Protektionismus à la Merkel
Kann man gleichzeitig Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen – und den umstrittenen Northstream-Deal mit Russland vorantreiben? Für Kanzlerin Merkel kein Problem. Nur reden soll keiner drüber.
Jedenfalls nicht beim EU-Gipfel. Bei dem “Arbeitstreffen” in Brüssel erwarten deutsche Regierungskreise weder eine Aussprache zur geplanten Verlängerung der Sanktionen – noch eine Debatte zu Northstream II.
Dabei ist Osteuropa strikt gegen die neue deutsch-russische Gaspipeline. Sie nutze vor allem Deutschland und Russland und schade der europäischen Energieversorgungs-Sicherheit, heißt es.
Auch US-Präsident Trump ist dagegen. Er will seine Russland-Sanktionen daher mit einer Anti-Northstream-Klausel versehen. Gleichzeitig will er US-Konzerne, die Flüssiggas liefern, protegieren.
Das geht natürlich gar nicht, heißt es in Berlin. Nach Außenminister Gabriel kündigte auch Merkel Protest an. Sogar die EU-Kommission hat Berlin zu Hilfe gerufen – sie soll Trump die Zähne zeigen.
Doch dieselbe EU-Kommission fordert nun ein Mandat, um mit Russland über Northstream II zu verhandeln – im Namen aller EU-Länder, auch der Osteuropäer. Das wiederum will Merkel verhindern.
“Bloß nicht über Northstream” reden, heißt ihre Devise, die Pipeline sei schließlich ein rein kommerzielles Projekt. Glaubwürdig ist das nicht. Merkels Haltung erinnert vielmehr fatal an Trump.
Er betreibt amerikanischen, sie deutschen Protektionismus. Er mit Flüssiggas, sie mit Naturgas. Er bemäntelt das mit angeblichen US-Interessen, sie will sich von der EU protegieren lassen.
Vielleicht sollte man doch einmal offen darüber reden? Der Gipfel wäre eine glänzende Gelegenheit…
Siehe auch: “Sanktionen werden zum Bumerang”
hintermbusch
22. Juni 2017 @ 12:58
Der offizielle Grund dürfte die von Russland mit Southstream angestrebte Umgehung der Ukraine gewesen sein. In dem Artikel wird aber auf einen möglichen stillen Zweitgrund hingewiesen: die Endpunkte außerhalb Deutschlands. Wir sollten uns nicht wundern, wenn im Ausland nach solchen versteckten Agenden gefragt wird.
Winston
22. Juni 2017 @ 22:21
Italien hätte ganz einfach die Forderung der EU Kommission, sprich Deutschland einfach ignorieren können.
Vermutlich hatte Renzi Angst einen Rüffel zu bekommen. Was momentan in Italien an der Macht ist, nimmt schon fast surreale Züge an. Habe nirgends in Europa soviel politische und ökonomische Inkompetenz und Ignoranz wie z.Z in Italien gesehen. Erinnert ein bisschen an die Jelzin Zeiten in Russland. Der ist allerdings entschuldigt, er war Alkoholiker. Mich wundert das die Italienische Volkswirtschaft noch hält und nicht völlig abgesoffen ist. Italien ist immer noch zweit grösstes Manufaktur Land Europas, „noch“.
Peter Nemschak
22. Juni 2017 @ 12:23
@ebo Worauf gründet die Kommission ihre Zuständigkeit bezüglich NorthStream? In Wahrheit verhandeln private und, was Russland betrifft, staatsnahe Wirtschaftssubjekte aus dem Erdgassektor miteinander über ein kommerzielles Projekt. Welchen Mehrwert
für das Projekt kann die EU im Vergleich zu Deutschland dabei schaffen? Die EU ist nun einmal subsidiär.
ebo
22. Juni 2017 @ 12:25
Es gibt eine Energieunion in der EU, die übrigens auch von Merkel aufgebaut wurde. Die Energieversorgung ist längst keine private oder nationale Angelegenheit mehr
Peter Nemschak
22. Juni 2017 @ 13:09
Die Aufgabe der Energieunion ist es Rahmenbedingungen festzulegen. jeder Schritt in Richtung mehr EU statt nationaler Kompetenz muss einen nachvollziehbaren, den Bürgern vermittelbaren, Mehrwert bringen. Supranationale Kompetenzen dürfen kein Selbstzweck sein. Sonst werden sie von der Mehrheit der Bürger abgelehnt. Alle Nationalstaaten sind eifersüchtig auf die Bewahrung ihrer Kompetenzen bedacht und werden in dieser Haltung von den Wählern unterstützt.
GS
22. Juni 2017 @ 11:51
Ich war schon immer für die Pipeline und gegen die Sanktionen.
hintermbusch
22. Juni 2017 @ 11:37
Das passt mal wieder ins Bild des “deutschen Europa”:
https://hintermbusch.wordpress.com/2017/03/11/das-deutsche-europa/
Die zweite Karte im unteren Teil des Beitrags enthält auch die Pipelines. Diese sind ein Machtmittel nicht nur für Russland, sondern auch für Deutschland, wo praktisch alle enden, auch Northstream. Southstream sollte Endpunkte auch in Italien und auf dem Balkan haben, ist aber gestorben. Zufall? Wohl kaum.
ebo
22. Juni 2017 @ 11:50
@hintermbusch Natürlich kein Zufall. Southstream wurde von der EU-Kommission untersagt. Zweierlei Maß – Italien ist halt nicht so wichtig!?
