Was gegen die Ukraine spricht, Deal bei der COP28 – und Milliarden für Orban
Die Watchlist EUropa vom 14. Dezember 2023 –
Mit aller Macht will die EU-Führung ihre Ukraine-Agenda durchdrücken. Der EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel beginnt, müsse 50 Mrd. Euro an Finanzhilfen für Kiew genehmigen und grünes Licht für Beitrittsgespräche geben, schrieb Ratspräsident Michel in seiner Einladung.
Dass Michel den Imperativ wählte und nicht die üblichen, vagen Formulierungen, sagt viel über den Druck, unter dem die EU steht. Sie will Entscheidungen erzwingen, die die USA und die Nato tunlichst gemieden haben.
Washington zahlt vorerst keine weitere Finanzhilfen nach Kiew, die Nato hat den Beitritt der Ukraine auf die lange Bank geschoben. Dafür gibt es gute Gründe. Die EU sollte das Für und Wider sorgfältig prüfen, bevor sie sich entscheidet.
Für den Start von Beitrittsverhandlungen sprechen eigentlich nur geopolitische Gründe. Man will der Ukraine in der verfahrenen militärischen Lage Hoffnung machen und sie politisch und wirtschaftlich dem Angriff aus Russland entreißen.
Dagegen sprechen jedoch gewichtige Argumente. Das erste lautet, dass man nicht mit einem Land über den Beitritt verhandelt, das sich im Krieg befindet. Die gilt für die EU ebenso wie für die Nato – wenn nicht sogar noch mehr.
Denn die EU will eine Friedensunion sein, die Stabilität und Wohlstand über den europäischen Kontinent bringt. Mit der Ukraine holt sie sich jedoch den Krieg ins Haus, und unsichere Grenzen und besetzte Gebiete noch dazu.
News & Updates
- Deal bei der COP28. Die Weltklimakonferenz in Dubai hat den Anfang vom Ende fossiler Energieerzeugung beschlossen: Die fast 200 teilnehmenden Länder einigten sich nach zweiwöchigen Verhandlungen erstmals auf einen Text, der zu einem “Übergang” weg von fossilen Energien aufruft. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wertete den Beschluss als “Beginn des post-fossilen Zeitalters”. Allerdings konnte die EU keinen verpflichtenden “phase-out” durchsetzen. Und große EU-Länder wie Deutschland setzen weiter auf Kohle und Flüssiggas…
- Kein Deal in der Uno. Bei der Uno-Vollversammlung spricht die EU immer noch nicht mit einer Stimme. Österreich stimmte gegen einen humanitären Waffenstillstand in Gaza – wie die USA. Frankreich und Belgien stimmten zu – wie die Mehrheit der EU-Staaten. Deutschland enthielt sich. Die gemeinsame Außenpolitik bleibt eine Illusion. – Mehr hier (Blog)
- Der Westbalkan muß weiter warten. Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen die Beziehungen zu den sechs Westbalkan-Staaten vertiefen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nannte die Erweiterung bei einem Gipfeltreffen in Brüssel “die wichtigste Sicherheitsgarantie” für die EU und drängte die Mitgliedsländer zur Eile. Doch es bewegt sich nichts: Nicht einmal Bosnien-Herzegowina soll eine Einladung zu Beitrittsgesprächen erhalten. Österreich hält dies für einen Fehler und droht mit Veto gegen die Ukraine…
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Was gegen die Ukraine spricht (Fortsetzung)
Das zweite gewichtige Argument lautet, dass die Ukraine die Kopenhagener Kriterien für den Beitritt nicht ´mal im Ansatz erfüllt. Institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung – nichts davon ist gesichert.
Auch die speziell auf Kiew zugeschnittenen Prüfsteine der EU-Kommission wurden bisher nur teilweise erfüllt. Brüssel will sie im März erneut prüfen. Vorher sollte die EU nicht einmal über den Start von Gesprächen nachdenken.
