Hirntot, hilflos, gebrochen: Wie es wirklich um die Nato steht

Die Nato ist zum Wahlkampf-Thema geworden, SPD und Grüne fordern von der Linken ein politisches Bekenntnis zum Atlantischen Bündnis. Dabei steht es nicht gut um die Allianz – und das nicht erst seit Afghanistan.

Schon vor dem Afghanistan-Debakel war die Nato in Verruf geraten. Ihr sei die historische Mission abhanden gekommen, hieß es nach dem Ende des Kalten Krieges.

Bei den Kriegseinsätzen in Ex-Jugoslawien und in Libyen hinterließen die Alliierten zerbombte Städte und verbrannte Erde. Die Scherben darf nun die EU aufkehren.

Als die USA völkerrechtwidrig den Irak angriffen, schaute die Nato weg. Die Alliierten interessiert auch nicht, was die Türkei in Nordsyrien, Libyen und Aserbaidschan treibt.

Dass das Bündnis das “gefährliche Spiel” der Türkei dulde, “demonstriert den Hirntod” der Nato, schimpft Frankreichs Staatschef Macron. Viele Experten geben ihm recht.

Denn unter Generalsekretär Stoltenberg ist die Nato in geistige Umnachtung gefallen. In Trumps Amtzeit war sie vor allem damit beschäftigt, ihre eigene Existenz zu verteidigen.

Nun, unter Biden, wickelt sie ihren ersten echten Bündnisfall ab. Die Militärs und Experten im Brüsseler Nato-HQ wollen ihre Fehler und Verbrechen in Afghanistan vergessen machen.

Denn natürlich gab esKriegsverbrechen – nicht nur von Seiten der USA, sondern auch der Bundeswehr und anderer alliierter Truppen. Doch Stoltenberg sagt dazu nichts.

Nach dem Fall von Kabul versuchte er, der afghanischen Armee die Schuld in die Schuhe zu schieben. Dass das “mächtigste Militärbündnis der Welt” kampflos abgezogen war, blendete er aus.

Was danach folgte, ist bekannt. Dennoch wollen wir noch ein paar unverdächtige Quellen zitieren, die den Zustand der Nato illustrieren.

  • Hilflos: Die Warnungen aus Brüssel wirken reichlich hilflos. Nach einem Treffen mit den Botschaftern der Mitgliedstaaten drohte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg den Taliban in Afghanistan: “Wenn sie das Land mit Gewalt einnehmen, werden sie von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt werden” als Regierung. Die Nato unterstütze eine politische Lösung dieses Konflikts. Ganz ähnlich hatte sich kurz zuvor eine andere wichtige Brüsseler Institution geäußert – die EU-Kommission. Der Außenbeauftragte Josep Borrell prophezeite den Taliban “Nicht-Anerkennung, Isolation, einen Mangel an internationaler Hilfe”, sollten sie in Afghanistan “erneut mit Gewalt ein Islamisches Emirat errichten”. – SZ vom 16. August 2021
  • Beschädigt: Schrecklich, chaotisch, katastrophal: Mit diesen Worten wird der Abzug der westlichen Streitmacht aus Afghanistan häufig umschrieben. Der Schock sitzt tief – nicht nur bei vielen Menschen in Kabul, sondern auch bei den Nato-Bündnispartnern der USA. “Der Schaden innerhalb der Nato ist recht groß, weil die Amerikaner als führende Macht keinen ihrer Nato-Partner konsultiert haben, wie sie den Rückzug durchführen wollen”, sagt Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Die Amerikaner haben verkündet und exekutiert! Der Rest konnte dann nur noch folgen. – ZDF vom 05.09.21
  • Gebrochen: Remember when candidate Joe Biden said America “needs a leader the world respects”? Apparently President Biden forgot. (…) Afghanistan was an operation of the North Atlantic Treaty Organization, and America’s NATO allies have invested significant blood and treasure in the conflict. (…) Yet everything about Mr. Biden’s Afghan withdrawal has been a slap to those allies. They didn’t want the U.S. to leave, but he did. “Wall Street Journal” vom 19.08.21, Titel: How Biden Broke NATO 

Und zu dieser Organisation soll man sich jetzt, kurz nach dem Afghanistan-Debakel, ohne Wenn und Aber bekennen? Andersrum wird ein Schuh draus!

Die Kanzlerkandidaten, die an der Nato hängen, sollten endlich erklären, wie sie diese “hilflose, beschädigte und gebrochene” Allianz wieder kitten wollen…

Siehe auch Unkritische Bekenntnisse zu EU und Nato. Mehr zu Afghanistan hier, mehr zur Bundestagswahl hier

P.S. Besonders peinlich für USA und Nato: Die Taliban haben jede Menge westlicher Kriegswaffen erbeutet, in Kandahar defilieren sie mit US-Humvees. In deutschen Medien findet sich dazu wenig, dafür ein ganzer Artikel (mit Fotos) in Le Monde!