Die überforderte Kommission, die unerwünschten Flüchtlinge – und Polizeigewalt in Brüssel

Die Watchlist EUropa vom 03. Mai 2021 –

Die Presseabteilung der EU-Kommission in Brüssel hat einen neuen Job: Seit Ende letzter Woche berichtet sie, welche Länder ihre Anträge auf europäische Corona-Hilfen eingereicht haben. Jeder Antrag wird öffentlich willkommen geheißen – als Beweis, dass das Wiederaufbauprogramm der EU funktioniert. Mittlerweile liegen 13 nationale Programme vor, 14 fehlen noch.

Man liege gut im Plan, heißt es in Brüssel – obwohl die Deadline eigentlich am vergangenen Freitag abgelaufen ist. Bis Ende Juni sei ja noch genug Zeit. Dabei läuft der EU-Behörde schon jetzt die Zeit davon.

Sie ist mit der Bearbeitung der Anträge hoffnungslos überfordert. Bis zu 10.000 Seiten umfassen die Vorlagen, selbst der deutsche Aufbau- und Resilienzplan (DARP) bringt es noch auf stolze 1100 Seiten.

Noch nie mußte die Kommission in so kurzer Zeit – geplant sind zwei Monate – so viele Dokumente durcharbeiten. Und noch nie waren die Vorgaben so widersprüchlich.

Die Reformpläne sollen nicht nur den Klimaschutz und die Digitalisierung vorantreiben – mindestens 37 bzw. 20 Prozent der Gelder sind dafür vorgesehen.

Neoliberale Träume werden wahr

___STEADY_PAYWALL___

Nein, die Eurokraten haben auch längst vergessen geglaubte neoliberale Träume aus der Klamottenkiste geholt. Zu den Prüfkriterien zählt etwa, dass die nationalen Budgets auf „ineffiziente“ Aufgaben geprüft werden, dass Arbeitsmärkte reformiert und Investitionshemmnisse beseitigt werden. Und dann kommen natürlich noch die „länderspezifischen“ Empfehlungen aus dem „Europäischen Semester“ hinzu.

Wie all das zusammenpasst, ist das Geheimnis der EU-Kommission. Der Kriterienkatalog ist genauso widersprüchlich wie die Politik von der Leyens, die mit ihrem „European Green Deal“ und dem Kampf gegen die CoronaPandemie gleich zwei radikale Kehrtwenden hingelegt hat – und gleichwohl so tut, als passe die alte Politik noch auf die neue Zeit.

Ehrlicher wäre es gewesen, den Ballast aus längst vergangenen Zeiten (Maastricht war 1992!) über Bord zu werfen und die Mitgliedsstaaten einzig und allein auf die Überwindung der Krise und den Wiederaufbau zu verpflichten.

Das Dilemma der Eurokraten

Diese EU-weite Vorgabe hätte man dann mit einer Prüfung durch die nationalen Parlamente und das Europaparlament verbinden können, um die demokratische Kontrolle zu sichern.

Stattdessen stehen die Eurokraten nun vor einem Dilemma: Entweder prüfen sie die nationalen Reformpläne strikt nach den Vorgaben. Dann müssten sie einige Vorlagen, darunter die deutsche, ablehnen – ein Eklat wäre die Folge, das Solidaritätsversprechen wäre gebrochen.

Oder sie drücken ein Auge zu – dann leidet die Glaubwürdigkeit. So oder so: Die Kommission ist mit dieser Aufgabe überfordert.

Siehe auch “Die Stunde der Eurokraten”

Watchlist

Wer nimmt die mehr als 1000 Flüchtlinge auf, die am Wochenende im Mittelmeer gerettet wurden? Fast die Hälfte – 455 Migranten – hat das deutsche Rettungsschiff “Sea Watch 4” geborgen, ohne jedoch einen sicheren Hafen zu finden. Derweil erreichten 532 Flüchtlinge auf vier Booten die Insel Lampedusa. In Italien können die Menschen wohl kaum bleiben, sie sind dort unerwünscht. Doch einen verlässlichen Verteilmechanismus gibt es in der EU immer noch nicht. Derweil berichtet die “Sea Watch” von Misshandlungen von Flüchtlingen durch die libysche Küstenwache. Auch darum müßte sich Brüssel kümmern – wenn man es ernst mit den Menschenrechten meinte…

Hotlist

  • Polizeigewalt in Brüssel: Erneut haben die belgischen “Ordnungshüter” eine zunächst friedliche Fete im Brüsseler Stadtwald aufgelöst. “La Boum 2” wurde mit Wasserwerfern und Knüppeln beendet, während andere Großveranstaltungen am 1. Mai – darunter ein nicht angemeldeter Flash Mob im Zentralbahnhof und diverse Kulturevents – toleriert wurden. Nach der Räumung stellten schwer bewaffnete Polizisten den (meist) jugendlichen Aktivisten in Seitenstraßen nach, wie mehrere Videos zeigen. – Der sozialistische Bürgermeister Close sieht kein Problem – er hatte die Demo untersagt und rechtfertigt die Polizeigewalt und die 132 Festnahmen mit den Corona-Maßnahmen, die allerdings gerade auslaufen…Mehr hier
  • Johnson unter Druck: Der britische Premierminister Boris Johnson ist in Erklärungsnot, ein Spender soll die Luxusrenovierung seiner Dienstwohnung finanziert haben. Ein wichtiger Parteifreund spricht über möglichen Rücktritt, schreibt der “Spiegel”. – Am Donnerstag stehen in Schottland und Wales Parlamentswahlen an, in England Kommunalwahlen. Die Enthüllungen könnten Johnson und seines Tories viele Stimmen kosten…
  • Nachbesserung am Mercosur-Deal: Die EU-Kommission will den umstrittenen Handelsvertrag mit Südamerika durch Zusatzvereinbarungen zum Klimaschutz retten. Juristen zweifeln aber an der Wirksamkeit, berichtet die “Süddeutsche”. Die Umweltgruppe Greenpeace und das Hilfswerk Misereor werden die Studie an diesem Montag veröffentlichen. Fazit: “Die einzige Option zur Verbesserung dieses Abkommens wären Neuverhandlungen.”

Erweiterte Neuauflage

Todesstoß oder heilsamer Schock?

Unser E-Book zur Coronakrise