75 Jahre Nato: Der Fluch der Ost-Erweiterung
Die Atlantische Allianz feiert sich und ihre angeblichen Erfolge. Dabei sind bisher alle Militär-Interventionen schief gegangen. Und dann ist da noch der Fluch der Ost-Erweiterung.
Der Champagner war kalt gestellt, die Lobeshymnen lagen bereit. 75 Jahre Nato haben die Außenminister der 32 Alliierten bei ihrem Frühjahrs-Treffen in Brüssel gefeiert.
Das sei ein Grund zur Freude, erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Schließlich sei das Militärbündnis “die mächtigste und erfolgreichste Allianz der Geschichte“.
Von einem „Sicherheitsanker zwischen Ost und West“ sprach Außenministerin Annalena Baerbock. Die Nato habe “unsere Freiheit und unsere Demokratie” geschützt.
Hat sie das? Seit dem Fall der Berliner Mauer war das doch eigentlich gar nicht mehr nötig. Russland war kein Feind mehr, die Nato mußte sich neue Aufgaben suchen.
Doch die Interventionen in Serbien, Libyen und Afghanistan sind allesamt schief gegangen. Das Kosovo muß noch heute durch Nato-Soldaten geschützt werden, Libyen und Afghanistan sind “failed states”.
Und dann ist da noch der Fluch der Ost-Erweiterung. Sie war von Anfang an umstritten. Polen wollte zunächst nicht einmal Mitglied werden – Warschau hatte mehr Angst vor Deutschland als vor Russland.
Vor allem gab es aber ein Problem damit, wie die Nato-Erweiterung vor sich ging – sagt M. E. Sarotte in ihrem Standardwerk “Nicht einen Schritt weiter nach Osten” (“Not One Inch”, 2021).
Ohne Rücksicht auf Russland
Die Art, wie die Allianz neue Mitglieder aufnahm – ohne Rücksicht auf russische Interessen und die gemeinsame Sicherheit in Europa – habe die Beziehungen zu Moskau unnötigerweise untergraben.
Wir reden hier nicht von der Einladung an die Ukraine und Georgien 2008, sondern von der Zeit nach dem Mauerfall. Baerbock hat es wohl vergessen, aber ihr Amtsvorgänger Genscher war gegen die Expansion nach Osteuropa.
Auch der damalige US-Botschafter in Moskau, T. Pickering, warnte. “Eine Politik der Neo-Eindämmung… wird praktisch jede nützliche und produktive Maßnahme zurückwerfen und untergraben, die wir gegenüber Jelzins Russlands entwickelt haben”.
Warnungen gab es viele
Zurückwerfen und untergraben – mehr als 30 Jahre später wissen wir, wie richtig diese Einschätzung war. Auch die zahlreichen Warnungen vor einem Beitritt der Ukraine haben sich leider bewahrheitet.
Doch von all dem wollen die Nato-Politiker heute nichts mehr wissen. Bei ihrer Feier in Brüssel verloren sie kein Wort über den Fluch der Ost-Erweiterung. Ob sie das schlechte Gewissen plagt?
Oder ist die Nato immer noch hirntot? Statt aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und Optionen für die Zukunft offen zu halten, verspricht Stoltenberg der Ukraine schon wieder den Beitritt.
Er plant wohl die nächste Ost-Erweiterung – und den nächsten Kalten (heißen?) Krieg…
Siehe auch “Panik bei der Nato”
Monika
6. April 2024 @ 01:22
75 Jahre NATO sind eindeutig mindestens 30 Jahre zuviel!
US-Historiker Christopher Simpson (in Blowback, deutsch Der amerikanische Bumerang): …in den ersten Jahren der CIA bestanden die Informationen über ganz Osteuropa weit überwiegend aus den abgetippten Berichten der „Organisation Gehlen“. Der Chef von „Fremde Heere Ost“ schuf das Bild der Sowjetunion, das zur Gründung der NATO führte.
Anstoß zur Gründung der NATO war die politische Union des Brüsseler Pakts 1948 zwischen Frankreich, Benelux und Großbritannien incl. einer Verpflichtung zu militärischen Beistand gegen ein zukünftig wiedererstarktes Deutschland. Die britische Beteiligung daran -ohne amerikanische Einbeziehung- fanden die USA geostrategisch nicht nützlich: Die Briten könnten den gerade erreichten Machtzuwachs der USA wieder einschränken und auch die wirtschaftliche Blockbildung in Europa behagte gar nicht.
