Aufgelesen: Streumunition – Blankoscheck für die USA?
In Brüssel hat die Urlaubszeit begonnen. Wir nutzen das „Sommerloch“, um lesenswerte Beiträge anderer Blogs und Medien zu präsentieren. Heute ein Beitrag zum Einsatz von Streumunition in der Ukraine.
Washington beliefert die Ukraine mit international geächteter Streumunition. Die mangelnde Kritik aus dem Westen ist erschreckend und feige, schreibt H. Wulf im IPG
Nun ist es soweit. Die US-Regierung hat sich, nach längeren kontroversen Debatten, entschieden, Streumunition an die Ukraine zu liefern. Mit dieser Maßnahme wird die nächste Stufe auf der Eskalationsleiter in diesem mörderischen Krieg bestiegen. Nach langen zögerlichen Diskussionen um die Lieferung einfachen militärischen Geräts, dem Versprechen zur uneingeschränkten Verteidigung der Ukraine, der Lieferung moderner Waffen wie Flugabwehrkanonen sowie heftigen Diskussionen um das Ja oder Nein von Kampfpanzern und -flugzeugen, jetzt also die Lieferung der geächteten Streumunition.
Kiew hat um diese Munition gebeten, da sie anscheinend militärisch hoch effektiv gegen Ziele wie Artillerie und Konvois der russischen Streitkräfte eingesetzt werden kann. Die Ukraine hofft, ihre Gegenoffensive so durchschlagender ausführen zu können.
Doch seit der Unterzeichnung der sogenannten Oslo-Konvention, die 2010 in Kraft trat, besteht ein Verbot zur Herstellung, Lagerung sowie zum Einsatz von Streumunition. Problematisch ist diese Munition vor allem, weil sie noch viele Jahre nach der Beendigung eines Krieges Leid und Zerstörung anrichtet. In einem Behälter befindet sich sogenannte Submunition, auch Bomblets oder Pellets genannt, die hoch über dem Ziel auf breiter Fläche abgeschossen wird. Wenn die Streumunition vom Himmel fällt und auf dem Boden explodiert, ist ein wesentlich größerer Bereich betroffen als bei einer einzelnen konzentrierten Explosion.
Manche dieser Streubomben enthalten mehr als 500 Projektile. Die Streumunition tötet wahllos und explodiert nicht immer beim Aufschlag auf dem Boden vollständig. Eine hohe Zahl von Blindgängern, von 2,5 bis 40 Prozent je nach Bombentyp, bedeutet noch für Jahrzehnte eine Gefahr für Zivilistinnen und Zivilisten. Die Amputation von Gliedmaßen sowie die Zerstörung landwirtschaftlicher Flächen sind die Folge. Im Vietnamkrieg wurden mehrere hundert Millionen Streubomben über Wäldern und Reisfeldern abgeworfen, von denen bis heute noch viele Millionen nicht explodiert sind und auf dem oder im Boden liegen.
Die Streumunition tötet wahllos und explodiert nicht immer beim Aufschlag auf dem Boden vollständig.
Wegen der schlimmen Folgen dieser Waffen ächtet die Konvention von Oslo die Streumunition. Die Mehrzahl der UN-Mitglieder, 123 Länder, sind der Konvention beigetreten, jedoch weder die USA noch die Ukraine oder Russland.
Für die kontroverse Entscheidung Washingtons zur Lieferung dieser geächteten Streumunition werden mehrere Entschuldigungen bemüht. Die Munition sei militärisch effektiv und könne der Ukraine Vorteile verschaffen. Beflügelt wurde die US-Entscheidung zudem davon, dass es offensichtlich deutliche Engpässe bei der Produktion konventioneller Munition gibt, vor allem bei Artilleriegeschossen. Streumunition ist in den USA in großen Mengen vorhanden und könnte hier Abhilfe schaffen.
Weiterlesen im IPG-Journal
Armin Christ
28. Juli 2023 @ 11:25
Was schert sich der regelbasierte Wertewesten um das Völkerrecht ?
Katla
27. Juli 2023 @ 09:49
Die Behauptung, dass die Konvention gegen Streumunition nicht für die Ukraine, usw. gelte, ist in dieser apodiktischen Formulierung falsch.
Für eine differenziertere juristische Betrachtung ist z.B. der Verfassungsblog empfehlenswert:
https://verfassungsblog.de/streumunition-und-volkerrecht/
Cornelia Henke
27. Juli 2023 @ 08:14
Zitiert: „Stellen wir uns vor, es ginge demnächst um Giftgas? Die USA liefern Streumunition an die Ukraine. Kritik daran gibt es trotz anderslautender vertraglicher Verpflichtung kaum. Der Menschenrechtsexperte Arnd Pollmann findet das problematisch. „Mit der Logik ‚Wie du mir, so ich dir‘“, sagt er im Interview, „kommen wir in Teufels Küche.“
„Der Krieg ist im wachsenden Umfang kein Kampf mehr, sondern ein Ausrotten durch Technik“. Karl Jaspers
„Auge um Auge, und die Welt wird erblinden!“ Mahatma Ghandi
KK
26. Juli 2023 @ 13:14
@ Kleopatra:
„Die Konvention gegen Streumunition gilt nun einmal gegenwärtig weder für die Ukraine noch für Russland, noch für die USA.“
Aber für alle in Frage kommenden Transitländer – wie bitte schön ist die dann legal aus den USA in die Ukraine gekommen? Auch der Bosporus kann legal nicht für Waffentransporte genutzt werden.
Kleopatra
26. Juli 2023 @ 08:07
Die Konvention gegen Streumunition gilt nun einmal gegenwärtig weder für die Ukraine noch für Russland, noch für die USA. Bei chemischen Waffen liegt das anders. Die Lieferung bzw. der Einsatz von Senfgas wäre deshalb völkerrechtswidrig, die Lieferung und der Einsatz von Streumunition hingegen (noch) nicht. Russland setzt sie gegen die Ukraine seit langen ungeniert ein.
KK
26. Juli 2023 @ 02:47
@ Katla:
„Sind etwa Effizienz und Vorteilhaftigkeit die neuen, allgemein gültigen Kriterien für den Einsatz von Waffen?“
Natürlich, war immer schon so. Die Moral wird immer nur dann und insoweit bemüht, solange sie in den eigenen Kram passt. Und natürlich gegen den selbstverständlich – per se unmoralischen – Gegner verwendet werden kann.
Katla
25. Juli 2023 @ 17:38
Und wenn Kiew um Senfgas (oder Biowaffen) bittet? Finden wir dann Senfgas auch militärisch effektiv, das Kiew Vorteile verschaffen kann? Das laute Schweigen der EU und der Regierungen der Mitgliedstaaten zu diesem Thema ist ein Skandal und zerstört weiter das Vertrauen in die angebliche Wertegebundenheit der westlichen Staaten.
Sind etwa Effizienz und Vorteilhaftigkeit die neuen, allgemein gültigen Kriterien für den Einsatz von Waffen? Dann spräche ja eigentlich gar nichts mehr gegen den Einsatz von Atomwaffen – Kiew muss scheinbar nur noch darum bitten (wie bereits schon gelegentlich passiert, aber da hatten sie wohl noch genug konventionelle Munition).