Ein Exempel statuieren
Es hätte eine demokratische Reifeprüfung für EUropa werden können: Das Referendum über den Sparkurs in Griechenland. Doch Berlin, Brüssel und Frankfurt funktionieren die Volksabstimmung zu einem Tribunal gegen Syriza um – sie wollen ein Exempel statuieren.
Erinnert sich noch jemand an Juli 2012? Schon damals stand Griechenland am Abgrund, die Eurogruppe verweigerte Hilfe, Deutschland schrie “Grexit!”. Tsipras war noch nicht da, Merkel und Schäuble schon.
Jetzt wiederholt sich die Geschichte – weil unsere Politiker nichts aus ihr gelernt haben, nichts lernen wollten. Wieder wird ein Exempel an Griechenland statuiert, wieder treiben es die Chefs auf die Spitze.
Hier das – unvollständige – Programm der Züchtigung, wie es sich diese Woche dem staunenden Publikum präsentierte:
- Da ziehen die Gläubiger ihr Memorandum – pardon: ihr “Angebot” – just in dem Moment zurück, da Athen ein Referendum ansetzt. Merke: Wage es nicht, das Volk zu befragen!
- Da dreht die EZB den Geldhahn zu, obwohl die griechischen Banken Kredite nötiger haben denn je. Merke: Geldpolitik ist POLITIK – Geld gibt es nur gegen Wohlverhalten.
- Da werden Gespräche in dem Moment abgebrochen, da Tsipras wichtige Konzessionen macht und sie in einen Gegenentwurf einbettet. Merke: TINA – There is no alternative.
- Da wird eine Kontaktsperre über eine gewählte Regierung verhängt – auf deutsche Weisung. Merke: Merkels Wunsch ist EUropas Befehl, Frankreich (das weiterreden wollte) kuscht, wenn es ernst wird.
- Da droht ein Niederländer mit dem Grexit, wenn die Griechen nicht brav Ja sagen. Merke: Dieses ist keine WährungsUNION, sondern ein exklusiver Club, in dem nur die Bonität zählt.
- Da fordert ein Karlspreisträger und gescheiterter Spitzenkandidat, den griechischen Premier zu stürzen und eine Technokratenregierung einzusetzen. Merke: Mir fehlen die Worte!
Über all das könnte man achselzuckend hinweggehen, ginge es “nur” um Griechenland. Doch Griechenland interessiert “uns” schon gar nicht mehr, wie Merkel in ihrer unvergleichlichen Art deutlich gemacht hat.
Nein, das Exempel gilt nicht oder nur noch am Rande den “Pleite-Griechen”, die nur noch die Wahl zwischen Pest (Memorandum) und Cholera (Grexit) haben sollen, also keine.
Das Exempel wird für “uns alle” statuiert – damit niemand mehr auf die Idee kommt, die ehernen Regeln im deutschen Europa in Frage zu stellen! Der nächste Test wird übrigens Spanien sein…
Die Original-Posts aus dem Jahren 2012 und 2013 finden sich hier und hier.
Holly01
21. Juli 2015 @ 02:17
KenFM in Athen:
https://www.youtube.com/watch?v=CrExVhv7kHc
Ich würde ja gerne mal ein MM verlinken, aber die sind ja nicht da ……
Holly01
21. Juli 2015 @ 03:06
Bundespressekonferenz, ab 30:00 ansehenswert:
https://www.youtube.com/watch?v=uRysm-6cvh4
winston
4. Juli 2015 @ 18:51
GS
Ich glaube nicht das man solche tiefgreifenden und hochkomplexe Entscheidungen wie ein Euro-Exit dem Volk überlassen kann. Das macht nicht mal die Schweiz, siehe Rettung UBS und die Auflösung des Euro-PEG. Ein Euro-Exit muss in totaler Verschwiegenheit und überraschend passieren.
