Der Stellvertreter-Krieg überfordert die Nato
Knapp ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Konflikts klagen die Nato-Verteidigungsminister über zu wenig Panzer, zu wenig Munition und knappe Kassen. Dennoch wollen sie weiter für den “Sieg” ihres Schützlings kämpfen; die westlichen Waffenschmieden sollen Sonderschichten einlegen.
Kurz vor dem ersten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar hat die Nato ernste Probleme bei der Versorgung des Landes mit Waffen und Munition eingeräumt. Die versprochenen Leopard-Panzer lassen auf sich warten, die Lieferung von Kampfjets bleibt umstritten – und die Munition wird so knapp, dass sich Rufe nach Sonderschichten für die Waffenschmieden häufen.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg appellierte an die Alliierten, mehr Munition zu liefern und die Produktion im Eiltempo hochzufahren. Es sei “äußerst wichtig, sicherzustellen, dass alle bereits gelieferten Systeme so funktionieren, wie sie sollten“, so Stoltenberg. Dies ist nicht mehr selbstverständlich. Außer bei der Munition gibt es auch Probleme mit Ersatzteilen und Wartung.
Um dem Mangel beizukommen, will Großbritannien ukrainische Soldaten für einen Kampf auf Sparflamme ausbilden. “Die Ukraine verbraucht riesige Mengen Munition, um sich selbst zu verteidigen”, sagte Verteidigungsminister Ben Wallace. “Das ist einer der Gründe, warum wir sie darin unterrichten, auf westliche Art zu kämpfen.“ Das bisherige Vorgehen sei zu „munitionslastig“.
Der neue deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius kündigte an, die Produktion von Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard wiederaufzunehmen. Die Verträge mit den Herstellern seien unterschrieben, sagte Pistorius in Brüssel. Die Reserven würden noch bis zum Sommer reichen, danach werde es eng. Bisher liegt die Produktion vor allem in der neutralen Schweiz, künftig soll Rheinmetall liefern.
Pistorius will mehr Geld
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Pistorius rief die Nato-Partner auch zu höheren Rüstungsausgaben auf. Es werde künftig “nicht reichen”, bis zu zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, betonte der SPD-Politiker. Er teile die Auffassung Stoltenbergs, dass das bestehende Zwei-Prozent-Ziel der Nato nur eine „Untergrenze“ sein könne. Deutschland liegt noch weit unter dieser Schwelle.
Dennoch gab sich Pistorius kämpferisch. Während er bei seinem Amtsantritt vor drei Wochen noch wegen des Panzer-Streits unter Druck stand, ging er diesmal in die Offensive. Deutschland habe geliefert, nun seien andere dran. Das Ziel, eine deutsche Panzerkoalition zu schmieden und ein Bataillon mit Panzern vom Typ Leopard 2A aufzustellen, wurde in Brüssel zwar verfehlt. „Wir sind auf einem guten Weg“, erklärte Pistorius dennoch.
Als Erfolg verbuchte er auch die Diskussion über den geplanten europäischen Luftabwehrsystem „Sky Shield“. Dänemark und Schweden hätten ihre Teilnahme zugesagt, sagte er. Dies sei gut, weil es die Sicherheit erhöhe und die Kosten reduziere. Das System soll russische Angriffe durch Raketen, Drohnen und Flugzeuge abwehren. Die Luftabwehr gilt als Achillesferse der Ukraine.
“Kein Teil des Konflikts”
Offen blieb beim Nato-Treffen, wie es mit dem Krieg in der Ukraine weitergeht. Pistorius sagte, er rechne mit einem länger andauernden Konflikt. “Es wird kein kurzfristiges Ende des Kriegs geben, einen kurzfristigen Sieger sehe ich auch nicht.“ Stoltenberg erklärte, die vor dem Jahrestag am 24. Februar befürchtete Großoffensive habe bereits begonnen. Die Nato müsse daher mehr tun, um Russland zu stoppen.
Eine Kriegspartei sei die Allianz aber nicht: „Weder die Nato noch Nato-Alliierte sind Teil des Konflikts“, betonte Stoltenberg. Dass der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow die Beratungen in Brüssel prägte und detaillierte Forderungen stellte, sei kein Widerspruch. Schließlich werde das Land ja eines Tages beitreten; zunächst müsse es aber den Krieg gewinnen. Natürlich mit Nato-Hilfe.
