Böses Erwachen

Hat er die Macht, das “deutsche Diktat” zu stoppen?

Die Fiskalunion für den Euro wird zum Flopp. Inhaltlich geht sie kaum noch über die bisher schon geltenden (und längst gescheiterten) Defizitregeln in der Eurozone hinaus. Formal rechtfertigt sie keinen neuen EU-Vertrag – im Gegenteil, prominente Juristen zweifeln sogar die Rechtmäßigkeit des neuen Spar- und Sanktionierungsclubs an. Noch dazu provoziert der aktuelle Entwurf das Europaparlament – die SPD spricht von einer „Kriegserklärung an den Parlamentarismus“.

Es war das ganz große Ding beim letzten EU-Gipfel im Dezember: Kanzlerin Merkel und ihr Juniorparnter Sarkozy zauberten über Nacht eine neue „Fiskalunion“ aus dem Hut, die neben der EU (und ohne die Briten) gegründet werden sollte. Durch strenge Budgetdisziplin und scharfe Sanktionen, so Merkel, werde der Euro das Vertrauen der Bürger und Märkte zurückgewinnen und die Krise überwinden.

Natürlich war schon damals klar, dass dies eine Mogelpackung war. Seit Jahren brechen fast alle Euroländer (aktuell: 23 von 27, Deutschland eingeschlossen) die Regeln des Stabilitätspaktes. Einige werden deshalb von den Märkten abgestraft, andere (wie Deutschland) werden trotz der Regelverstöße gehätschelt. Daran wird auch ein neuer Fiskalpakt kaum etwas ändern. Und wenn doch, dann führt er, weil prozyklisch angelegt, Europa geradewegs in die Dauer-Rezession und Deflation, wenn nicht gar in eine große Depression, wie der IWF warnte.

Nun liegt der dritte und vorläufig letzte Entwurf vor – und beschert allen Beteiligten ein böses Erwachen. Die Stabilitätsfanatiker in der Bundesregierung und in der EZB werden enttäuscht sein, weil fast alle Budgetregeln aufgeweicht wurden. Der deutsche EZB-Banker Asmussen warnt schon vor einem “Gummipakt”. Die Anhänger einer Politischen Union sind frustriert, weil der Entwurf keinen Hinweis auf Eurobonds oder andere neue Integrationsschritte enthält. Und das Europaparlament ist sauer, weil es übergangen wurde.

„Dies ist eine Kriegserklärung an die europäischen Institutionen und an den Parlamentarismus“, sagte der Chef der SPD-Gruppe im EP, Rapkay, in Brüssel. In der letzten Verhandlungsrunde sei „alles abgeräumt“ worden, was eine Beteiligung der Parlamente gesichert hätte. Damit werde das Budgetrecht ausgehebelt und der EU-Vertrag verletzt, so Rapkay. SPD-Wirtschaftsexperte Bullmann ergänzte, die „Kehrtwende“ sei „unter dem Diktat der deutschen Verhandler“ erfolgt. Der Fiskalpakt sei nur noch ein „Werbegag für Sarkozy“.

Auch die Grünen sind enttäuscht. Der Fiskalpakt sei ein „Rückschritt“ und stehe teilweise im Widerspruch zum EU-Recht, kritisiert Finanzexperte Giegold – und verweist auf ein Gutachten des Europarechtlers Pernice (es findet sich hier).

Nun rächt es sich, dass das Europaparlament Merkozy den kleinen Finger gereicht und sich bereitwillig an den Verhandlungstisch gesetzt hat. Da die Fiskalunion von vorneherein als zwischenstaatlicheVeranstaltung neben den EU-Institutionen geplant war, war dieser Ausgang absehbar (siehe dazu meinen Blogeintrag “Das Parlament kneift”). Bleibt nur noch die Frage, ob das EP nun endlich Mut fasst und gegen den geplanten neuen Vertrag vor dem EUGH klagt. 

Nächste Woche wählen die Abgeordneten erstmal einen neuen Präsidenten – den deutschen Sozialdemokraten Schulz. Wenn nicht alles täuscht, wird die Fiskalunion seine erste große Machtprobe…

 

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