Das dritte Argument betrifft die Wirtschaft. Die Ukraine ist keine funktionierende Marktwirtschaft, sondern eine korrupte Oligarchie, die am Tropf des Westens hängt. Durch den Krieg wird sie zum Faß ohne Boden.
Indirekt räumt dies sogar Kanzler Scholz ein. Es sei denkbar, dass 2024 wegen der Lage in der Ukraine neue finanzielle Belastungen auf Deutschland zukommen, erklärte er. Dann müsse man den Haushalts-Notstand ausrufen.
Eine absurde Logik. Vom Kriegsgeschehen in einem Drittland soll der deutsche Haushalt abhängen – und diesem Drittland will man sogar noch den EU-Beitritt gewähren, der nochmals höhere Zahlungen mit sich bringen wird?
So handeln Hasardeure, aber keine vernünftigen Europapolitiker. Die würden auch nie ein Land aufnehmen, solange die EU selbst nicht vorbereitet ist. Doch genau das ist geplant. Es ist der vierte Grund, der gegen die Ukraine spricht.
Der fünfte ist – die Geopolitik. Mit dem Beitritt der Ukraine macht sich die EU von den USA und der Nato abhängig – denn allein kann sie diese Aufgabe nicht stemmen. Zudem wird der Konflikt mit Russland festgeschrieben.
Europa wird erneut geteilt, der Kalte Krieg kehrt zurück – kann das der Sinn der Erweiterung sein? Und welche Strategie steckt eigentlich dahinter? Angesichts der desolaten Lage an der Front müsste dies die erste Frage sein…
Siehe auch Das fehlende Assessment: die Ukraine kann nicht gewinnen sowie meine Kolumne im “Makroskop”: Die verweigerte Debatte
Das Letzte
Milliarden für Orban. Wenige Stunden vor dem EU-Gipfel hat die EU-Kommission rund 10 Mrd. Euro an eingefrorenen EU-Mitteln für Ungarn freigegeben. Justizkommissar Didier Reynders erklärte, Ungarn habe mit den jüngsten Justizreformen alle vereinbarten Anforderungen erfüllt. Es gebe nun ausreichend Garantien dafür, dass man sagen könne, die Unabhängigkeit der Justiz in Ungarn werde gestärkt. In Wahrheit geht es aber wohl eher darum, Regierungschef Viktor Orban gnädig zu stimmen – damit er seine Blockade in der Ukraine-Politik aufgibt und den EU-Gipfel nicht stört. Der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund, ein erklärter Orban-Gegner, sprach vom “größten Schmiergeld in der Geschichte der EU”…
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KK
14. Dezember 2023 @ 15:54
Das Akronym EU steht für mich inzwischen nur noch für „Erlöse Uns!“
european
14. Dezember 2023 @ 13:45
Die Fragestellungen der Umfragen wuerde mich interessieren. Man kann ja durchaus einen Beitritt der Ukraine befuerworten, wenn man nicht weiss, welche Kosten fuer den einzelnen dann damit auf Jahre/Jahrzehnte verbunden sein werden. Und da kommen dann Leute wie Orban ins Spiel, die eben das beruecksichtigen. Ich glaube auch nicht, dass er sich von dem “Schmiergeld” beeindrucken laesst. Er kann sich ausrechnen, wann fuer ihn der breakeven erreicht ist und sein Land draufzahlen wird. Er wird das nehmen und weiterhin gegen den Beitritt sein, denn dieser Beitritt wird mit einem Schlag alle Nettoempfaenger-Laender, zu denen Ungarn gehoert, zu Nettozahlern machen. Wieso sollten sich die Ungarn darauf einlassen? Hinzu kommt, dass Orban Zustimmungsraten hat, von denen in Deutschland nur noch getraeumt wird. Ich vermute in Polen wird es aehnliche Kaempfe geben. Tusk regiert sehr knapp und die polnischen Bauern sind nicht gluecklich ueber das, was ihnen droht.