Letztlich heißt das nichts anderes, als daß die Ukraine de facto wie ein Nato-Mitglied behandelt wird (wie sie auch selbst stolz behauptet), und daß die Allianz längst wie eine Kriegspartei agiert. Ich vermute auch, dass sich die Alliierten zum 24. Februar noch ein paar “Knaller” ausgedacht haben, um Russland zu beeindrucken – doch in Brüssel wollte man nicht alles ausplaudern…
Mehr zur Nato hier. Siehe auch General Milley sagt durch die Blume, dass der Krieg für die USA durch ist
P.S. Offenbar herrscht zw. Deutschland und den USA weitgehend Konsens, dass die Ukraine die Krim nicht zurückerobern sollte & dass dies mit den bisher versprochenen Waffen nicht möglich ist. Sogar Blinken deutet das an. Warum fordern EU und Nato dann immer noch den “Sieg” über Russland?
P.P.S. Auch die USA sind vom Krieg in der Ukraine überfordert, wie die “New York Times” berichtet. Der Nachschub an Munition stockt, für einen Krieg gegen China wäre das US-Militär aktuell nicht gerüstet…
KK
17. Februar 2023 @ 11:11
@ european:
“Und immer wieder Wikileaks…”
Was meinen Sie denn, warum die USA seit über 10 Jahren diese Hexenjagd auf Julian Assange veranstalten und an ihm ein Exempel statuierien möchten? Allein wegen der Aufdeckung bereits geschehener Kriegsverbrechen?
Oder nicht doch eher, weil sie wegen seiner Arbeit vor der Geschichte als Verantwortliche für einen dritten Weltkrieges ähnlich dastehen würden wie Hitler und Nazideutschland heute als Verantwortliche für den zweiten?
Nur warum ihnen die Regierungen der westlichen Welt, insbesondere die der europäischen Länder, die unter einem solchen wohl die höchsten Verluste erleiden würden bis zur völligen Unbewohnbarkeit auf zehntausende Jahre, dabei so willfährig helfen, das erschliesst sich mir (noch) nicht…
european
17. Februar 2023 @ 10:30
Und immer wieder Wikileaks…
Eine lesenswerte Chronologie der Ereignisse. Untertitel: Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.
https://www.telepolis.de/features/USA-wussten-dass-man-Russlands-rote-Linien-bei-Nato-Expansion-ueberschritt-7518151.html
“Eine Überprüfung der Aufzeichnungen und Dutzende von diplomatischen Depeschen, die über WikiLeaks öffentlich zugänglich gemacht wurden, zeigen jedoch, dass US-Beamte sich dessen bewusst waren oder ihnen über Jahre hinweg direkt gesagt wurde, dass die Erweiterung der Nato von russischen Beamten weit über Putin hinaus als große Bedrohung und Provokation angesehen wurde und dass die Ausweitung der Nato auf die Ukraine für Moskau die äußerste rote Linie darstellt. Dieser Schritt würde die Hardliner und nationalistischen Teile des russischen politischen Spektrums aufputschen und stärken. Das könnte schließlich zu einem Krieg führen.”
Alexander
16. Februar 2023 @ 16:08
@ebo: Ist unter diesen Umständen ein Telegram-Link willkommen?
“Now the Ukrainian women are sent to the meat grinder!”
https://t.me/Slavyangrad/33661
(Könnte wirklich echt sein?)
ebo
16. Februar 2023 @ 17:02
Was sagen die Faktenchecker?
Alexander
16. Februar 2023 @ 17:28
Wo findet man die?
Ich selber kenne mich nicht gut genug aus, um zum Beispiel Uniformen erkennen zu können, die vielleicht längst nicht mehr im Gebrauch sind. Und ob der Gesang zum Beispiel in akzentfreiem Ukrainisch war, kann ich auch nicht beurteilen.
Die durchschnittliche Überlebensdauer von Soldaten ohne richtige Ausbildung soll im Raum Bachmut bei Kampfhandlungen bei etwa 4 Stunden liegen. Falls das Video echt und aktuell ist und die Frauen nicht nur Straßensperren im Hinterland bewachen sollen, dann will da womöglich jemand bestimmte Aufnahmen produzieren?