Die geopolitischen Pläne der USA bevorzugten die Spaltung Deutschlands, Wiederbewaffnung des Westteils und die Formierung Westeuropas zu einem gegen die Sowjetunion gerichteten Militärbündnis. Mithin die Gründung der NATO. Aber schon vor und während des Kriegs hatte das Komitee für unamerikanische Umtriebe antikommunistische Hexenjagden veranstaltet, ideologische Aufrüstung betrieben mit Slogans wie „Individualismus gegen Kollektivismus“ und der Totalitarismustheorie mittels derer man es schaffte, erbittetste Gegner der Nazis mit diesesen gleichzusetzen. Nur auf solch gut bereitetem Boden konnte Gehlen mit seinen gefakten Microfilmen Furore machen, Arsch auf Eimer sozusagen. Den Briten schenkte man die Position des 1. NATO-Generalsekretärs, Lord Ismay, Freund Chuchills, dem, neben seinem bekannten Bonmot Die Amerikaner drin, die Russen Draußen, die Deutsche unten halten sei das eigentliche Ziel der NATO, noch durch einen anderen Spruch bewies, dass er der „richtige Mann an der richtigen Stelle ist“: Er soll nach dem Sieg über Hitler gesagt haben, er glaube „Wir haben das falsche Schwein geschlachtet“.
Der Beitritt der BRD 1955 zur NATO war eine hochwillkommene Verstärkung der Spaltung, die mit der Währungsreform 1948 und der Gründung der BRD aus den drei Westzonen 1949 aufgesetzt wurde. Mit der heiß umstrittenen Wiederbewaffnung brachen die letzten Dämme gegen die Rückkehr jeder Menge harter „entnazifizierter“ Nazis, via CIA und Gehlen . Und so spülte das Schicksal (?) 1961 Adolf Heusinger als Vorsitzenden in den Militärauschuss. Seine Expertise für diesen Posten wies er mit sein Meisterstück „Unternehmen Barbarossa“ aus, die Planung des Angriffs auf die Sowjetunion mit am Ende 27 Mio. toten Sowjetbürgern als Blutzoll, war sein „opus magnum“! Er machte wie Gehlen einen Deal mit den USA und durfte, als Zeuge im Nürnberger Kriegverbrecherprozess auftretend, seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. „Aus der Sicht der Kalten Krieger eine logische Entscheidung, im Kampf gegen die Sowjetunion, der letztlich die Begründung für die Existenz der NATO war, nicht nur auf die Angriffspläne der Nazis, sondern auch auf ihren Angriffsplaner zurückzugreifen.“ Deutschlands Rückkehr in die „zivilisierte Welt“ (?) war teuer erkauft mit der Rehabilitierung des Nazipersonals und der Festlegung als potentielles Schlachtfeld.
Gehlens Mikrofilme halfen die politische Position gegen die Sowjetunion zu schaffen, Heusinger implantierte die militärischen Strategien der Nazis in die NATO. Dass Brandt & Cos. Entspannungspolitik, die wirtschaftlichen Konkurrenz der EU ect. den US-Falken nicht schmeckten, zeigte die Genugtuung, die ihnen bei der Nordstream-Sprengung ins Gesicht geschrieben stand. Dass sich mit dem Ende der Sowjetunion die NATO nicht auflöste, sondern ihr ursprünglicher Ansatz fröhliche Urständ feiert, ist nur tragisch und kein bisschen komisch. Man sagt ja dass alle Tragödien später als Farce noch einmal durch die Geschichte geistern. Farce würde ich die angebrochenen Ära eines „Unternehmen Barbarossa 2.0“ jedenfalls nicht nennen. Schlachtvieh sind derzeit die Ukrainer, aber was was nicht ist kann ja noch werden möchte man all unseren Kriegslüstlingen zurufen…
european
5. April 2024 @ 14:00
Es gibt ein interessantes Video von 1990, das Baker, Gorbatschow und Genscher zeigt. Genscher bestaetigt, dass man Russland versprochen hat, die NATO nicht nach Osten zu erweitern.
https://youtu.be/IwgLljPrPeY?feature=shared
Ganze 9 Jahre spaeter freut sich Madeleine Albright, dass 3 neue Laender in die NATO aufgenommen wurden. Diesmal war kein deutscher Vertreter dabei. Die US-Administration haelt sich weder an Vertraege noch an Versprechen. Dazu nochmal der Hinweis auf Ben Norton’s Geopolitical Economy Report ueber Taiwan. Gegen Ende des Berichts listet er naemlich alle Vertraege und Versprechen der USA bezueglich Taiwan und China auf, die sie nun einseitig aufkuendigen bzw. ganz einfach brechen. Was interessiert mich mein Geschwaetz von gestern.
https://youtu.be/sWWABuHjSvU?feature=shared
Die NATO ist kein Friedensbuendnis. Sie ist ein Aggressionsbuendnis und der verlaengerte Arm der US Administration. Deshalb wurde sie auch nicht abgeschafft, als der Warschauer Pakt sich aufloeste. Bei der aktuellen und voellig widerrechtlichen Aufruestung Taiwans kann man davon ausgehen, dass irgendetwas passieren wird, was einen Buendnisfall “rechtfertigt”, aehnlich wie in Afghanistan.
