Grexit – ist das überhaupt legal?
Mein früherer Handelsblatt-Kollege N. Häring hat in seinem Blog eine wichtige Frage aufgeworfen: Haben Juncker und Draghi das Recht, Griechenland aus dem Euro bzw. der EU zu drängen?
Für die herrschende Meinung in Deutschland ist das kein Problem: Wer gegen die (deutschen) Regeln verstösst, muss bestraft werden und im Zweifelsfall aus dem Club geworfen werden.
Doch so einfach ist das nicht. Man hat es mit Österreich und Ungarn versucht und schnell wieder aufgegeben. Auch gegen Polen, das CIA-Foltercamps beherbergte, wurde nichts unternommen.
Noch schwerer wiegt, dass der Schuldenstreit wenig mit der EU zu tun hat. Die Rettungsfonds EFSF und ESM wurden außerhalb der EU-Verträge errichtet, die Eurogruppe ist ein informelles Gremium.
Juncker und Draghi hingegen sind an EU-Recht gebunden, an nichts als EU-Recht. Ihr Amt zwingt sie, für die europäische Einigung und den Euro zu arbeiten, nicht dagegen.
Wenn sie mit dem Rauswurf drohen, so wie Juncker, geraten sie in den Grenzbereich des Amtsmissbrauchs. Wenn sie ihn vollziehen, wäre dies wohl ein Fall für Europarechtler… – Mehr hier, zum Grexit hier, aktuelle Umfrage zum Thema hier
Alexander
10. Juli 2015 @ 12:05
Hier ein weitere interessanter englischer Artikel über die “politische Rolle” der ECB: http://www.voxeu.org/article/grexit-staggering-cost-central-bank-dependence
Alexander
10. Juli 2015 @ 11:07
Hier noch ein interessanter englischer Artikel über die politische Rolle der ECB: http://www.voxeu.org/article/grexit-staggering-cost-central-bank-dependence
AmiGoHome
9. Juli 2015 @ 15:02
Grexit – ist das überhaupt legal?
Ist der EU-Verein samt den Euro legal? Sind wir, das Volk damals überhaupt gefragt worden, ob wir das wollen? Nein, es haben nur ein paar Herrschaften über unseren Köpfen entschieden.
ebo
9. Juli 2015 @ 15:17
Naja. Den Herrn Kohl haben die Deutschen schon noch gewählt, und er hat’s gemacht. Danach wurde er nicht zum Teufel gejagt…
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 13:33
@ebo nachdem es keinen Finanzierungszwang, ja sogar ein Finanzierungsverbot “no-bailout” gibt, frage ich mich wie die Juristen ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro beurteilen würden. Ich kann mir schwer vorstellen, dass schuldhaftes Verhalten der Gläubiger nachgewiesen werden kann, was im positiven Fall einen Ansatzpunkt für Schadenersatzforderungen bilden würde.
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 13:27
@ebo Was heißt Schwachsinn? Nationalstaaten handeln nun einmal im nationalen Interesse, nachweisbar seit 1648. Ob ihr Handeln dem jeweiligen nationalen Interesse ex post gesehen stets dienlich war, ist eine andere Sache. Man weiß es erst im nachhinein. Daher sind politische Entscheidungen stets Risikoentscheidungen, weil sie die Zukunft betreffen.
ebo
9. Juli 2015 @ 13:34
Deutschland gab es 1648 noch gar nicht. Zwischen Preussen, dem Dt. Reich, dem Nazireich, der BRD, der DDR und Deutschland vor und nach Kohl wurde das nationale Interesse auch verdammt unterschiedlich definiert. Am Ende war mir der Dicke noch am liebsten…
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 13:52
In Deutschland scheint es, dass in der Koalition ein breiter Konsens bezüglich des nationalen Interesses besteht. Unabhängig davon gilt, zumindest bis jetzt: das nationale Interesse sticht das europäische Interesse, weil nationale Regierungen ihren Wählern verantwortlich sind.
