Deutscher Sonderweg
Der Streit über das Bundesverfassungsgericht und das Anleihenkauf-Programm der EZB spitzt sich zu. Die offene Kritik am OMT sei “gefährlich”, sagte EZB-Mann Nowotny. Zwar hat Karlsruhe den Fall an den EuGH in Luxemburg überwiesen – doch offenbar tickt da eine Zeitbombe.
Auf den ersten Blick war dies eine weise Entscheidung: Zum ersten Mal seit Beginn der Eurokrise hat das oberste deutsche Gericht die Zuständigkeit des EuGH anerkannt.
Damit, so hoffen viele in Brüssel, ist der unselige deutsche Sonderweg beendet. Aus Angst vor negativen Urteilen in Karlsruhe hatte die Bundesregierung viele wichtige Entscheidungen auf die lange Bank geschoben oder ganz verhindert.
Dies trieb nicht nur die Kosten der Krise in die Höhe, es hat sie auch unnötig verlängert.
Die zweite Hoffnung ist, dass der EuGH die Klagen abweist und das EZB-Programm durchwinkt. Damit wäre es mit den höchsten Weihen versehen; EZB-Chef Mario Draghi hätte freie Bahn für seine umstrittenes OMT-Programm.
Fortan wäre die Eurozone sicher gegen neue spekulative Attacken, die Krise wäre endlich ausgestanden.
Doch ist das wirklich so? Nach der ersten Erleichterung machen sich Zweifel breit. Denn die Roten Roben in Karlsruhe haben den Fall nicht kommentarlos nach Luxemburg abgegeben. Sie äußerten unüberhörbar ihre Meinung:
„Vorbehaltlich der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union ist der OMT-Beschluss nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Primärrecht unvereinbar.“
Unvereinbar, also rechtswidrig, und deshalb auch nicht wirksam? Das ist nun die bange Frage, die sich Experten stellen. Und die Antworten fallen alles andere als beruhigend aus.
Von einem „GAU für die EZB“ spricht „Zeit“-Redakteur M. Schieritz in seinem Blog „Herdentrieb“. Die Überweisung nach Luxemburg sei nicht etwa ein Akt der Unterwerfung, sondern Zeichen eines Herrschaftsanspruchs der Karlsruher Richter – nach dem Motto: Wenn die Europäer unserer Meinung nicht folgen, dann muss Deutschland eben aus dem Rettungsprogramm aussteigen. Das wäre dann wohl das Ende.
Noch bedenklicher klingt die Analyse von M. Fratzscher, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW in Berlin. Die Karlsruher Richter hätten der EU und Deutschland einen Bärendienst erwiesen.
Denn sie hätten der EZB Ketten angelegt – zumindest bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs könne die Zentralbank sich nun nicht mehr schützend vor Krisenländer werfen.
Wer hat nun recht, die Optimisten oder die Pessimisten? Schwer zu sagen. Diejenigen, die es wissen müssten – die Richter in Luxemburg – hüllen sich in Schweigen.
Die Unsicherheit wäre allerdings nicht so groß, wenn sich die Bundesregierung von Anfang an eindeutig hinter die Zentralbank gestellt hätte. Merkel und ihr Finanzminister Schäuble sind jedoch ausgewichen.
Bis heute haben sie nicht zugegeben, dass die EZB die einzig funktionierende Institution in der Eurokrise ist, und dass Draghis Drohung der alles entscheidende Befreiungsschlag war.
Lieber halten sie den Mythos aufrecht, das Kürzen von Sozialleistungen und das Drücken von Löhnen habe den Euro gerettet.
Und noch lieber verstecken sie sich hinter der Bundesbank und dem Bundesverfassungsgericht, die beide eindeutig gegen den aktuellen EZB-Kurs sind.
Der deutsche Sonderweg geht also weiter, jedenfalls in Berlin. Am Ende könnte er sich als gefährlicher Irrweg erweisen…
Dies ist die gekürzte Fassung meiner Eurokolumne in der taz, das Original steht hier. Siehe auch “Die EZB, der Euro und die Angst”.