Stef
5. April 2024 @ 11:08
Mit der Osterweiterung gegen die expliziten Absprachen und Sicherheitsbedenken einer Atommacht hat die Nato ihren Charakter als Verteidigungsbündnis eingebüßt und ist zu einem aggressiven Instrument geworden. Die Rechtfertigung der Osterweiterung mit dem Argument „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ ist eine intellektuelle Bankrotterklärung. Würden wir Russland in die Nato aufnehmen? Das wurde mehrfach von Russland ins Gespräch gebracht und von den USA beerdigt.
Ein zweiter Charakterzug der Nato ist die Bedienung der Interessen insbesondere des US-Rüstungskapitals. Jeder Konflikt und jedes neue Mitglied spült satte Renditen in die Kassen. Seltsamerweise gehen die attraktivsten Aufträge immer an US-Unternehmen. Ob es daran liegt, dass die USA die militärischen Standards für die Nato setzen?
By the way: Von daher ist auch naiv zu glauben, die USA würden Israel irgendwann mit dem Aussetzen der Waffenlieferungen unter Druck setzen, da das der eigentliche Zweck der US-Außenpolitik ist. Die Fähigkeit, gegen die Interessen des militärisch-industriellen-Komplexes Außenpolitik zu betreiben müsste überhaupt erst wieder mühsam erkämpft werden, sowohl in den USA als auch in Europa. Das haben uns die „Autokratien“ China und Russland mit der direkten staatlichen Kontrolle über die Rüstungsindustrie voraus. Diese Fähigkeit, das Primat der Politik auch tatsächlich durchzusetzen, kann durch tausend Wertedebatten nicht aufgewogen werden.
MarMo
4. April 2024 @ 20:58
Nicht nur, dass jede Form von kritischer Selbstreflexion von der NATO nicht zu erwarten ist, treibt sie die Katastrophe immer weiter mit dem Beitrittsversprechen an die Ukraine. Die sollten alle mal John Mearsheimer zuhören. Hier geht es um vitale Interessen Russlands, das macht es so gefährlich. Russland wird als expansionistisch dargestellt, hat aber meines Erachtens gute Gründe dafür, sich von der Umzingelung durch NATO-Staaten bedroht zu fühlen. Expansionistisch ist doch eher ein Bündnis, dass die Anzahl seiner Beitrittsstaaten seit seiner Gründung verdoppelt hat.
Aber davon will von diesen Irrsinnigen ja keiner was hören. Ja, peinliche, peinlichste Selbstbeweihräucherung.
Thomas Damrau
4. April 2024 @ 19:13
Die aktuelle Selbstbeweihräucherung der NATO hat schon fast etwas Rührendes – wie ein in die Jahre gekommener Priester, der seiner Gemeinde etwas von Jungfrauengeburt, Wiederauferstehung und Himmelfahrt erzählt – und vor dem Teufel warnt. Die die meisten Gottesdienstbesucher können mit all dem längst nichts mehr anfangen, weil es für die meisten zu weit weg von ihren Alltagserfahrungen ist.
Aber die Eltern oder Großeltern haben nun einmal darauf bestanden, dass man wenigstens zu Ostern den Gottesdienst besucht. Und bitte nicht das Thema sexuelle Übergriffe vor und in der Kirche ansprechen.
Der Hohepriester der NATO heißt Stoltenberg. Der Teufel heißt Putin. Die Eltern/Großeltern sind unsere Medien und PolitikerInnen, die laut die NATO-Choräle singen. Die Übergriffe sind die Schweinereien, die NATO in den 75 Jahren ihrer Existenz zu verantworten hat.
Die Kirchen verlieren massiv Gläubige – unsere PolitikerInnen auch.
KK
5. April 2024 @ 02:31
„Das Kosovo muß noch heute durch Nato-Soldaten geschützt werden, …“
Wie die Krim und der Donboss wohl künftig von russischen (wenn nicht mindestens halb EUropa dann in Schutt und Asche liegt). Wie sich die Fälle gleichen – „und wer hats erfunden?“ (Spoiler: Die Schweizer warens nicht!)
Warum kann ich keine eigenen Kommentare verfassen und nur auf andere antworten???