Was die Griechischen Regierung hätte machen können, wäre die Nationalisierung der Banken und die Nationalbank unter Staatlicher Kontrolle bringen, das wäre dem Volk Spurlos vorbei gegangen und die Kappung des Geldflusses seitens der EZB hätte seine Wirkung verloren, das mindeste was T. und V. hätten machen müssen, wären sie für ein Euro-Exit.
Das die Gläubiger die Griechen, Spanier usw. rausschmeissen ist m. E. sehr unwahrscheinlich.
Henkel hat völlig recht wenn er sagt, das Geld ist weg, die Griechen sind Bankrott, das einzige was Griechenland helfen kann ist ein Teilerlass und die Drachme, alles andere führt zum totalen Desaster.
winston
4. Juli 2015 @ 18:30
GS
Da hast Du Recht.
Die Bevölkerung ist für den Euro weil eine objektive Debatte über den Euro völlig inexistent ist, Euro Gegner als Terroristen abgestempelt werden und die Medien eine pro-Euro Propaganda betreiben die selbst Göbbels alt aussehen lässt und dass fast tag täglich.
Das ist nicht nur in Griechenland so, ich verfolge die Szene in Frankreich und Italien, das ist nur noch verrückt was dort abläuft, Medien und Regierung stehen 100% hinter Brüssel und lassen keine Euro Debatte zu, die pro-Euro Fraktion tretet sehr aggressiv auf und verbreitet sehr viel Angst im Falle eines Euro-Exit. Grotesker wiese sind die einzigen Parteien in Frankreich und Italien die gegen den Euro sind ausgerechnet die Front National und die Lega Nord, also ist man wenn man gegen den Euro ist, gleichzeitig auch noch Nazi und Rassist.
Nichtdestotrotz der Euro wird kein Bestand haben. Geht es so weiter, wird am Schluss mehr als halb Europa am Boden liegen und Deutschland auf einem gigantischen Berg von uneinbringlichen Forderungen sitzen die abgeschrieben werden müssen.
Denke da profitiert eine kleine Schicht ganz gewaltig vom Euro, der grosse Rest geht leer aus. Anders ist das nicht mehr zu erklären.
winston
4. Juli 2015 @ 09:12
Seit der Ankündigung des Referendums erlebt Griechenland sozusagen die Auswirkungen die ein Grexit hätte, allerdings ohne eigene Souveränität, vor allem monetäre Souveränität. Man kann nicht gegen Austerität sein und gleichzeitig den Euro wollen. Ich verstehe Tsipras und Varoufakis nicht. Die einzige Karte die Griechenland in den Verhandlungen mit der Eurogruppe hat, ist die des Euro-Exits. Wenn Tsipras sagt er wolle im Euro bleiben, gibt’s nix mehr zu verhandeln und er hätte sich das “wirtschaftliche” Desaster der letzten 5 Monate sparen können.
Hier werden ganze Länder zugunsten eines Fehlkonstruktes geopfert, den Euro. Und die Hauptschuldigen sitzen m. E. nicht mal in Brüssel sondern in den einzelnen Parlamenten.
Was Tsipras hätte machen sollen, sofort sämtlichen Banken nationalisieren, die Kontrolle der Nationalbank per Dekret dem Staat übergeben, den die Nationalbanken der EZ Länder sind nix anderes als Filialen der EZB und verfolgen ausschliesslich die Interessen der EZB, Danach Bankrott Erklärung mit anschliessendem Euro-Exit.
Peter Nemschak
4. Juli 2015 @ 13:18
Griechenland wäre ein Fall für eine “limited, supervised transfer union”, a “kick-off package”.
