Mit Indien gegen China, mit Sanktionen gegen Belarus – und Aus für AstraZeneca

Die Watchlist EUropa vom 10. Mai 2020 –

Vor dem Hintergrund wachsender Spannungen mit China plant die EU ein neues Freihandelsabkommen mit Indien. Man wolle eine der größten Freihandelszonen der Welt schaffen, erklärten die 27 Staats- und Regierungschefs der EU nach einer Videokonferenz mit Indiens Premierminister Narendra Modi in Porto (Portugal).

Außerdem sind Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen und den Schutz von Herkunftsbezeichungen für Lebensmittel geplant.

In der vergangenen Woche war ein Investitionsabkommen mit China geplatzt. Die EU hat den von Kanzlerin Angela Merkel vermittelten Deal auf Eis gelegt, nachdem sich Brüssel und Peking wechselseitig mit Sanktionen belegt hatten.

Umso größer sind nun die Erwartungen an Indien. Der Subkontinent wird von der EU als Gegengewicht gegen ein zunehmendes selbstbewußtes China betrachtet.

Allerdings ist die Ausgangslage düster. Indien leidet mehr als jedes andere Land unter der Corona-Pandemie. Viele Inder geben Modi die Schuld an der humanitären Katastrophe mit täglich tausenden Toten.

Die „Apotheke der Welt“ ist dringend auf Hilfe von außen angewiesen; selbst bei der Impfstoff-Produktion gibt es Probleme. Indien fordert daher die Aufhebung der Impfstoff-Patente.

Streit um Patentschutz

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Doch die EU stellte sich auf ihrem zweitägigen Gipfeltreffen gegen entsprechende Forderungen, die neuerdings auch von den USA unterstützt werden.

Die Europäer setzen auf den Export ihrer Vakzine, die Inder hingegen auf die Eigenproduktion von so genannten Generika – also Nachahmermedikamente, die nach Ablauf des Patentschutzes günstiger auf den Markt kommen.

Probleme gibt es auch im Automobilsektor. Wer fertig montierte Pkw nach Indien einführt, zahlt dafür einen Aufschlag von 60 bis 100 Prozent des Neupreises. Die EU würde diese Hürde gern abschaffen.

Indien sieht darin jedoch eine Gefahr für die heimische Produktion. Wegen der indischen Zölle waren die letzten Gespräche über ein Freihandelsabkommen 2013 ergebnislos abgebrochen worden.

Es geht um Geopolitik

Auch jetzt überwiegt in Brüssel die Skepsis. Bis kurz vor dem Gipfel in Porto hatte die EU erwogen, Indien kein breit angelegtes Freihandelsabkommen anzubieten, sondern es eine Nummer kleiner zu versuchen.

Letztlich gaben geopolitische Erwägungen den Ausschlag: Man möchte China etwas entgegensetzen. Peking hatte Ende 2020 mit 14 Asien-Pazifik-Staaten die größte Freihandelszone der Welt geschaffen.

Das will die EU nun toppen – mithilfe der “größten Demokratie der Welt”, so die offizielle Darstellung. Dummerweise erweist sich Indien gerade als “failed state”…

Siehe auch “Die neue China-Doktrin”

P.S. Laut ZDF droht Merkel nun Indien, weil das Land dort produzierte Impfstoffe wegen der Corona-Katstrophe nicht mehr (wie vereinbart) nach Europa liefern will. Das dürfte den angestrebten Freihandels-Deal nicht erleichtern – denn Indien möchte keine Lektionen aus Deutschland…

Watchlist

Kommen neue Sanktionen gegen Belarus und Russland? Darüber müssen die EU-Außenminister am Montag entscheiden. Das Europaparlament fordert ein härteres Vorgehen gegen Minsk, Tschechien möchte neue Strafen gegen Moskau. Allerdings haben schon die bisherigen Sanktionen versagt – weder Belarus noch Russland haben ihre Politik geändert. Weitee Themen sind die Lage in der Sahelzone, Afghanistan und im Libanon.

Hotlist

  • Dunkle Schatten über der Zukunftskonferenz: Am Europatag wollte die EU Optimismus, Aufbruch und Reformfreude signalisieren. Doch zu sehr drängen die ungelösten Probleme der Gegenwart auf die Agenda. Der Streit um den Grünen Pass und den Impfstoff überschattet die EU-Zukunftskonferenz, die am Sonntag in Straßburg eröffnet wurde, kommentiert T. Mayer im “Standard”. – Die Konferenz hatein Jahr später als geplant begonnen, ihr Start war bis zuletzt umstritten. Wie soll davon noch ein Aufbruchsignal ausgehen? – Mehr hier
  • Sozial, aber unverbindlich: Beim Sozialgipfel in Portugal hat sich die EU zu einem gerechten Aufschwung nach der Corona-Krise und zu einem sozialeren Europa bekannt. In einer Erklärung verpflichteten sich die Teilnehmenden des Sozialgipfels auf konkrete Ziele, um die soziale Lage bis 2030 spürbar zu verbessern. So soll bis zum Ende des Jahrzehnts eine Beschäftigungsquote von mindestens 78 Prozent in der EU erreicht werden, meldet die “Zeit”. Die Ziele sind rechtlich nicht bindend. Und Merkel ist gar nicht erst angereist…
  • Aus für AstraZeneca. Die Europäische Union will ihren Vertrag mit dem Impfstoffhersteller AstraZeneca nicht verlängern. Das gab der Binnenmarktkommissar Thierry Breton bekannt. Über den Juni hinaus werde es keine Neuauflage der Liefervereinbarungen geben, sagte er im Gespräch mit dem französischen Nachrichtensender France Inter. – Damit werden Millionen EU-Bürger, die mit AZ geipmft wurden, im Stich gelassen. Der deutsche Hersteller BionTech hingegen wird zum Quasi-Monopolisten – ein neuer Vertrag läuft bis 2023…