Joachim
9. Juli 2015 @ 12:30
@ebo und @Alexander Danke für diese Zusammenstellung und für das Herausstellen des wichtigen Punktes, dem sehr zweifelhaften Einfrieren der ELA, mit dem die EZB eine ihrer wichtigsten Aufgaben verletzt und wahrscheinlich politisch missbraucht hat.
Hier noch sind zwei für mich wichtige Artikel von Übersee dazu. Der erste spricht direkt die Unverantwortlichkeit dieses Schritts mit Verletzung der Grundregel des Zentralbankwesens – der Bagehot Rule – an:
http://on.ft.com/1JJ62hw
http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-07-07/ecb-adds-moral-hazard-to-emergency-liquidity-assistance-rules
S.B.
9. Juli 2015 @ 12:51
@Joachim: Es ist nicht erforderlich, sich jetzt nach all den Krisenjahren, eine Vertrags- und / oder Rechtsverletzung irgendeiner EU-Institution herauszupicken. Seit die Schönwetterphase in der EU vorbeit ist, also seit Beginn der Finanzkrise, ist die Geschichte der EU und der für in ihrem Namen handelnden Personen und Institutionen ein einziger fortgesetzter Rechtsbruch. Ein klarer Beweis dafür, dass EU und Währungsunion eine politische und wirtschaftiche Fehlkonstruktion sind.
ebo
9. Juli 2015 @ 13:01
Wohl erforderlich. Noch nie hat die EU ein Mitglied rausgekickt. Wenn sie es jetzt macht, ist es ein gewaltiges politisches, wirtschaftliches und natürlich auch rechtliches Problem!
Joachim
9. Juli 2015 @ 13:43
Das Einfrieren der ELA ist so wichtig, weil hier ein in der Geschichte des Zentralbankwesens einmaliger Vorgang stattfand. Damit hat dieser Vorgang über die Geschichte der EU hinaus eine – leider traurige – Bedeutung.
S.B.
9. Juli 2015 @ 13:46
Dann pochen Sie jetzt bitte auch besonder lautstark auf die Bailout-Klausel und zwar rückwirkend. Damit wären EU und Euro bereits seit spätestens 2012 Geschichte! …Und uns wären etliche Rechtsbrüche (wie der aktuelle!) und hunderte Milliarden versenkter Steuergelder ersprat geblieben.
Alexander
9. Juli 2015 @ 11:14
@ebo Es ist noch viel schlimmer. Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano hat in einer Studie (Nov 2013) eine wahrlich beeindruckende Liste von Verstößen der EU-Institutionen gegen europäisches Recht und internationale Konventionen veröffentlicht. Rechtsstaatlichkeit in der EU war gestern… Mehr hier: http://media.arbeiterkammer.at/PDF/Studie_Austeritaetspolitik_und_Menschenrechte.pdf
ebo
9. Juli 2015 @ 11:30
Danke, diese Studie ist schon ein Klassiker auf dem Gebiet!
Alexander
9. Juli 2015 @ 10:42
Im Hintergrund wird die ECB als “Herausdrängungsinstrument” missbraucht: das Einfrieren der Notkredite wurde schon mehrere Tage vor Auslaufen des letzten GR-Programms veranlasst, um eine Drohkulisse vor dem Referendum aufzubauen. Dies verstößt eindeutig gegen den europäischen Vertrag und die ECB-Statuten. Mehr hier: http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2015/07/die-ezb-und-die-deutschen-in-der-griechenlandkrise/
ebo
9. Juli 2015 @ 10:49
@Alexander Das ist der Punkt. Dazu gibt es auch einen guten Artikel in der “taz”, der Autor kennt sich aus: http://www.taz.de/Oekonom-ueber-die-EZB-und-Griechenland/!5209078/
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 12:38
Seit dem Auslaufen des derzeitigen Hilfspakets am 30.6. fehlt die Finanzierungsbasis für die EZB. Eigentlich müsste sie die Notkredite für die griechischen Banken bereits fällig stellen.
ebo
9. Juli 2015 @ 12:44
Das ist umstritten. Die EZB ist hier in einem bizarren Interessenkonflikt. Als Zentralbank ist sie für die Stabilität des Euro und die Geldversorgung in allen Euroländern, also auch GR, verantwortlich. Leider ist sie gleichzeitig Gläubigern und Mitglied der Troika – was ein institutioneller Nonsens ist. Zudem untersteht ihr nun auch noch die Bankenaufsicht in GR. Relativ klar wäre die Lage erst am 20. Juli, wenn EZB-Kreidte fällig werden. Wenn GR sie nicht bedient, ist wohl Schluss.
