Die Gelbwesten 2.0 kommen, Scholz bei Putin – und Lindner auf Schäubles Spuren
Die Watchlist EUropa vom 15. Februar 2022 –
Nach Paris ist auch Brüssel zum Ziel einer Sternfahrt von empörten Bürgern geworden. Mehrere hundert Teilnehmer eines sogenannten “Freiheits-Konvois” protestierten am Montag gegen Corona-Maßnahmen und Energiepreis-Erhöhungen. Doch im Europaviertel stießen die Gelbwesten 2.0 auf taube Ohren.
Die Polizei sperrte eine Autobahn und verhinderte die Weiterfahrt ins Zentrum. Die Stadt dürfe nicht „als Geisel“ genommen werden, sagte Brüssels Bürgermeister Philippe Close.
Die Teilnehmer, die aus zum größten Teil aus Frankreich, aber auch aus Deutschland, den Niederlanden und Belgien kamen, hätten ihren Protest nicht angemeldet, so Close.
Die belgischen Behörden hatten bereits am Freitag ein Verbot ausgesprochen. Rund tausend Polizisten waren im Einsatz, um das Verbot durchzusetzen und und Krawalle im Europaviertel zu verhindern, wie es sie zuletzt Ende Januar gegeben hatte.
Brüssel hat sich seit Beginn der Pandemie zu einem Zentrum der Corona-Proteste entwickelt. An der letzten Demo nahmen mehr als 50.000 Menschen teil.
So viele Menschen bringen die „Freiheitskonvois“ nicht auf die Beine. Sie setzen – genau wie ihr großes Vorbild, die Trucker in Kanada – auf symbolische Sternfahrten und massive Verkehrsbehinderungen.
In Kanada hatten schwere Lastwagen tagelang die Hauptstadt Ottawa blockiert, auch ein Grenzübergang zu den USA wurde lahmgelegt.
Nicht nur “Querdenker”
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Anders als in Kanada geht es in Belgien nicht nur um ein Ende der Corona-Maßnahmen. Die Demonstranten, darunter einige französische „Gelbwesten“, wollen auch auf hohe Energiepreise, steigende Lebenshaltungskosten und andere Alltagsprobleme hinweisen. Mit deutschen „Querdenkern“ haben sie wenig gemein, viele verstehen sich als links.
„Wir müssen ihnen für ihren Mut danken, diese Bewegung ist historisch“, sagte eine Unterstützerin im belgischen Fernsehen, nachdem sie französischen Demonstranten bei der Anreise geholfen hatte. „Es geht um das gute Leben“, twitterte ein Sympathisant, der sich als Anhänger des französischen Armenpriesters Abbé Pierre ausgab.
Weiter nach Straßburg
Einige Demonstranten wollten am Abend nach Straßburg weiterreisen, wo das Europaparlament in dieser Woche tagt. Die EU hat die Proteste vor ihrer Haustür bisher ignoriert.
Für die Corona-Maßnahmen seien die nationalen Regierungen zuständig, heißt es in der EU-Kommission. Und wie sieht es mit den Energiepreisen aus?
Da ließe sich schon sagen, dass Brüssel zu den “treibenden” Kräften zählt…
Die Watchlist
Wie wird sich Kanzler in Scholz in Moskau schlagen? Am Dienstag ist er zum Antrittsbesuch bei Kremlchef Putin. Am Mittwoch soll – folgt man chronisch unzuverlässigen amerikanischen Angaben – die russische Invasion in der Ukraine beginnen. Dieses Framing macht es für Scholz fast unmöglich, Kompromisse einzugehen – er wird sich hart geben müssen..
Was fehlt
Die Wende rückwärts von Finanzminister Lindner. Nachdem er den konservativen Ökonomen Lars Feld zu seinem Chefvolkswirt gemacht hat, tritt er nun auch noch in die Fußstapfen seines Amtsvorgängers Schäuble – und fordert den Abbau der Staatsschulden. Dabei sind diese vor allem auf die Corona-Maßnahmen zurückzuführen. Und die Zinsen sind (noch) niedrig…
Michael
15. Februar 2022 @ 09:51
Es ist erschreckend, wie ideologisch verbohrt Herr Lindner ist. Finanzpolitischer Geisterfahrer..und er hat offensichtlich noch weniger Ahnung von Wirtschaft als Herr Merz.
Thomas Fiedler
15. Februar 2022 @ 12:43
Eine starke Meinung, leider unbegründet vorgetragen. Wieso “erschreckend”, wieso “Geisterfahrer”? Dass Lindner für Schuldenabbau und Haushaltsdisziplin eintritt, ist seit langem bekannt und war jedem klar, der FDP wählt. Der Kapitalismus kann in zwei Richtungen entwickelt werden, die – extrem verkürzt – als ” Hayek vs. Keynes” bezeichnet werden können, also ordoliberale Schuldeneingrenzung einerseits gegen Schuldenmachen zur Ankurbelung der Wirtschaft andererseits. Es ist kein “Geisterfahren”, wenn man sich für eine dieser Gestaltungsweisen, über die bereits ganze Bibliotheken auf höchstem wirtschaftswissenschaftlichem Niveau geschrieben wurden, entscheidet. Dass mit der FDP und Lindner jetzt ein Korrektiv in der Regierung die Neigung grüner und sozialdemokratischer Vertreter zum “deficit spending” bremst, halte ich für absolut richtig und wichtig.