Der gefährliche deutsch-französische Kleinkrieg

Die Briten sind raus, nun müssen die beiden größten EU-Länder Deutschland und Frankreich den Laden schmeißen. Doch statt gemeinsam voran zu gehen, sind Berlin und Paris zerstritten. Sie liefern sich sogar einen gefährlichen Kleinkrieg.

Der erste Streit kreist um das künftige EU-Budget. Deutschland will es kurz halten, um die Kosten aus dem Brexit zu begrenzen. Frankreich hingegen will den deutschen Rabatt ebenso abschaffen wie den nun hinfälligen Briten-Rabatt.

Es geht nicht nur ums Geld, sondern auch um die Frage, wofür die EU in Zukunft steht: Für die alte Agrarpolitik, die immer noch einen Großteil des Budgets ausmacht – oder für neue Programme etwa im Klimaschutz und beim Kohleausstieg.

Berlin gibt sich modern und fordert eine Kürzung der „französischen“ Agrarhilfen (von denen auch deutsche Großbetriebe in Mecklenburg-Vorpommern profitieren) – will jedoch keinen Cent zusätzlich für den Kohleausstieg zahlen….

Der zweite Streit kreist um die EU-Erweiterung. Auf den ersten Blick geht es nur um die beiden Kandidaten Albanien und Nord-Mazedonien: Deutschland will Beitrittsverhandlungen starten, Frankreich sperrt sich und fordert Reformen.

Doch in Wahrheit geht es um die so genannte „Finalität“: Soll die EU erweitert werden, selbst wenn dies den inneren Zusammenhalt schwächt – oder geht es darum, einen „harten Kern“ zu bilden und den Laden flott zu machen?

Kanzlerin Merkel ist für Erweiterung ohne Grenzen, schließlich vergrößert das auch den deutschen Exportmarkt. Präsident Macron hingegen fordert Reformen, um den Zusammenhalt und die Schlagkraft der EU zu stärken….

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Der dritte – und gefährlichste – Streit kreist um Libyen. Merkel unterstützt die Einheitsregierung in Tripolis, Macron den selbst ernannten General Haftar. Beim Libyen-Gipfel in Berlin haben sich beide immerhin auf eine Linie verständigt.

Doch ausgerechnet die Türkei heizt den Konflikt an – indem sie immer neue Schiffe und Kämpfer aus Syrien nach Tripolis schickt. Sultan Erdogan setze sich offen über Merkels Libyen-Deal hinweg, kritisiert Macron – doch die Kanzlerin schweigt.

Das heizt nicht nur die deutsch-französischen Spannungen an, sondern könnte zu einer schweren Krise im östlichen Mittelmeer und damit in der EU und der Nato führen. Denn Erdogan provoziert Griechenland und Zypern mit Gasbohrungen.

Fazit: Ausgerechnet nach dem Brexit spitzen sich die deutsch-französischen Widersprüche zu. Der Kleinkrieg überschattet auch die anstehenden EU-Verhandlungen mit dem britischen Premier Johnson über ein Handelsabkommen…

Siehe auch „Macron vs. Merkel: Der Kampf um die Deutungshoheit

Watchlist

Welches Handelsabkommen kommt nach dem Brexit? Am Montag wollen sich sowohl EU-Verhandlungsführer Barnier als auch der britische Premier Johnson äußern. Johnson hat einen Vorteil: Er kann seinen Plan sofort umsetzen, die EU-Kommission braucht erst noch ein Verhandlungsmandat. Bis sich Berlin, Paris und die anderen EU-Staaten einigen, werden noch ein paar Wochen vergehen…

Was fehlt

  • Brexit: ‘Dawn of a new era’ says Johnson as UK exits EU – Euractiv
  • Brexit: La bagarre a déjà commencé sur la pêche – Le Monde
  • Separatismus: Brussels ‘enthusiastic’ about Scotland rejoining the EU – Politico
  • EU-Budget: Ärmere EU-Länder beharren auf Hilfsgeldern – Zeit online
  • EU-Budget: Kurz droht mit Veto gegen EU-Finanzrahmen- Kurier