daran hapert es, wie ich in diesem Blog bereits dargelegt habe, zum Beispiel hier
  • In vielen europäischen Ländern haben die Menschen lange Lockdown-Monate hinter sich – gleichzeitig sehen sie schleppende Impfkampagnen und neue Corona-Mutanten. Die Folge: Frust, Flucht ins Partyleben – und Gewalt. Der Corona-Unmut in Europa wächst, fasst “Euractiv” die Lage zusammen. Leider gibt es niemanden, der auf die Unzufriedenen hört – die EU-Kommission hat sich aus ihrer Wächterrolle verabschiedet…