Best of 2019: Aufrüstung auf Kosten der Ärmsten
In der Europapolitik ist 2019 ungewöhnlich viel passiert. Brexit, Europawahl, neue EU-Kommission, Green Deal – die Zeichen stehen auf Wandel, vielleicht sogar Disruption. Selbst eherne Prinzipien gelten plötzlich nicht mehr (Folge 9 von 10).
Dies zeigte sich im Februar, als die EU-Kommission erstmals umfassend über einen neuen „Verteidigungsfonds“ berichtete. Er war in Rekordzeit aus dem Boden gestampft worden und soll mit mindestens 13 Mrd. Euro ausgestattet werden – bis 2027.
Der damalige Kommissionschef Juncker und sein Budgetkommissar Oettinger haben vollendete Tatsachen geschaffen – und das drei Monate vor der Europawahl im Mai 2019. Die Wähler, so viel war bei der Präsentation klar, würden daran nichts mehr ändern können.
„Die Friedensunion rüstet auf (ohne die Wähler zu fragen)“ hieß denn auch unser Blogpost. Er wurde viel gelesen und zitiert – und brachte es in der Jahreswertung auf Platz 2 der meist geklickten Artikel. Auch heute ist er noch aktuell.
Dies zeigt ein Bericht im „Guardian“. Der Präsident der „European Food Banks Federation“, Jacques Vandenschrik, beschuldigt die EU, die Hilfen für die Ärmsten um 50 Prozent zu kürzen, um den Verteidigungsfonds zu füllen und vom Brexit verursachte Finanzlöcher zu stopfen.
“I think we must do better for the poorest of the poor. We cannot accept that we must deliver half or 60% of the food that they receive now. The explanation is that the overall budget of Europe needs to be tightened up. Brexit is one of the arguments. The other is the need for the strengthening of the defence of Europe. But this will have an impact on health and social cohesion. It is a false economy to save on the poor.
The Guardian
Dabei ist „falsche Sparmaßnahme“ noch milde ausgedrückt. Es ist eine falsche Politik, die mit den hehren Prinzipien der „Friedensunion“ bricht und die bisher rein zivile EU-Forschungsförderung auf Aufrüstung und Kriegsführung umlenkt.
Eine solche Umwidmung ist mit den EU-Verträgen kaum vereinbar, wie die Linke nach eingehender juristischer Prüfung festgestellt hat. Sie ist auch mit dem Ergebnis der Europawahl unvereinbar – denn im Wahlkampf fiel kein Wort über die „Verteidigungsunion“.
Umso besser passt der neue Kurs zu Ursula von der Leyen. Schließlich war die neue Chefin der EU-Kommission noch bis zum Sommer deutsche Verteidigungsministerin. Nun kann sie die Aufrüstung fortsetzen – erstmals auch mit EU-Mitteln…
Peter Nemschak
2. Januar 2020 @ 16:20
@ebo In welcher Form Aufrüstung optimal erfolgt sollten wir den Militärexperten überlassen, die politische Entscheidung über die Notwendigkeit den vom Volk gewählten Politikern. Geopolitik eignet sich nicht für direkte Demokratie.
ebo
2. Januar 2020 @ 17:09
Wofür brauchen wir Aufrüstung? Im 21. Jahrhundert werden Kriege nicht mehr mit Panzern geführt…
Holly01
2. Januar 2020 @ 14:02
Gibt es eigentlich Beispiele für „rechte“ Pazifisten? Ich kenne keine.
Wenn es keine „rechten“ Pazifisten gibt, kann man den Zusatz „links“ weg lassen und konstatieren, das „rechts“ den Frieden nicht als Ziel hat……
Nur so am Rande bemerkt …. denn dann bekommt der „Rechtsruck“ auch den Kontext, der ihm inhaltlich zusteht.
vlg
Peter Nemschak
1. Januar 2020 @ 22:36
@ebo Sie sind ein unverbesserlicher linker Pazifist. Die Welt besteht aus Machtpolitik. Will Europa sich als Großmacht auf Augenhöhe zu den USA, China und Russland entwickeln, bedarf es auch entsprechender hard power – auf Augenhöhe. Die Wiederherstellung eines internationalen Gleichgewichts der Mächte nach dem Ende der UdSSR dient dem Frieden besser als humanitäre Illusionen, wie sie die EU nach wie vor zumindest vorgibt zu pflegen und die USA mittlerweile dabei sind aufzugeben. Nehmen wir menschliche Gesellschaften wie sie real sind und nicht so wie sie ideal nach bestimmten ideologischen Vorstellungen sein sollten. Was spricht gegen Realismus in den internationalen Beziehungen ?
ebo
1. Januar 2020 @ 22:45
Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Wer bedroht die Sicherheit Europas?
kwasir
1. Januar 2020 @ 18:02
Den USA ist es gelungen, zwei Eindrücke in der Öffentlichkeit zu verankern:
a) wir ziehen uns zurück, wir erwarten daher, dass unsere Partner selbst Vorbereitungen gegen den Aggressor finanzieren (mindestens die 2% NATO)
b) es muss erheblich mehr für die Vorbereitungen zur Abwehr einer zunehmend größeren Wahrscheinlichkeit einer Aggression des Ostens (Russland) auf den Westen unternommen werden.
