Ende des Bargelds? “Der Kipppunkt rückt näher”

Das Bargeld ist auf dem Rückzug, immer mehr Zahlungsvorgänge werden elektronisch erledigt. Was steckt dahinter? Gibt es eine geheime Lobby des elektronischen oder gar digitalen Geldes? Und was macht die EU? – Teil 2 einer dreiteiligen Serie.

Wenn es keine zwingenden Gründe für die Abschaffung von Münzen und Scheinen gibt – warum wird Bares dann trotzdem immer mehr Rares? Sind da dunkle Mächte am Werk, die uns von Kreditkarten-Konzernen wie Visa und Mastercard abhängig machen wollen? Gibt es eine geheime Lobby des elektronischen oder gar digitalen Geldes?

Nein, sagt Norbert Häring, der sich seit Jahren kritisch mit dem Thema auseinandersetzt. Weder am Bankenplatz Frankfurt, wo Häring als Wirtschaftsjournalist arbeitet, noch in Berlin würden Lobbyisten offen für die Abschaffung des Bargeldes werben. Das Ganze sei eher ein schleichender Prozess – aber gerade das mache ihn so gefährlich.

Denn mit der Abschaffung des Bargelds ist auch ein Verlust von Kontrolle verbunden. Nicht die heimische Sparkasse um die Ecke, sondern ausländische Konzerne wie Mastercard oder Visa profitieren vom Kartengeschäft. Zudem wird der Käufer zum gläsernen Kunden. Jede Transaktion hinterläßt Spuren, der Datenschutz wird zum Problem.

Die Anhänger neuer Zahlungsmittel treten denn auch nicht offen für die Abschaffung des Bargelds ein. Schon gar nicht in Deutschland, wo die Menschen mehr als anderswo an „ihrem“ Geld hängen. Die Bundesbank und der Bundestag wachen hierzulande mit Argusaugen darüber, dass die Versorgung mit Bargeld gesichert ist.

Doch ausgerechnet diese beiden Institutionen arbeiten hinter den Kulissen auch daran, den Zahlungsverkehr zu entmaterialisieren. Im Namen des technologischen Fortschritts und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit werden die Weichen für eine „Welt ohne Bargeld“ gestellt.

Besonders deutlich zeigte sich dies bei einer Anhörung des Bundestags im Juni. Geladen waren vor allem Vertreter der IT-Branche, Ingenieure und Finanzexperten. Einfache Bürger wurden nicht gefragt, Handel und Verbraucher spielten nur eine Nebenrolle.

Einer der wenigen Mahner war Ulrich Binnebößel vom Handelsverband Deutschland. Im Handel rücke der „Kipppunkt“ immer näher, an dem das Bargeld an den Rand gedrängt wird, sagt er. „Zu Beginn der Corona-Pandemie nahm man das Kippen des Systems in Kauf“, klagt Binnebößel – und fordert mehr Einsatz der Politik für das Bargeld.

Die Zahlen geben ihm Recht. Schon 2018 wurde in Deutschland mehr Geld per Karte ausgegeben als in Cash. Die Kartenzahlungen lagen damals mit 209 Milliarden Euro erstmals knapp vor den Bargeldbeträgen (208 Milliarden). Seither hat sich der Trend immer mehr verstärkt, Corona könnte das System vollends zum Kippen bringen.

Für viele „Digital Natives“ kann dieser Kipppunkt, an dem das Bargeld endgültig ins Hintertreffen gerät und die Portemonnaies und Brieftaschen verschwinden, nicht schnell genug kommen. Deutschland hinke im Wettbewerb mit den USA und China hinterher, so ihr Argument.

Er sorge sich nicht um das Bargeld, sondern vor allem darum, dass Deutschland den digitalen Anschluss verlieren könnte, sagt Kurosch D. Habibi vom Bundesverband Deutscher Startups. US-Internetkonzerne wie Amazon würden jetzt schon vormachen, wie man sich auch als Plattform für finanzielle Transaktionen positionieren könnte.

“Wenn wir es nicht machen, machen es andere”

„Wenn wir das nicht machen, dann machen es andere“, mahnte der auf „Fintech“ spezialisierte Experte bei der Anhörung im Bundestag. Als warnendes Beispiel gilt Facebook, das mit seiner Kryptowährung Libra auch in Deutschland und der EU abkassieren will.

Das macht auch den Politikern Sorge. Sie bekennen sich zwar zum Bargeld, rufen jedoch gleichzeitig nach Alternativen. Sogar der linke Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi fordert, einen „digitalen Euro“ zu schaffen – also eine elektronische Form von Zentralbankgeld, für das die Bundesbank einstehen würde

„Der digitale Euro ist die einzige Chance, die zunehmende Finanzmacht von Facebook & Co. einzugrenzen“, so de Masi, der sich in der Wirecard-Affäre einen Namen gemacht hat. Er sei zwar keine Garantie gegen Geldwäsche und organisiertes Verbrechen, wie die Anhänger von digitalen Währungen gern behaupten – könne der EU aber helfen, sich gegen die USA zu behaupten.

Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Während man in Berlin noch diskutiert, werden in Brüssel schon Fakten geschaffen.

Teil 1 steht hier. Teil 3 steht hier

Siehe auch “Digitalisierund Überwachung: So nutzt Brüssel die Coronakrise”