Alexander
16. Februar 2023 @ 14:03
Col. Macgregor: “I just had a conversation with someone who was in Moscow a couple of days ago who tells me that the Russian general staff is preparing for a 30-month war against NATO and the United States. All of their munitions factories equipment factories are running 24 hours a day seven days a week so they are well stocked and they are prepared for the worst.”
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=jHi1AvTtyL8 (ab 3:18)
european
16. Februar 2023 @ 21:20
Interessante Aussagen. Von der enormen Rund-um-Die-Uhr Munitionsproduktion wurde auf The Duran schon vor zwei oder sogar drei Wochen berichtet. Im Westen predigen wir ja den Untergang der russischen Hinterweltler seit Anbeginn des Krieges.
In diesem Video geht man auch auf die aktuellen statements von Milley ein und MacGregor schüttelt nur ungläubig mit dem Kopf. Er hält nichts von Milley’s Aussagen, dass Russland den Krieg verloren hat und die Ukraine gewinnen wird. “Unfortunately, none of it equates reality”
Vielleicht ist es jemandem gelungen, Milley als Claqueur der US-Regierung anzuheuern. MacGregor tippt auf Jake Sullivan.
Kriegs- und Propagandamaschinerie überholen sich mit zunehmender Geschwindigkeit.
ebo
16. Februar 2023 @ 21:36
Milley sagt nicht, dass die Ukraine gewinnen wird. Er sagt: Russland hat schon verloren, die Ukraine kann nicht gewinnen. Also lasst uns zum Ende kommen, wir haben noch andere Dinge zu tun…
Monika
16. Februar 2023 @ 13:01
Wäre ich ein ukrainischer Soldat, ich käme mir spätestens jetzt maximal ver…scht vor, die Lust, mich mit und für solche westlichen “Strategen” in den -wahrscheinlich mein Leben kostenden Kampf- zu werfen, sänke auf minus-Werte…Ich hätte keinerlei Skrupel selbst Munition zu Geld zu machen, falls sich irgend eine Spur von Chance dadurch ergäbe, meine Haut zu retten. Der wertewestliche Umgang mit dem ukrainischen “Kanonenfutter” ist schlicht pervers.
Wäre ich in den Herstellungsprozess der Munition verwickelt, ich würde mich krank melden und diese Arbeit “Arbeit” sein lassen. Hier oder der Schweiz steht niemand auf der Straße, wenn er im Gewissenskonflikt eine solche Arbeit verweigert.
Ich kann die Zeitläufte logisch nicht mehr fassen.
Alexander
16. Februar 2023 @ 14:27
Ich habe inzwischen eine zweistellige Anzahl an Videos gesehen, die Männer zeigen, die wenige Minuten zuvor noch gar nicht wussten, dass sie jetzt bei der Armee sind! Die bedauernswerten Menschen werden einfach von Uniformierten auf der Straße einkassiert und dann nach einer lächerlich kurzen Einweisung nach wenigen Tagen an die Front geschickt.
Außerdem halte ich Aussagen für glaubwürdig, dass das ukrainische Regime mit Sperrtruppen arbeitet! Da sorgen dann – zurückhaltend formuliert – “nationalistische Verbände”, die hinter vordersten eigenen Linien stationiert werden, dafür, dass sich weder jemand zurückzieht, noch kapituliert!
MarMo
16. Februar 2023 @ 14:52
@Monika. Der wertewestliche Umgang mit dem ukrainischen “Kanonenfutter” ist schlicht pervers.
Ja, allerdings trifft das ja in gleicher Weise auf die ukrainische Regierung und ihre “Eliten” zu, also auf Künstler, Sportler, etc.
Nationalismus ist immer pervers und pervertiert Bevölkerungen.
Pistorius und die ganze kriegsbefürwortende SPD-Entourage sind eine einzige Schande. Brandt würde sich mit Grauen von den Genossen abwenden. Selbst Schmidt hätte diesen Umschwung nicht mitgemacht. Dass diese Partei jetzt beabsichtigt, Deutschland und die deutsche Gesellschaft zu militarisieren, zeigt wie wenig von irgendeiner pazifistischen Tradition noch gegenwärtig ist – nichts.
Die vielen NATO-Manöver mit der Ukraine im Vorfeld des Krieges haben die Absichten der NATO nur zu deutlich gemacht.
Der Wertewesten hat Russland schäbig belogen und Frau Merkel gibt es ja auch unumwunden zu. Diesen Regierungen würde ich jedenfalls kein Wort mehr glauben.
