“Dies ist keine Zensur”, Pegasus ist (k)ein EU-Problem – und Türkei greift Nordirak an

Die Watchlist EUropa vom 20. April 2022 –

Außergewöhnliche Zeiten verlangen nach außergewöhnlichen Maßnahmen“: Mit diesen Worten begründete die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Vera Jourova, Anfang März das EU-weite Verbot für die russischen Staatsmedien RT und Sputnik. „Wir alle stehen für die Redefreiheit, aber sie darf nicht zur Verbreitung von Kriegspropaganda missbraucht werden. Der Kreml hat Informationen zur Waffe gemacht.“

Es war ein Tabubruch, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen sind Meinungs- und Pressefreiheit ein integraler Bestandteil der EU-Grundrechtecharta. „Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungs­freiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben“, heißt es in Artikel 11. Er wurde mißachtet.

Zum anderen ist die EU-Kommission für die Zulassung von Medien gar nicht zuständig. Dies ist Sache der 27 EU-Mitgliedsländer. In Deutschland liegt die Kompetenz bei den Landesmedienanstalten. Die Brüsseler Behörde hat ihre Kompetenzen eindeutig überschritten und zwei (aus guten Gründen) getrennte Bereiche – die Medienpolitik und die Außenpolitik – unzulässig miteinander vermischt.

Kaum Widerstand

___STEADY_PAYWALL___

Dabei machte sie sich nicht einmal die Mühe, die Notwendigkeit der Maßnahme zu belegen oder zu erklären. Man werde „nicht zulassen, dass Apologeten des Kremls ihre toxischen Lügen zur Rechtfertigung von Putins Krieg verbreiten oder Zwist in unserer Union säen“, erklärte die deutsche Behördenchefin Ursula von der Leyen – das mußte als Begründung reichen. Großen Widerstand gab es nicht, sieht man von einzelnen Europaabgeordneten und NGOs wie EDRI ab, die die mangelnde Mitwirkung des Parlaments bemängeln.

Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen stehen „Fake News“ und „Desinformation“ aus Russland bereits seit Jahren im Fokus der EU. Wegen des Ukraine-Konflikts wurde im Auswärtigen Dienst EAD schon 2015 eine Taskforce für „Strategische Kommunikation“ eingerichtet.

Der Boden für regulative Eingriffe war also bereitet, und das schon seit Jahren. Zum anderen hat die EU ihr Verbot nicht als Maßnahme gegen bestimmte Informationen, Meinungen oder Journalisten präsentiert, sondern als „restriktive Maßnahme“ (Sanktion) gegen russische „Manipulation“. Sie kann sich so als Hüterin einer freien Öffentlichkeit präsentieren und den Vorwurf der Zensur abwehren.

EU baut Zugriff aus

Derweil baut die EU-Kommission ihren Zugriff auf das Internet und große Plattformen wie Facebook und Twitter aus. Der „Digital Service Act“ und ein „Code of Practice“ sollen die Internet-Giganten dazu bringen, missliebige Inhalte zu unterdrücken. Auch die „Monetarisierung“ von Angeboten, „die den Krieg ausnutzen, leugnen oder billigen“ (etwa über Google Adsense) soll unterbunden werden.

Und das ist noch längst nicht alles: Die EU-Kommission will nach einem Bericht von „Netzpolitik“ auch die Suchergebnisse und Social-Media-Inhalte zensieren. Wer Inhalte von RT, Sputnik oder anderen missliebigen Medien zitiert, soll keine Verbreitung mehr auf Google & Co. finden. Sogar eine Diskussion über RT-Propaganda könnte auf diese Weise verboten werden, mutmaßt „Netzpolitik“.

„Wir wollen möglichst wenig Eingriffe“, heißt es beim EAD. “Wir sind keine Zensurbehörde und wollen auch keine sein.“ Doch die Praxis sieht anders aus. Unter dem Eindruck des Ukrainekriegs schränkt die EU die Meinungsfreiheit immer mehr ein. Mit schwammigen Begriffen wie „Manipulation“ und „Einmischung“ wird das Feld des Unerwünschten und Unsagbaren beständig ausgeweitet.

Dies ist die gekürzte Fassung eines Newsletters für das Institut für Medienverantwortung. Das Original steht hier. Siehe auch “RT-Verbot: Ein bedenklicher Präzedenzfall”

Watchlist

Was tut die EU gegen die Überwachung durch Pegasus? Das sei Sache der Mitgliedsstaaten, sagte die EU-Kommission, nachdem bekannt geworden war, dass auch katalonische Politiker mithilfe der Späh-Software überwacht worden waren. Derweil hat das Europaparlament einen eigenen Ausschuß eingesetzt. Aus Deutschland ist der FDP-Abgeordnete M. Körner an der Aufklärung beteiligt.

Was fehlt

Die neue Militär-Offensive der Türkei im Nordirak. Laut Verteidigungsministerium griffen Flugzeuge und Artillerie Ziele der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK an. Dabei seien Kampfjets, Hubschrauber und bewaffnete Drohnen eingesetzt worden. Zudem seien Bodentruppen im Einsatz. Mindestens 19 kurdische Kämpfer seien getötet worden. Die EU wollte das nicht kommentieren…