EUropas Verrat an den Armeniern
Nach der Vertreibung zehntausender Armenier aus Bergkarabach hat Aserbaidschan die umstrittene Republik für aufgelöst erklärt. Die EU schaut zu – sie hat die Menschen allein gelassen und verraten.
Bergkarabach hört am 1. Januar 2024 auf zu existieren. Der Präsident der selbst ernannten Republik, Samwel Schahramanjan, habe am Donnerstag ein entsprechendes Dekret unterzeichnet, teilten die armenischen Behörden mit.
Schahramanjan folgt damit den Anweisungen aus Aserbaidschan, das die umstrittene Region mit einem Militäreinsatz überrollt und die meist armenischen Bewohner vertrieben hat. Armenien sprach von einer ethnischen “Säuberung”.
Die EU schaut zu, Ratspräsident Michel und Chefdiplomat Borrell ließen die Ankündigung zunächst unkommentiert. Michel hatte noch am Dienstag für eine “Normalisierung” in der Region geworben.
An einem Treffen außenpolitischer Berater in Brüssel nahmen neben Aserbaidschan und Armenien auch Vertreter aus Deutschland und Frankreich teil. Sie teilen offenbar die Politik des Fait accompli.
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In der Praxis verraten die EUropäer damit Armenien und seine Diaspora in Bergkarabach. Am Donnerstag waren bereits 65.000 Armenier aus der nunmehr verlorenen Region geflohen – mehr als die Hälfte der Bewohner.
Die EU verrät aber auch die Prinzipien, die sie etwa im Kosovo hochgehalten hat. Der abtrünnigen Provinz der Kosovo-Albaner in Serbien wurde ein eigener Staat zugestanden, sogar die Nato griff ein.
Doch im Kaukasus soll die Selbstbestimmung der Völker und der Schutz der Minderheiten offenbar nicht gelten. Die EU misst außenpolitisch mit zweierlei Maß und macht sich erneut unglaubwürdig….
…denn auch hier gilt der neue geopolitische Imperativ: Vorrang hat der Kampf gegen Russland und seine Verbündeten. Aserbaidschan und die Türkei bekommen freie Hand – denn sie stehen ja auf “unserer” Seite!?
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P.s. Israel hat sich übrigens mitschuldig gemacht, kommentiert “Haaretz”. Die Regierung habe Aserbaidschan aktiv unterstützt. Doch in den deutschen Medien gibt man allein Russland den Schwarzen Peter, die Verwicklung der EU, der Türkei und Israels wird ausgeblendet…
Anders als im Fall des Kosovo war ein Eingreifen der NATO praktisch unmöglich, und daher sind Vorwürfe, die implizieren dass die EU oder die NATO hätten eingreifen sollen, unangemessen. Freilich muss man spätestens jetzt eigentlich den Schluss ziehen, die Beziehungen zu Aserbaidschan auf ein Minimum herunterzufahren. Für von Aserbaidschan gekauftes Öl oder Gas gilt wie bei Russland, dass man damit einen Staat unterstützt, der Völkermord begeht.
@Gregor: Die Unterstellungen gegen Paschinjan sind russische Propaganda, mit der sie einen ihnen missliebigen Politiker stürzen wollen, und nichts weiter. Genausowenig wie man der EU vorwerfen kann dass sie nicht eingegriffen hat (was ein militärisches Eingreifen bedeuten würde), kann man Paschinjan vorwerfen, dass er kapituliert, wenn sein Staat militärisch zu Gegenwehr vernünftigerweise nicht in der Lage ist. Die zynischen Sprüche von russischer Seite sind freilich an Perfidie nicht zu überbieten, da Russland eigentlich eine Schutzverantwortung für Armenien übernommen hatte. Im Stil erinnern mich diese zynischen Sprüche an sowjetische Stellungnahmen zu Polen im September 1939.