Ob wir Kriegspartei sind, entscheidet im Zweifelsfall Putin.
Thomas Damrau
16. Februar 2023 @ 09:23
@Annette Hauschild
Danke für die Erläuterungen. Ich denke, Sie beschreiben die Herausforderung korrekt: Die ukrainische Armee agiert immer noch nach den militärischen Paradigmen der UdSSR.
Ich mache mich allerdings darüber lustig, dass neun Jahre Coaching seit 2014 durch westliche Militärberater daran nichts geändert haben – und nun die Briten meinen, sie könnten der ukrainischen Armee eine Schnellbleiche verpassen.
Alexander
16. Februar 2023 @ 08:44
“und die Munition wird so knapp, dass sich Rufe nach Sonderschichten für die Waffenschmieden häufen.”
>>>Gerücht<<<: In Transnistrien befindet sich das größte Munitionsdepot Europas. Dort lagernde Munition für Waffen sowjetischer Bauart würde der Ukraine angeblich für mehrere Kriegsjahre ausreichen. Es heißt nun, Banderastan hätte deshalb einen Plan …
Annette Hauschild
16. Februar 2023 @ 08:39
Ich frage mich die ganze Zeit, wie lange es in der NATO schon bekannt war, dass die ukraine keine gute Luftabwehr hat,m und warum man nicht früher daran gedacht hat, das zu beheben. ein Iron dome wäre doch ideal. Die US-und NATO-Militär”berater” im Klartext heißt das ja Ausbilder, die seit 2014 in diesem Land waren, haben der ukrainischen Armee, deren Konzepte und Waffen noch aus Sowjetzeiten stammten, sicher eine ganze Menge beigebracht, aber warum wurde daran nicht gedacht?
@Thomas Damrau: Auf “westliche Art” zu kämpfen heißt, mit Präzisionswaffen zu arbeiten. Ich erinnere mich, dass es vor ein paar Monaten hieß, die westlichen Waffensysteme, ich glaube es handelte sich um Haubitzen, die grade frisch im Einsatz waren, müßten schon repariert werden, weil die Ukrainer pausenlos damit schießen würden. D.h. sie waren es gewohnt, sehr viel Munition zu verschiessen, weil sie nicht daran gewöhnt seien, dass schon eine oder zwei Granaten tatsächlich präzise treffen würden. Die Haubitzen sind offenbar nicht für ein tagtägliches Dauerfeuer 24h/7 ausgelegt. Die russische Armee mit ihrem Material verschießt Bombenhagel, das trifft immer, aber mit ungeheurem Materialverbrauch und es geht auch viel daneben. Das hat eine großflächige Wirkung, es wird viel mehr kaputtgeschossen als nur die eigentlichen Ziele. So erklären sich z.B. die großflächigen Zerstörungen in den Städten. Es gibt eine Schätzung von Scott Ritter, der zufolge im ganzen Irakkrieg “60.000 rounds of ammunition” verschossen worden sei von der US Army (Ritter meint hier die Artillerie und sagt, dass die US Army eigentlich gar nicht mit Artillerie kämpfe, die Russen in der UA hingegen fast ausschließlich. Der Krieg in Irak wurde ja wesentlich durch Bombardierung aus der Luft von der Air Force entschieden), von der russischen Artillerie in UA hingegen 60.000 rounds PRO TAG.
Thomas Damrau
16. Februar 2023 @ 08:03
Wow. „… ukrainische Soldaten für einen Kampf auf Sparflamme ausbilden … [um] auf westliche Art zu kämpfen“. Gibt es in der NATO ein Suffizienz-Konzept für nachhaltige Kriegsführung?
Man lernt nie aus. Bisher schien mir die westliche Kriegsführung nach dem zweiten Weltkrieg in der Regel
a) erfolglos zu sein (Stichwort Indochina)
b) nach dem Prinzip zu funktionieren „mit Pentupel-Wumms rein, alles platt machen und dann ratlos vor den Trümmern stehen“ (Irak)
Mal sehen, was der ukrainischen Armee von den Briten beigebracht wird.
Erschreckend ist die rasche Transformation der SPD: Wie 1914 wird von pazifistischer Tradition in Null-Komma-Nix auf „wir stehen fest in Treue“ umgeschaltet.