Austerität bricht EU-Recht
Trotz aller Kritik setzt die EU ihren Austeritätskurs fort. Gerade erst wurden Spanien und Italien gedrängt, neue Einsparungen vorzunehmen. Währungskommissar Rehn findet das normal, der Sparkurs zeige schließlich erste Erfolge. Dabei nimmt er Grundrechts-Verletzungen in Kauf.
Währungskommissar Rehn ist mit sich und der Welt zufrieden. Bei einer Rede vor dem neoliberalen Lisbon Council pries er gerade erst wieder den angeblich erfolgreichen Konsolidierungskurs in der EU.
Jetzt gelte es, “die Rückkehr zum Wachstum zu konsolidieren” – und die Sparmaßnahmen fortzusetzen. Gleichzeitig versucht der Finne, dessen Land gerade in die Krise rutscht, seine eigene Karriere zu konsolidieren.
Rehn kündigte an, dass er sich um die Nachfolge von EU-Kommissisonschef Barroso bewerben will. Wenn es gut geht, als Spitzenkandidat der Liberalen.
“I am very motivated to continue to work to reform and modernise Europe, therefore, I am ready to stand as candidate,”, sagte er laut Euronews.
Doch was Rehn als Reform bezeichnet, ist nur schwer mit nationalem und internationalem Recht vereinbar.
Die EU mache sich mit ihrem Austeritätskurs massiver Grundrechtsverletzungen schuldig, befindet der Europarat in einem neuen Report.
Er wird erst am Mittwoch veröffentlicht, ich konnte ihn daher noch nicht lesen. Aber folgt man dem EUobserver, dann müssten sich Rehn und seine Gesinnungsgenossen – z.B. Finanzminister Schäuble – Sorgen machen.
“The crisis is both a context and a constraint on government policy but some responses to the crisis have created much collateral damage to human rights,” Nils Muiznieks, the commissioner for human rights at the Strasbourg-based watchdog, told reporters on Tuesday (3 December).
Nicht weniger als 13 europäische Länder verletzen laut Europarat die sozialen Grundrechte – darunter Griechenland, Italien und das neue EU-Mitglied Kroatien.
Durch die Spardiktate der Troika wird zudem die medizinische Grundversorgung gefährdet. Wiederum führt Griechenland die Liste der Verletzungen an.
Spanien wird wegen neuer, bis zu 600.000 Euro schwerer Strafen auf zivilen Ungehorsam kritisiert. Zwar handelt es sich nur um einen Gesetzentwurf, doch der Europarat ist alarmiert.
All diese Verstöße treffen nach Ansicht der Straßburger Experten auch das EU-Recht. Denn es basiert auf den Menschenrechten, zudem gibt es eine eigene EU-Grundrechtsecharta.
Interessant ist auch, was die Experten zum vermeintlichen Sparzwang sagen. Zitat:
The report says most national deficits did not result in unsustainable public expenditure from before the crisis but from the public rescue of financial markets.
Zu gut deutsch: Die übermäßigen Defizite entstanden nicht etwa durch verschwenderische Regierungen, sondern in Folge der “Rettung” von Banken und Märkten. Doch die Folgen müssen nun die Schwächsten tragen.
Ich bin gespannt, was Rehn zu diesen massiven Vorwürfen zu sagen hat. Ich vermute: nichts!
Siehe zu diesem Thema auch mein E-Book “Wir retten die Falschen”. Einen Einblick gibt es hier
Peter Nemschak
14. Februar 2014 @ 16:13
@ebo Im Klartext: Enteignung der Altaktionäre und Gläubiger der Banken. Sehr dafür, denn ohne das Prinzip Haftung kann eine Marktwirtschaft nicht funktionieren. Meines Erachtens haben es die Schweden in den 90-iger Jahren richtig gemacht, ebenso die Amerikaner in der jetzigen Krise. Insolvenz lässt sich nicht durch Kredite sondern nur durch Equity beheben oder durch Entschuldung.
Peter Nemschak
14. Februar 2014 @ 15:28
Bitte korrigiert mich: meines Wissens gibt es keine finanzielle Beistandsverpflichtung unter den EU-Mitgliedern zur Rettung des Euro, im Gegenteil ist diese ausdrücklich ausgeschlossen. Hätte die Troika keine Kredite gegeben, wären manche Länder insolvent geworden, da die Insolvenz ihres Bankensektors unmittelbar auf den Souverän durchgeschlagen wäre und außerdem negative Folgen für die Realwirtschaft gehabt hätte. Wäre dies die bessere Lösung gewesen? Offenbar kollidieren verschiedene Rechtsnormen.
ebo
14. Februar 2014 @ 15:34
Die Bailouts waren streng genommen genauso illegal wie die harten Sozialkürzungen. In beiden Fällen hat man das EU-Recht verdreht, um wen zu retten? Nicht etwa die Krisenländer und ihre Bürger, sondern die Investoren und Anleger, auch und gerade aus Deutschland. – Siehe auch mein E-Book “Wir retten die Falschen”.
Peter Nemschak
14. Februar 2014 @ 15:46
Was wäre mit den Richtigen passiert, hätte man die Falschen nicht gerettet?
ebo
14. Februar 2014 @ 15:52
Raffinierte Suggestivfrage! Man hätte ja auch die Falschen für ihre Rettung zahlen lassen können, um vom Erlös den Richtigen zu helfen! Ein weniger harter Austeritätskurs wäre im übrigen allen zugute gekommen, wie IWF und Weltbank einräumen.
Peter Nemschak
19. Dezember 2013 @ 12:20
Man mag Merkels Kurs kritisieren. Die Mehrheit der Deutschen tut es allerdings nicht, wie der deutliche Wahlsieg von Merkel bestätigt. Durch die große Koalition wird es da und dort zu notwendigen und wünschenswerten Kurskorrekturen kommen. Ein Europa, wie es der deutschen Linken vorschwebt, ist allerdings derzeit nicht mehrheitsfähig, ebenso wenig die Vision eines europäischen Bundesstaates so mancher europhiler Intellektueller. Eine Frage, die ich wiederholt gestellt habe, die aber nach wie vor unbeantwortet geblieben ist: warum sind manche europäische Staaten relativ besser als andere durch die Krise gekommen? Warum sind die südeuropäischen Volkswirtschaften strukturell schwächer als der Norden, und das lange bevor der Euro eingeführt wurde? Welche Maßnahmen sind notwendig, um strukturelle Ungleichgewichte zu beseitigen? In den Jahren bis zur Krise hatten die Südeuropäer (Staat und Private) reichlichen Zugang zu günstigen Krediten. Warum wurden diese nicht für Strukturreformen genützt? Warum sollte es jetzt ohne Bedingungen der Geldgeber funktionieren? Zumindest Frankreich ist stark genug, Reformen aus eigener Kraft durchzuführen. Was den Finanzsektor betrifft, habe ich bisher von keiner Regierung gehört, dass der eigene Bankenapparat überdimensioniert ist und Maßnahmen zu seiner Verkleinerung getroffen wurden. Die geplante Bankenunion greift jedenfalls in diesem Punkt zu kurz. Eine überdimensionierte Branche wird stets krisenanfällig bleiben. Die Autoindustrie ist ein beredtes Beispiel dafür.
Johannes
4. Dezember 2013 @ 21:14
… und die Eurohilfen sind auch illegal, werden aber hier im Blog gefeiert. Tolle Show!
ebo
4. Dezember 2013 @ 21:54
Wer feiert den die Euro – Hilfen? Du hast wohl mein Buch nicht gelesen 🙂