Winston
22. Juni 2017 @ 22:04
@hintermbusch.
Interessante Analyse von Todd. Was Todd nicht berücksichtigt ist, die Deutsche Dominanz beruht klar auf den Euro. Das ist bei den Wirtschaftswissenschaftler schon längst Mainstream (natürlich ausser in Deutschland). Auch die Makroökonomischen Daten sprechen eine klare Sprache, siehe Handelssurplus. Eine fixierte Währung, der Euro ist für Deutschland ein gewaltiger Wettbewerbsvorteil und er kann auch nicht eingeholt werden. Für Südeuropa hingegen ein Desaster.
Südeuropa und auch Frankreich wird aber nicht von Deutschland dominiert wie Todd behauptet. Es sind die Politiker dieser Länder die Deutschland erlauben zu dominieren. Das ist ein grosser unterschied. Wieso das passiert, keine Ahnung, es ist völlig unlogisch. Offensichtlich ist für sie der Euro lukrativ. Einzige Erklärung, diese Politiker hängen derartig am Euro das sie bereit sind ihre Länder dem Euro zu Opfern. Frankreich, Italien, Spanien und Portugal können jederzeit aus dem Euro austreten und die Deutsche Dominanz würde schlagartig aufhören. Die Deutsche Dominanz steht auf tönernen Füssen.
hintermbusch
26. Juni 2017 @ 10:40
Todd weiß durchaus, dass die deutsche Dominanz auf dem Euro beruht. Er ist einer der ganz frühen und weltbekannten Euro-Gegner:
https://hintermbusch.wordpress.com/2016/02/10/erfindung-europas-vorwort-zur-2-auflage/
Er hatte nicht nur gesehen, dass der Euro bzw. der „starke Franc“ die Franzosen quälen würde, sondern auch, dass es eine gefährliche Illusion der französischen politischen Klasse war, Deutschland mit dem Euro an die Leine nehmen zu wollen.
Peter Nemschak
22. Juni 2017 @ 10:38
Falsch – von Diskretion halten Sie offenbar nichts.
ebo
22. Juni 2017 @ 11:20
Lesen Sie das mal: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-1571_en.htm
Peter Nemschak
22. Juni 2017 @ 11:33
Das sind allgemeine, auch von Deutschland anerkannte Prinzipien. Ich sehe keinen Widerspruch zum Vorgehen Merkels, die das Thema wegen der Amerikaner nicht öffentlich hochspielen und Öl ins Feuer gießen will, was durchaus Sinn macht. Die kompetitiven Ausschreibungen für den Bau der Pipeline und der nicht-diskriminatorische Betrieb derselben werden von niemandem in Frage gestellt. Ich glaube, sie hören das Gras wachsen.
ebo
22. Juni 2017 @ 11:51
Das sind keine Prinzipien, das ist eine Bitte um ein Verhandlungs-Mandat. Berlin sagt Nein, ganz indiskret.
Reinard Schmitz
22. Juni 2017 @ 06:43
Wenn das bedeutet, dass Merkel im Prinzip gegen Sanktionen ist, aber dem lieben Frieden Willen so ein bisschen mitmacht, dann ist das pragmatisch. Denn auf längere Sicht werden wir das Gas eh brauchen und gerne nehmen.
ebo
22. Juni 2017 @ 08:50
Merkel ist für Sanktionen, sie ist gegen eine Debatte.
Peter Nemschak
22. Juni 2017 @ 09:04
Wie gesagt, das Thema muss diskret behandelt werden. Es muss nicht alles vor den Augen der Öffentlichkeit stattfinden, auch wenn Journalisten dann weniger zu berichten haben. Die Osteuropäer und Ukrainer sind wichtig, aber nicht so bedeutend, dass man alles in ihrem Sinn erledigen muss. Letztlich hängen sie als Frontstaaten gegenüber Russland am Tropf der anderen EU-Mitglieder. Deshalb wurden und werden sie auch von den USA umworben. Man muss akzeptieren, dass nicht alle gleich sind.
ebo
22. Juni 2017 @ 09:09
@Nemschak Klar, Österreich hängt auch in Northstream drin, also bitte ABSOLUTE DISKRETION. Die EU soll das angebliche Privat-Projekt protegieren, aber bloß nicht mitreden, richtig?
Peter Nemschak
22. Juni 2017 @ 06:37
Von den Gaslieferungen über Northstream II würde nicht nur Deutschland sondern würden auch andere EU-Länder kommerziell und hinsichtlich Versorgungssicherheit profitieren. Warum sollte man daraus ein prestigebehaftetes Politikum machen, bei dem sich sich alle Parteien mit ihren Standpunkten festfahren? Worin besteht der Protektionismus? Es reicht, wenn die Trump-Regierung wieder einmal, wie schon ihre Vorgänger in der Vergangenheit, bei Sanktionen die Europäer nötigen will. Solche Themen muss man im Hintergrund ohne viel öffentliche Aufmerksamkeit verhandeln.
ebo
22. Juni 2017 @ 08:45
Fragen Sie mal die Osteuropäer, oder die Ukraine
Pjotr56
23. Juni 2017 @ 15:47
Die Osteuropäer leiden m. E. an Paranoia aus dem Formenkreis der Russophobie. In der Ukraine herrscht eine korrupte Putschnachfolgerregierung.
Deren Interessen sollte man ignorieren.