GS
4. Juli 2015 @ 15:21
Hi winston,
ich denke, Tspiras und Varoufakis wissen das. Und ich bin mir gar nicht mal so sicher, dass das Ziel der beiden nicht tatsächlich ist, aus dem Euro auszusteigen. Nur können sie diesen Schritt vielleicht gar nicht selbst machen, weil die griechische Bevölkerung ja den Euro weiter will. Man hat ja im Moment auch den Eindruck, dass die Griechen sehr gespalten sind. Vielleicht haben T und V Angst vor schweren Auseinandersetzungen zwischen den griechischen Lagern selbst. Und dafür gibt es eine Lösung: Man muss sich von den Gläubigern aus dem Euro drängen lassen. Dann kann man nämlich die Verantwortung dafür abwälzen.
Renzo
3. Juli 2015 @ 22:23
Da ziehen die Gläubiger ihr Memorandum – pardon: ihr „Angebot“ – just in dem Moment zurück, da Athen ein Referendum ansetzt. Merke: Wage es nicht, das Volk zu befragen!
Naja, als das Referendum angesetzt wurde war Ende Juni. Das Angebot bezog sich auf das letzte Rettungpaket was Ende Juni auslief. Mittlerweile ist das Paket gegenstandslos. Die Frist ist verstrichen. Klar können die das Volk befragen – hätten sie aber etwas früher machen können (müssen) dann hätte man sich manchen Verhandlungsmarathon sparen können. Die ganze Abstimmung ist doch jetzt Makulatur. Selbst wenn die Griechen für Ja stimmen, dann wird neu verhandelt und es kommt evtl. etwas ganz anderes raus. Wird dann wieder abgestimmt?
Hatte Marktforschung als Prüfungsfach und dieser Fragebogen ist ein Musterbeispiel dafür, wie man es nicht macht – vorausgesetzt natürlich man will eine ehrliche Meinung. Suggestivfrage, die gewünschte Antwort als erstes, Frage nach komplexem Sachverhalt den kaum jemand versteht und bei dem das Gehirn sofort abschaltet. Zu guter Letzt Werbung für die gewünschte Antwort machen. Der Fragebogen ist eine einzige Farce. Dann kann man es auch gleich lassen. Reine Verarschung.
ebo
3. Juli 2015 @ 22:30
Sehe ich ähnlich. Wenn schon, hätte Tsipras anders fragen sollen, etwa: ‘Finden Sie es richtig, dass wir in Brüssel einen besseren Deal fordern?’ Ein Sieg wäre ihm sicher…
Renzo
3. Juli 2015 @ 22:46
Eben. Bis jetzt hatte ich viele Sympathien für die Griechen – aber man muß ja nicht alles gut finden, was die da machen. Sie haben hart verhandelt um das Beste für ihr Volk rauszuholen. Das ist in Ordnung (wäre auch schlimm wenns anders wäre). Sie haben der EU ordentlich Contra gegeben. Aber wenn ich jetzt von Demonstrationen lese: 25000 demonstrieren für Nein, 22000 für Ja (keine Ahnung ob die Zahlen stimmen) dann sehe ich nur eine Spaltung der Gesellschaft, die jetzt erst recht an einem Strang ziehen müsste. “Ein besserer Deal”, ja das wäre eine starke Botschaft an Europa gewesen, die ALLE Griechen unterschrieben hätten.
Eine solche kritische Sichtweise hätte ich mir hier im Blog auch mal gewünscht, statt immer nur auf Berlin, Brüssel etc. zu schimpfen.
ebo
3. Juli 2015 @ 23:35
Hier ist alles kritisch – siehe Tsipras verwirrt Freund und Feind oder Was war da los, Yanis? Mein Untersuchungs-Objekt ist aber nicht Syriza oder Griechenland, sondern der Brüsseler Betrieb, der zunehmend aus Berlin ferngesteuert wird…
Peter Nemschak
3. Juli 2015 @ 17:10
@ebo zwischen den Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP stimmt es seit langem nicht (Bildung, Pensionen, Bundesstaatsreform, Wohnungsmarkt, Asyldebatte etc). Darüber hinaus ist der Kanzler in der eigenen Partei angeschlagen, und der Finanzminister hat sich mit seinen (hauptsächlich) eigenen Parteikollegen (Landeshauptleuten) in den Ländern angelegt. Von der Schwäche der Mitte profitiert die rechtspopulistische FPÖ, hauptsächlich beim Asylantenthema. Leider kein Einzelfall in Europa. Um Änderungen herbeizuführen, geht es noch zu gut, nicht mehr wie früher aber immer noch zu gut.