Freiberufler
9. Juli 2015 @ 12:16
ELA heißt Emergency Liquidity Assistance und nicht Emergency Solvency Assistance. Die waren nie vorgesehen, um bankrotte Banken oder gar Staaten mit Geld zu versorgen, die pleite weil pfandlos sind. http://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/financialstabilityreview200612en.pdf (S. 171 bzw, 172f. im PDF)
Griechenland ist eine Fußnote. Aber was geschieht, wenn z.B. Frankreich jede Woche 20 Milliarden ELA-Kredit zieht? So kann eine Währungsunion ja wohl nicht funktionieren.
Es stimmt allerdings, dass die EZB mit zweierlei Maß misst und für Griechenland Regeln aufstellt, die für andere Länder nicht gelten.
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 12:42
Völlig richtig. Sie sollte streng nach einem Maßstab vorgehen, allerdings ist Frankreich nicht insolvent, so gesehen ein schlechtes Beispiel. Währungs- und Budgetdisziplin waren schon vor Einführung des Euro nicht die Stärken Frankreichs, das seit den 60-iger Jahren periodisch gegen die DM abgewertet hat.
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 08:54
Selbst wenn sich Juncker und Draghi bei ihren Entscheidungen neutral verhalten, was sie bisher getan haben, liegt es nicht an den beiden, ob Griechenland aus dem Euro “gedrängt” wird. Was die rechtlich relevanten Entscheidungen des Kommissionspräsidenten und des Präsidenten der EZB betrifft, sind die Herren bei ihren Entscheidungen (nicht Meinungsäußerungen) von ihren jeweiligen Gremien abhängig. Diese können, müssen aber nicht der Ansicht ihres Präsidenten folgen. Über die Rettungspakete entscheiden letztlich die im Rat vertretenen Mitgliedsländer, deren Repräsentanten (nationale Regierungschefs) ihrem nationalen Wählervolk verantwortlich sind. Dass die großen Mitgliedsländer de facto mehr Einfluss auf den Meinungsbildungsprozess als die kleinen haben, ist verständlich. Schließlich haben sie im “Kreditkonsortium” für Griechenland auch höhere Anteile als die kleinen Mitgliedsländer und tragen mehr Risiko. Natürlich könnten sich kleine Länder querlegen, tun es letztlich aber nicht im langfristigen Eigeninteresse. Solange die überwiegende Mehrheit der europäischen Bürger keinen Sozialstaat der Staaten (=Transferunion) will, wird sich daran nichts ändern. Für eine Transferunion fehlen die politischen Institutionen, angefangen von echten europäischen Parteien bis zu einer europäischen Regierung, die einem europäischen Parlament verantwortlich ist.. Solange diese nicht existieren, werden Verteilungskämpfe national ausgefochten werden. Dass sich manche Länder politisch und wirtschaftlich von einer Transferunion mehr Vorteile erwarten als andere, liegt im jeweiligen nationalen Interesse und der wirtschaftlichen Struktur und Stärke dieser Länder begründet. Letztlich geht es um die relative Macht im Staatenbund der EU. Nationalstaaten verhalten sich eben nach wie vor wie Nationalstaaten es seit 1648 tun.
S.B.
9. Juli 2015 @ 12:45
“Nationalstaaten verhalten sich eben nach wie vor wie Nationalstaaten es seit 1648 tun.”
