Der Impfstreit eskaliert, von der Leyen fabuliert – und Conte resigniert

Die Watchlist EUropa vom 26. Januar 2021

Hilfe, der Corona-Impfstoff wird knapp! Nun hat es auch die EU-Kommission gemerkt – Brüssel bemüht sich um Schadensbegrenzung. Doch die Bemühungen wirken hilflos, der Streit eskaliert.

Behördenchefin von der Leyen beschwerte sich am Montag persönlich beim britisch-schwedischen Pharmakonzern Astra-Zeneca. In einem Telefonat mit Firmenchef Soriot bestand sie auf Einhaltung der Lieferzusagen.

Der Hersteller hatte am Freitag mitgeteilt, dass er der EU zunächst weniger Corona-Impfdosen liefern könne als vorgesehen. Grund seien Probleme in “einem Werk in unserer europäischen Lieferkette“.

Ein EU-Vertreter sagte, es gehe um einen Ausfall um 60 Prozent auf nur noch 31 Millionen Dosen. Dies will von der Leyen nicht hinnehmen. Die Lieferkürzung sei “inakzeptabel”, erklärte die Kommission.

Protest gab es auch bei einem Krisentreffen mit den 27 EU-Staaten. Der Vertrag mit Astra-Zeneca war, wie alle anderen Impfstoff-Deals, in enger Absprache mit den Mitgliedsländern ausgehandelt worden.

Darauf weist die EU-Kommission regelmäßig hin, wenn etwas schief geht – wie auch jetzt wieder. Man sitze in einem Boot, heißt es in Brüssel mit Blick auf die Pannenserie.

AstraZeneca ist nicht der einzige Problemfall. Zuvor hatte auch der US-Konzern Pfizer angekündigt, die Lieferungen nach Europa einzuschränken. Dadurch geraten die EU-Staaten immer mehr ins Hintertreffen.

Andere Länder wie die USA, Großbritannien und Israel sind nicht nur bei der Impfung wesentlich schneller als die Europäer – dort scheint es auch keine größeren Lieferprobleme zu geben.

Woran das liegt, darüber kann man nur spekulieren – denn die EU weigert sich, die Verträge offen zu legen. Eine Vermutung lautet, dass Brüssel zu wenig Geld in die Hand genommen und den Impfstoff zu spät bestellt hat.

Ein böser Vertrauensbruch

Eine andere These besagt, dass der für die EU bestimmte Impfstoff klammheimlich in die USA oder nach UK geliefert wurde. Das wäre ein böser Vertrauensbruch – zumal der Impfstoff ja in Europa produziert wird!

Doch dem will Brüssel nun einen Riegel vorschieben. Urplötzlich ist in Brüssel von Exportkontrollen die Rede!

Ausgerechnet die EU-Kommission, die sonst immer und überall für Freihandel eintritt, will nun den Export von Vakzinen aus Europa regulieren, womöglich sogar verbieten.

Kommt ein Exportverbot?

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Künftig sollten alle Ausfuhren von Impf-Präparaten erfasst und genehmigt werden, schlug die EU-Kommission vor. Zuvor hatte sich die Bundesregierung für eine solche Kontrolle ausgesprochen.

Wie so oft lässt sich von der Leyen von Berlin treiben. Vor einem Jahr, als die Coronakrise begann, hatte die Bundesregierung im Alleingang ein Exportverbot für Hilfsgüter verhängt. Das kam nicht gut an.

Nun hängt sie sich ein europäisches Mäntelchen um – und lässt Brüssel machen. Statt von einem Exportverbot spricht die EU-Kommission allerdings von einem Transparenzregister.

Das klingt nicht so sehr nach Protektionismus…

Siehe auch “Brüssel könpft sich AstraZeneca vor” und Das wahre Problem mit EUropas Impfstrategie

P.S. Das “Handelsblatt” meldet, dass das Vakzin von AstraZeneca bei Menschen über 65 nur eine Wirksamkeit von acht Prozent hat. Wenn das stimmt, sollte man es nicht zulassen, jedenfalls nicht für Senioren – oder? Die EU-Genehmigung steht noch aus, sie soll erst am Freitag erfolgen…

Watchlist

Was hat Kommissionschefin von der Leyen der Welt zu sagen? Am Dienstag um 11 Uhr soll die CDU-Politikerin beim Online-Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos reden. Wird sie wieder “Europas Moment” beschwören – wie kurz vor Weihnachten, als die Impfkampagne begann? Oder geht es diesmal um die transatlantische Zusammenarbeit? Fest steht wohl nur, dass von der Leyen wieder in die Vollen gehen wird. Seit ihrer legendären “Man in the Moon”-Rede zum “Green Deal” Ende 2019 fabuliert sie nur noch, die EU geht unter ihrer Führung von Erfolg zu Erfolg…

Hotlist

  • Italiens Ministerpräsident Conte steht kurz vor dem Rücktritt. Bereits am Dienstagmorgen will er dem Kabinett den Schritt anbieten – und dann wohl noch einmal versuchen, eine stabile Regierung zu bilden. Dies meldet die Tagesschau. Der parteilose Politiker resigniert, aber wohl nur, um danach erneut sein Glück zu versuchen. Auf dem Spiel steht nicht nur die Zukunft Italiens, sondern auch das Schicksal des Wiederaufbaufonds. Denn im Streit um den schuldenfinanzierten EU-Topf war die letzte Regierng Conte auseinander gebrochen…
  • Die EU-Kommission verweigert Deutschland vorerst Gelder aus dem Wiederaufbaufonds – wegen fehlender Reformen. Dies berichtet das “Handelsblatt”. Brüssel fordere unter anderem, eine Rentenreform einzuleiten, schreibt das Wirtschaftsblatt. Tatsächlich ist das eine alte Forderung der EU-Kommission. Altbekannt ist aber auch, dass sich Berlin nicht um die Ratschläge aus Brüssel schert. Die Bundesregierung unterstützt zwar neue EU-Schulden, doch sie setzt weiter auf alte Politik, wie wir schon im Oktober schrieben…
  • Vor einem Jahrzehnt versprach die EU-Kommission einen Universal-Stecker für alle Smartphones. Den gibt es bis heute nicht. Doch Brüssel arbeitet nun am großen Wurf. Das zeigen interne E-Mails, die netzpolitik.org veröffentlicht.Diesmal will Brüssel wohl auch Apple auf seine Seite ziehen. Doch ob das gelingt, ist weiter fraglich. Ich glaube es erst, wenn es so weit ist…