fufu
19. Februar 2014 @ 11:48
Schuldenmoratorium, Rueckkehr zu den nationalen Waehrungen, Selbstaufloesung der EZB
popper
19. Februar 2014 @ 10:27
@Nemschack
Solche Wortspielchen sind amüsant, enthalten aber keinen Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Frage, ob das OMT richtig ist. Das Problem des VerfG besteht ja ganz offensichtlich darin, dass es ökonomische Zusammenhänge nicht versteht und auf die Filibuster des deutschen Popökonomismus angewiesen ist. Anstatt anzuerkennen, dass der stupide Monetarismus der Bundesbank logische Schwächen hat, die gerade nach der Entwicklung der letzten Jahre sich nachhaltig bestätigt haben, versucht man den Leuten permanent weiszumachen, der Steuerzahler habe für all das aufzukommen. Das kann man machen, wenn man aus der Tatsache, dass alle Menschen in organisierten Volkswirtschaften Steuerzahler sind, in irgendeiner Form immer zahlen. Das dringt aber nicht zum Kern des Problems der EWU vor, sondern sucht Schuldige und Opfer anstatt einmal zu akzeptieren, dass das Märchen von der der Staatsschuldenkrise ignorant und irrelevant war/ist, sondern vielmehr die völlig falsche Sicht auf die ökonomischen und monetären Zusammenhänge in dieses Desaster geführt haben. Man sollte endlich damit aufhören vom Gleichgewicht der Märkte, der von Notenbanken garantierten Preisstabilität und/oder dem grotesken Zusammenhang von Geldmenge und Inflation zu schadronieren. Und zu den einfachen Logiken der Ökonomie zurückkehren.
Peter Nemschak
19. Februar 2014 @ 13:41
Wenn die EZB machte, was Sie vorschlagen, wären wir alle mit einem Schlag reich, allerdings mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass unser Reichtum aus wertlosem Geld bestünde. Die Moral von der Geschichte: Geld hat etwas mit Vertrauen zu tun, das man nicht kaufen kann.
Peter Nemschak
18. Februar 2014 @ 22:05
@Popper Natürlich haftet der Steuerzahler nicht für die EZB, er ist aber ökonomisch der Payor of Last Resort, wer sonst? Die EZB ist Kredit, der Steuerzahler Equity.
Johannes
18. Februar 2014 @ 17:24
Da wird Recht gebrochen und es wird gefeiert. Okay, die Elite steht über den Gesetzen. Und aktuell hatten wir einen Innenminister, der genauso arrogant sich über Gesetze hinwegsetzt, nur um die SPD vor einen möglichen Skandal zu schützen. DAS ist euer Wunsch, eure Traum von einer EU? Ich kann das alles nicht mehr wissen, genauso verhält sich ein Putin oder China, die machen sich die Welt wie sie ihnen gefällt. Das kann doch nicht sein, dass unsere Demokratie mittlerweile so kaputt ist, oder?! Zur EZB: Die hat sich entschieden, die wollen uns Bürger in Deutschland melken und fertig machen.
thewisemansfear
18. Februar 2014 @ 20:16
Also Gesetze sind nicht vom Himmel gefallen, die sind von Menschen gemacht.
Dass wir eine von Juristen dominierte Politik haben, zeigt sich immer deutlicher an der Realitätsferne der Entscheidungen. Anstatt sich mit den real existierenden Ungleichgewichten zu beschäftigen, wird auf Vertragseinhaltung und Gesetzeskonformität gepocht. Was und wem nützen solche Debatten?
Die deutschen Politiker haben es in der Hand, hier gegenzusteuern. Schau dir an, wo die Kohle hingeht, das hat mit der EZB rein gar nichts zu tun. Dafür sind die Politiker hierzulande verantwortlich. OMT dient nur zur oberflächlichen Linderung der Symptome, das Auseinanderdriften der Eurozonenländer wird durch ein Missmanagement in der (Wirtschafts-)Politik hervorgerufen.
Peter Nemschak
18. Februar 2014 @ 22:15
Wenn der Wille dazu besteht, kann der Souverän das Recht auch ändern. Es ist höchste Zeit, die Ängste vor einem europäischen Bundesstaat offen und ehrlich auf den Tisch des europäisches Hauses zu legen und auszudiskutieren, mit anderen Worten, den Stier an den Hörnern zu packen.
Andres Müller
18. Februar 2014 @ 12:20
“Die Karlsruher Richter hätten der EU und Deutschland einen Bärendienst erwiesen.”
Die Richter sind dazu da Recht zu sprechen oder die Rechtssprechung an die zuständige juristische Behörde zu äberweisen, nicht aber um Löwen- oder Bärendienste für die Wirtschaft zu erfüllen.
popper
18. Februar 2014 @ 10:38
Die Entscheidung des VerfG ist blamabel. Hier urteilen Juristen auf der Grundlage von Gutachten, die abgesehen von M. Fratzscher alle einer Meinung folgen, indem sie den OMT kritisieren. Da ist “Sinn” der mit seinem Target Hybe, unter den meisten Ökonomen nur Kopfschütteln hervorgerufen hat. Kai Konrad als Ableger (Schüler) von Sinn dasselbe in grün und Harald Uhlig, der immer wieder durch seine bizarren theoretischen Modelle auffällt, die die Wirklichkeit in irgendwelche mathematisierten Theoreme hineinpresst.