Und das ist auch gut so. Je größer nämlich die politische Institution, desto abstrakter wird sie für die daran (zwangsweise) beteiligten Bürger. Und mit der Abstraktheit einhergehend die demokratische Kontrolle. Genau diesen Mechanismus erleben wir gerade mit der EU.
ebo
9. Juli 2015 @ 12:59
…Und Deutschland verhält sich so wie 1914 ? Oder wie 1945? 1989? – So ein Schwachsinn, als habe es seit 1648 oder 1848 ein konstantes “Verhalten” von Nationalstaaten gegeben, also bitte,,,
S.B.
9. Juli 2015 @ 13:42
Von Konstanz im Verhalten der Nationalstaaten ist an keiner Stelle in meinem Beitrag die Rede, sondern davon, dass sich Natíonalstaaten nach wie vor so verhalten, wie sie es seit 1648 tun (hat P.N. geschreiben, worauf ich mich bezogen habe). Dazu, WIE sich die Nationalstaaten im Einzelnen verhalten haben, hat hier niemand etwas geschrieben und das ist auch gar nicht Gegenstand der Diskussion.
Gegenstand der Diskussion ist aber sehr wohl, dass die Eigeninteressen der Nationalstaaten im Zuge der Errichtung eines europäischen Bundesstaates quasi keine Berücksichtigung mehr finden sollen. Alle beteiligten Länder sollen in einer großen, mittels Transferunion gleichgeschalteten Umverteilungssoße aufgehen. Die Interessen der Bürger sind dabei absolut nachrangig und diesem Ziel bedingunglos unterzuordnen.
ebo
9. Juli 2015 @ 14:05
Die Eigeninteressen de Nationalstaaten in Europa haben die Welt zweimal ins Verderben geführt. Auch deshalb haben wir die EU. sie ist übrigesn KEIN Bundesstaat…
S.B.
9. Juli 2015 @ 14:20
Aber jetzt mit der EU haben wir eine ganz tolle Entwicklung zwischen den europäischen Nationalstaaten, nicht wahr? Piep, piep, piep, ich hab Dich – zum Abkassieren – lieb. Und wenn Du nicht zahlst, dann… Wir dürfen alle sehr gespannt sein, wie (unfriedlich) das Spiel endet.
Nebenbei: Selbstverständlich haben wir NOCH keinen europäischen Bundesstaat. Aber wir haben schon einen Staatenbund, der sich geriert wie ein Bundesstaat. Und die Errichtung eines Bundesstaates ist das große Ziel der “glühenden Europäer” der etablierten linksgrünen Parteien (wozu auch CDU und CSU gehören).
Karina
9. Juli 2015 @ 22:13
Ich fragte mich schon seit Monaten wie ein Grexit rechtlich funktioniert. Mit Grexit meine ich, dass ein Land den Euro verlässt, nicht dass jeder einzelne Euro das Land verlässt. Das ist m.E. kein Grexit, sondern eine Staatspleite. Ich habe mir daraufhin einfach mal ein paar juristische Fachbücher geschnappt und die Verträge und EU-Verordnungen nachgelesen. Wenn ich das alles richtig verstehe, gibt es keinen rechtlich sicheren Weg, aus dem Euro auszutreten, jedenfall nicht ohne gleichzeitig aus der EU auszutreten.Und auch ein EU-Austritt mit der darin enthaltenen Frist und den formalen Voraussetzungen ist keineswegs einfach. Ich habe ein Gutachten der EZB gelesen, das kommt zum gleichen Ergebnis. Ich habe daraufhin jeden, der den Grexit fordert gefragt, wie das rechtlich über die Bühne gehen soll, ohne die EU-Verträge zu ändern. Das hat keinen interessiert. Aber ich bekam folgende Antwort: “Ich glaube dir das nicht, die reden die ganze Zeit davon, dann muss es auch rechtlich gehen.” Wenn mir jemand die Eine-Million-Euro-Frage “Kann ein Land den Euro verlassen, ohne die EU zu verlassen und wie funktoniert das?” beantworten kann, wäre ich sehr dankbar. Bis dahin bin ich einfach verwundert, wie so viele Leute an jeder Stelle Rechtsbrüche sehen, aber dieses massive juristische Problem ignorieren.