@DerDicke Um sich an der Schweiz zu orientieren, fehlt die allemannische Mentalität, die nur in Vorarlberg übereinstimmt. Der österreichische Föderalismus ist (leider) nicht mit dem der Schweiz vergleichbar: bei uns entscheidet der Bund über die Steuern und hebt sie ein, die Länder geben sie aus, was zur Verschwendung (Doppelgleisigkeiten) anregt. Weitere rd. 500 Beispiele, wie man es nicht machen soll, finden sich im Rechnungshofbericht des Bundes.
DarthSmut
3. Juli 2015 @ 13:15
ich gluabe Ihre Shift-Taste hängt immer dann wenn Sie ein u schreiben wollem; anbseits davon ist dies wohl der lustigste kommentar den ich dazu jemals gelesen habe.
Beate
3. Juli 2015 @ 11:48
Der nächste Test wird Österreich sein.
Die wollen raus.
Das wird nix mit dem Nord-Euro.
Auch in den Niederlanden wird mal anders gewählt werden.
Peter Nemschak
3. Juli 2015 @ 12:54
Das glaube ich nicht, zumindest spricht die historische Erfahrung dagegen. Österreich wird sich wie in der Vergangenheit beim Haupthandelspartner, den Deutschen, anhängen. Im übrigen hätten die Griechen die letzten 6 Monate dazu benützen können, längst überfällige Reformen, angefangen von einer Verwaltungsreform anzugehen. Funktionierende Institutionen sind die Grundlage wirtschaftlichen Wohlstands.
DerDicke
3. Juli 2015 @ 16:02
Ich denke, dass sich viele Österreicher eher an der Schweiz orientieren möchten als an Deutschland. Neutralität, Wohlstand, keine NATO.
ebo
3. Juli 2015 @ 16:11
Mir sagte ein österreichischer Kollege in Brüssel, dass zwischen dem Finanzminister und dem Bundeskanzler nichts geht, beide vertreten völlig konträre Positionen…
Peter Nemschak
3. Juli 2015 @ 08:18
Bei einem so heterogenen Gebilde wie die EU ist eine Währungsunion nur gleichzeitig mit einer Transferunion machbar. Für eine Transferunion fehlen die politischen Institutionen du der politische Wille der europäischen Bevölkerungen. Warum sollen Bürger eines Landes permanent Ressourcen an ein anderes Land abgeben, ohne dass sie auf dieses Land direkt politisch Einfluss nehmen können? Welche Möglichkeit haben die Gläubigerländer durchzusetzen, dass Griechenland eine effiziente und effektive Verwaltung bekommt, dass überhöhte Militärausgaben reduziert und die Privilegien der orthodoxen Kirche abgeschafft werden, eine gerechtere Steuerverteilung durchgesetzt wird und die Wirtschaft mehr Wettbewerb zu spüren bekommt? Das wären Aufgaben, welche die griechische Regierung durchsetzen müsste. Sonst wird Griechenland nachhaltig am Tropf der anderen EU-Mitglieder hängen, was für diese nicht akzeptabel ist. Solidarität darf nicht überbeansprucht werden, sonst wendet sie sich ins Gegenteil. Europa ist nicht für alles und jedes zuständig und verantwortlich.
DerDicke
3. Juli 2015 @ 08:00
Eine Politik des Scheiterns.
Entweder wird die Demokratie abgeschafft oder die EU in der aktuellen Form. Beides ist zusammen ist inkompatibel.
http://alles-schallundrauch.blogspot.de/2015/06/der-euro-ist-alternativlos-bis-zum.html