Persoenlich haette ich es nie fuer moeglich gehalten, einem wie Orban einmal regelrecht dankbar fuer seine Quertreiberei zu sein. Die Art und Weise, wie dieser Beitritt gegen jede Regel, gegen jede Vernunft und gegen den Willen der Bevoelkerungen durchgesetzt werden soll, macht sprachlos. Der juengst nicht mehr wiedergewaehlte SPD-Fanatiker Roth hat sich heute morgen gefreut, dass die Ampel weitere 8 Mrd Euro fuer die Ukraine locker macht. Seiner Ansicht nach muessen wir noch mehr “liefern”, damit die Ukraine “frei und demokratisch bleibt”.
Da fragt man sich doch, was der Mann so raucht. Was immer es ist, es bekommt ihm nicht. Das Land, in dem Nazis gehuldigt wird, Medien und Opposition verboten, Todeslisten veroeffentlicht, Journalisten in Arbeitslager gesteckt werden und das durch alle Ebenen korrupt ist, wird als “frei und demokratisch” gefeiert?
Monika
14. Dezember 2023 @ 11:11
Es ist mehr als offensichtlich, dass selbst bei Nutzung aller “statistischen Möglichkeiten” und aller geballter Propaganda die Mehrheit der Bürger weder hinter den fortgesetzten Waffenlieferungen, noch hinter einem NATO oder einem EU-Beitritt der Ukraine stehen. Und so sollen jetzt, auf Teufel komm raus, Fakten geschaffen werden, die den Beitritt der Ukraine in die “westliche Wertegemeinschaft” sicherstellen.
Die USA lassen die Ukraine als failed state liegen, in solchen Dingen sind sie “geübt” und völlig emotions- und empathielos. Wenn der (ehemalige) wirtschaftliche Konkurrent EU oder Deutschland größere Skrupel hat, mit Bruch von Treue- und Beistandsversprechen ist das deren Problem, und für die USA umso besser.
Was schert uns unser Geschwätz von gestern? Richtig: NICHTS! Das ist der nihilistische Kern des entfesselten Kapitalismus.
Wenn man schon Skrupel hat, die Ukraine tödlich verwundet einfach verecken zu lassen, dann muss ihr anders geholfen werden. Dann sind mehr Waffen und Aufnahme in die westlichen Bündnisse der komplett falsche Ansatz. Dem Staat muss das ermöglicht werden, was ihm der Westen durch den “guten Rat” der Nichtunterzeichnung des Friedensvertrags im März 22 vermasselt hat! Großzügiger Wiederaufbau, Neutralität und eine Assoziierung mit der EU, die eine Brückenfunktion zu Russland erlaubt!
Karl
14. Dezember 2023 @ 10:56
Das zuletzt stehende Argument ist für mich das leitende, steht vor den anderen Argumenten: “Europa wird erneut geteilt, der Kalte Krieg kehrt zurück. … Welche Strategie steckt dahinter?”
Denn die USA wollen erneut die militärischen Spaltung der Welt. Deshalb haben sie die NATO-Osterweiterung bis an die Grenze Russlands vorangetrieben. Die arbeitende Bevölkerung Europas – soweit sie keine Rüstungsaktien besitzt – hat davon nur Nachteile, wie wir jetzt schon deutlich sehen. Das kommt noch viel schlimmer, wenn wir es hinnehmen.
Stattdessen sollten Deutschland und die EU sowohl mit den BRICS-Staaten als auch mit den USA Handel, Abrüstung und Klimaschutz betreiben. Das wäre die Rückkehr zu der bewährten Strategie – für den Wohlstand Europas durch Wirtschaftsbeziehungen.
Thomas Damrau
14. Dezember 2023 @ 08:37
Wer erleben möchte, wie abgehoben das Personal in Brüssel inzwischen ist, sollte sich das Interview heute mit Daniel Freund von den Grünen im DLF ( https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-bei-eu-gipfel-im-fokus-interview-daniel-freund-gruenen-mdep-dlf-0bec6100-100.html, Minute 4:30 ) anhören.