Eine Zentralbank/Nationalbank, die nicht Lender of last Resort sein will oder es aufgrund völlig unausgegorener Verträge nicht sein kann, ist nutzlos. Alle Nationalbanken, ob FED, die Bank von Japan oder die Schweizer Nationalbank etc. sind es. Die in Deutschland fetischisierte Preisstabilität und verteufelte Finanzierung von Staaten durch die EZB löst in der Welt nur Unverständnis aus über soviel Legalismus und Blindheit für monetäre Zusammenhänge.
Wo ist denn der Unterschied, ob die EZB direkt oder über Banken die EWU-Staaten finanziert. Will man nur den Hebel nicht aus der Hand geben andere zu bevormunden und volkswirtschaftlich zu ruinieren, wenn sie aus der neoliberalen Spur laufen. Das ist einfach grotesk. Ohne das Eingreifen der EZB wäre das Unterfangen EWU längst am Ende.
Peter Nemschak
18. Februar 2014 @ 11:25
Zentralbanken sind Banken und kein Fonds. Sie kreditieren, aber sie finanzieren nicht im budgetären Sinn. Sie sind Lender of Last Resort aber nicht Payor of Last Resort. Das sind die Steuerzahler. Dort hakt es. Es geht um die Frage der Steuerhoheit. Dieses Thema ist nicht einmal in einem föderal organisierten Nationalstaat politisch konfliktfrei.
ebo
18. Februar 2014 @ 11:29
Nur zur Erinnerung: Das OMT wurde bisher nur angekündigt, nicht ausgelöst; es ist kein einziger Cent geflossen – weder Zentralbank- noch Steuergeld.
popper
18. Februar 2014 @ 12:59
@Nemschak
Verehrter Mitdiskutant, das sind Begrifflichkeiten, die in dieser Frage nicht von Belang sind. Auch wenn es noch so oft wiederholt wird, der Steuerzahler haftet nicht für die EZB. Verlust ist nämlich nicht immer gleich Verlust. Zentralbanken unterscheiden sich in zahlreichen grundlegenden Punkten von „normalen“ Banken: Sie können beispielsweise nie in der eigenen Währung zahlungsunfähig werden, da sie ja selbst Geld „erschaffen können“. Und die Bundesbank (BUBA) mit ihrem Gewinn in bestimmter Höhe. Auch für die BUBA haftet nicht der Steuerzahler. Das sind alles Märchen im Sinne von Prof. Sinn u.a. Weltuntergangspropheten, wenn es um die direkte Finanzierung durch die EZB geht. Aber dran ist da gar nichts. Die EZB könnte sogar rein theoretisch alle Staatsschulden übernehmen und damit nach eigenem Gusto verfahren. Sie könnte sie abschreiben, was zu einem negativen Eigenkapital führen würde, oder ein Schuldenmoratorium verhängen und alle Papiere zinslos bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in den Bilanzen führen. Die vermeintliche Staatsschuldenkrise wäre auf einen Schlag gelöst.
David Woodruff
18. Februar 2014 @ 09:04
It seems to me that the evidence for the pessimist interpretation is stronger than you suggest, though I certainly agree with you that had Schäuble and Merkel gotten behind OMT it would have been positive. You might be interested in http://eutopialaw.com/2014/02/10/barking-vs-biting-understanding-the-german-constitutional-courts-omt-reference-and-its-implications-for-eu-reform/
Cheers,
David
Peter Nemschak
18. Februar 2014 @ 09:46
It seems that Merkel and Schäuble tread carefully in view of the upcoming European elections which most likely will strenghten the populist right. Any support of the OMT will bring additional votes for the anti-European populists. I am missing an open and honest discussion about the consequences of the OMT. The OMT can only serve to prefinance transfer payments and/or partial debt forgiveness mainly from Germany to the southern members of the Eurozone in order to repay the loans offered by the OMT. The real question is, whether the German electorate agrees with such payments. I doubt it, because lacking a federal European state the German electorate has no political say in Spanish, Italian or Greek politics. At least until now a federal European state has little appeal to the majority of the Europeans. Tragically a true catastrophy which nobody wants to have again is needed to promote the vision of European unity.
ebo
18. Februar 2014 @ 16:44
Thanks a lot for you comment. I specially agree with this part of your analysis:
“In other words, the Court’s “bark” has been more powerful than any “bite” could possibly have been. The day may well come when the GFCC will run out of threat options and will need to take more direct action.”
Will this be the end of the Eurozone?