Faktisch lässt sich dies nicht begründen. Ein Blick in das jüngst verabschiedete Gesetz über den fast 750 Milliarden $ schweren Militärhaushalt (Gesetz NDAA – national defense authorisation act) – wo auch die North Stream II Sanktionen verankert sind) reicht, um sich eines Besseren belehren zu lassen. Nachlesen lohnt sich.
Die seit Gründung der USA geltende Staatsräson des „exceptionalism“ feiert unter der Trump Verwaltung fröhliche Urständ „America first – make it great again“. Kritik dagegen ist so gut wie nicht möglich, da es nach diesem (nach den Gründungsvätern von Gott so gewollten und deshalb heute von den sehr einflussreichen ‚evangelicals‘ unterstützten ) Sendungsauftrag nur die gute Seite gibt, der alles erlaubt bzw. vergeben wird, und das Böse (dargestellt von den Russen oder wahlweise Islamisten – beide unchristlich), das ständig sich im Aggressiosnmodus befindet.
Nach dieser Staatsräson können die USA nicht zulassen, dass ihre (militärische und wirtschaftliche ) globale Spitzenstellung gefährdet wird. Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn die EU (in erster Linie DE) eigenständiger würde und mit Russland kooperieren würde.
Daher die ständigen Störmanöver und Drohungen gegen die EU(DE) wie die pipelines oder die Lähmung der WTO usw. Prioritär geht es um die Stärkung der US Wirtschaft, auch der Rüstungskäufe(z.B. NATO). Von einem militärischen Rückzug kann keine Rede sein mit über 1000 militärischen (auch Sanktionenkontrolle) Stützpunkten in über 150 Ländern der Erde. Auch die Aufstockung der milit.US Aktivitäten in DE selbst (z.B. Ausbildung v 100 000 ausländischen Soldaten in Grafenwöhr) zeigen ein anderes Bild.
Dass sich die EU jetzt auch im Bereich der Aggressorabwehr aufstellt und dass versprochen wird, Häfen so auszubauen , dass LNG aus den USA importiert werden kann, zeigt doch nur, wie groß der Druck hinter den Kulissen sein muss. Dass dies auf wenig Interesse in der Öffentlichkeit stösst, liegt nicht zuletzt daran, dass dieser Themenbereich nicht Gegenstand einer ausreichenden Unterrichtung der Öffentlichkeit (welcher Deutsche weiss z.B. schon wieviel US Soldaten in DE stationiert sind und wozu ?) oder gar einer politischen Debatte ist.
Holly01
1. Januar 2020 @ 10:43
Wenn wir nicht sehr gut aufpassen passiert das auch in Europa bzw mit der EU:
” https://deutsch.rt.com/meinung/96239-2019-das-jahr-in-dem-die-usa-rueckeroberung-lateinamerikas-starteten/ ”
Die Amis sind da schon auf einem guten (????) Weg ……
vlg
Peter Nemschak
1. Januar 2020 @ 08:55
Ich fürchte das Thema interessiert zu wenige Bürger. Um geopolitisch glaubwürdig zu sein, wird der EU nach Rückzug der USA nichts anderes übrig bleiben als selbst für ihre militärische Sicherheit zu sorgen. Das wollen manche Träumer nicht wahrhaben. Was heißt auf Kosten der Ärmsten ? Eine polemische Aussage.
ebo
1. Januar 2020 @ 13:09
Wer bedroht denn unsere Sicherheit? Wofür brauchen wir Panzerstrassen gen Russland?
HLS
31. Dezember 2019 @ 16:45
Aufrüstung der EU, ohne dass die Bürgerinnen und Bürger dazu etwas zu sagen haben! Warum lassen sie sich das gefallen? Es wäre höchste Zeit für eine Bürgerrevolte online – auf http://www.our-new-europe.eu
Erwin Reutter
31. Dezember 2019 @ 10:54
Macht doch diese EU dicht und kehrt zur EWG zurück. Dieser Verein ist doch nur zu einer Pöstchenbeschaffung für in den Ländern gescheiterten Politbonzen mutiert. Dass die Beamten, die dieses Geschäftsmodell am Laufen halten immer mehr werden ist jedem, der etwas von Betriebswirtschaft gehört hat, absolut klar. „Verwaltung verwaltet sich irgendwann immer selbst und Anfragen an diese sind immer eine Störung im Betriebsablauf.“