Freund trommelt für die Ukraine (was er natürlich darf) und kritisiert Orban (was sicherlich gerechtfertigt ist) – aber er bringt beide Punkte auf interessante Weise zusammen:
— Orban verhindere mit seiner Politik, dass der Wunsch der europäischen BürgerInnen nach einem Beitritt der Ukraine zur EU nicht umgesetzt werde. —
Woher weiß Freund, was die BürgerInnen wollen?
In Deutschland steht gerade mal 1/3 der Wähler hinter der Regierung, Umfragen zum Thema Ukraine zeigen in der Regel keine überwältigende Begeisterung für die EU-Ukraine-Politik, in vielen Länder der EU sind Rechtspopulisten mit Ukraine-Skepsis auf dem Vormarsch, seine Partei-Freundin Baerbock hat vor einiger Zeit verkündet, der Wille der WählerInnen zum Thema Ukraine interessiere sie null-Komma-nix.
Natürlich hat Christoph Heinemann vom DLF das Narrativ vom Bürgerwillen nicht hinterfragt.
Thomas Damrau
14. Dezember 2023 @ 09:33
PS: Ich habe mich jetzt auch mal beim DLF beschwert. Wird zwar nix nützen, aber man die Redaktion nicht in der Illusion lassen, dass alle HörerInnen ihre Politik-Nähe toll finden.
Text der Beschwerde
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Sehr geehrte Damen und Herren
Ich staune, wie wenig Aussagen von Politikern von DLF-Redakteuren kritisch hinterfrage werden. So auch heute im Interview mit Daniel Freund ( https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-bei-eu-gipfel-im-fokus-interview-daniel-freund-gruenen-mdep-dlf-0bec6100-100.html ), der bei Minute 4:40 behaupten darf, die 440 Millionen EU-BürgerInnen seien für einen Beitritt der Ukraine zur EU.
Man kann über das Thema Ukraine denken, wie man will – aber diese Aussage ist eine grobe Verzerrung der Tatsachen. Selbst in Deutschland stellt sich die Frage, ob wirklich eine Mehrheit für einen Beitritt der Ukraine zur EU ist.
Christoph Heinemann scheint mit dieser Aussage kein Problem zu haben und akzeptiert auch Freunds Aussage, dass nur in Ungarn eine Anti-Ukraine-Stimmung herrsche (und nicht z.B. auch bei den polnischen Bauern und Truckern). Heinemann erweitert dann später das Interview um das Thema Lieferung von Taurus-Marsch-Flugkörpern, die nach Ansicht Heinemanns offensichtlich geliefert werden müssen – aber mit dem Thema Orban überhaupt nichts zu tun haben.
Precht und Welzer haben in ihrem Buch kritisiert, die Medien versuchten nicht Politik kritisch zu begleiten, sondern selbst Politik zu machen. Das gerade beschriebene Interview ist ein schönes Beispiel, wie ein voreingenommener Redakteur und sein Interview-Partner gemeinsam eine Botschaft ans Publikum erarbeiten.
Das ist nicht der Auftrag des ÖRR.
Siehe auch meinen Kommentar auf LostInEU ( https://lostineu.eu/cop28-macron-als-lame-duck/?unapproved=57130&moderation-hash=021c5027459a6f94c3643f1b2f142395#comment-57130 ).
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Damrau
ebo
14. Dezember 2023 @ 10:15
Das sagt der EU-nahe ECFR – knappe relative Mehrheit in Deutschland gegen Ukraine-Beitritt:
Europeans are open to the idea of Ukraine joining the EU. Support for Ukraine’s entry to the EU prevails in Denmark (50%) and in Poland (47%), with roughly divided opinion in Romania (32% support vs. 29% oppose), Germany (37% support vs. 39% oppose), and France (29% support vs. 35% oppose). Austria is an outlier on the question of admitting Ukraine into the European bloc, with a majority (52%) opposing its possible accession, and only 28% in favour.