Germany macht Angst
Deutschland hat seine Wachstumsprognose gekappt, die Aussichten für Euroland verdüstern sich. Doch Schäuble hält unbeirrt an seinem Kurs fest – er will die “schwarze Null” um jeden Preis halten. Damit schürt er die Angst vor einem neuen Schub der Eurokrise.
Auf den ersten Blick ist es kein Drama: In diesem Jahr soll Deutschland nur noch um 1,2 Prozent wachsen – statt wie geplant um 1,8 Prozent. Kein Grund für Panik, poltert Schäuble – scheinbar zu Recht.
Doch die Wahrheit sieht anders aus. Wenn nicht alles täuscht, steckt die angebliche “Konjunkturlokomotive” der EU gerade in einer (technischen) Rezession. Im 2. Quartal schrumpfte die Wirtschaft, im 3. wohl auch.
Damit steht Deutschland derzeit wohl schlechter da als Frankreich – jedenfalls, was das Wachstum betrifft. Auch die Nicht-Euroländer UK und Polen wachsen schneller – und machen sich Sorgen.
Besserung ist nicht in Sicht. Denn an den beiden Hauptursachen – dem Handelskrieg mit Russland und dem Investitionsstau in Deutschland – dürfte sich so schnell nichts ändern.
Auf Anweisung von Berlin wurden die Russland-Sanktionen erst kürzlich verschärft, eine Lockerung bleibt tabu. Über Investitionen wird nun zwar immerhin diskutiert, doch kosten dürfen sie natürlich nichts.
Genau das ist es, was Frankreich, den USA und vielen anderen Ländern außerhalb Europas Angst macht: Der Starrsinn, mit dem Kanzlerin Merkel und Schäuble am angeblich bewährten Kurs festhalten.
Gefragt wäre eine flexible Reaktion auf eine neue Lage. Denn zumindest die Ukraine-Russland-Krise war in Merkels und Schäubles Plänen nicht eingepreist (bei einer besseren EU-Politik wäre sie auch vermeidbar gewesen).
Auch die Brüsseler Forderung nach einem 300-Mrd.-Euro-Investitionsprogramm ist neu. Doch Schäuble macht die Taschen zu. Statt sich und anderen zu helfen, hält er am Ziel eines ausgeglichenen Haushalts 2015 fest.
Damit wird aber auch die Gefahr einer neuen Runde der Eurokrise größer. Selbst die USA fürchten Negativ-Effekte auf ihre Wirtschaft. Unsere Partner haben wieder Angst vor Deutschland – muss das wirklich sein?
photo credit: More pictures and videos: connect@epp.eu via photopin cc
Robert
16. Oktober 2014 @ 18:10
Also die von Ihnen beschriebenen Hürden gibt es wenn dann aber schon länger und nicht erst seit Beginn der Eurozone bzw. knapp davor. Deshalb sollten diese keinen übermäßigen Einfluss im genannten Zeitraum haben, in dem sich aber diese massive Investitionsschwäche herausgebildet hat.
Herr Schröder hat doch mit der Begründung, dass dann die Unternehmen wie nie zuvor investieren würden, die Unternehmenssteuern massiv gesenkt, aber … Pustekuchen.
Peter Nemschak
15. Oktober 2014 @ 16:41
Kann man daraus schließen, dass CDU/CSU keine neoliberale Politik betreiben? Ihre Anhängerschaft dürfte sich weit weg von Null befinden.
ebo
15. Oktober 2014 @ 18:18
Gute Frage! Meine spontane Antwort : sie predigen Wasser und trinken Wein! Hausmuttergeld in Bayern, Familiengeld-Kürzung in Frankreich – und dann noch nachtreten…
ebo
15. Oktober 2014 @ 15:25
Deutschland soll weder italienische noch französische Schulden übernehmen, sondern Investitionen im eigenen Land ankurbeln. Das wäre auch im Interesse der deutschen Arbeitnehmer und Steuerzahler – wo ist das Problem?
Tim
15. Oktober 2014 @ 15:44
@ ebo
Das Problem sind die Parteien, Wähler und Journalisten wie Du, die sofort eine neoliberale Revolution vermuten, wenn investitionsfreundliche Gesetze gemacht werden.
ebo
15. Oktober 2014 @ 15:49
Soso. Ich wußte gar nicht, dass dieser Blog schon die deutsche Regierungspolitik beeinflusst 🙂
Tim
15. Oktober 2014 @ 15:57
@ ebo
Du bist leider nicht der einzige, der Bedürfnisse und Einflußmöglichkeiten von ganz normalen Unternehmen mit denen von Großunternehmen verwechselt und darum ein ziemlich falsches Bild von “der Wirtschaft” hat. 🙂
ebo
15. Oktober 2014 @ 16:20
Mich würde mehr interessieren, was die Neoliberalen denn nun empfehlen, um Deutschland aus der Schusslinie zu holen und die drohende Depression in Euroland abzuwenden. Noch mehr sparen? Rente mit 75 einführen? Kündigungsschutz komplett aufheben?
Tim
15. Oktober 2014 @ 16:26
@ ebo
Hab ich hier doch oft genug erzählt. Was Du aber mit “noch mehr sparen” meinst, verstehe ich nicht. Hat Deutschland in den letzten Jahren irgendwo gespart?
Neoliberale Rezepte helfen übrigens nie sofort. Dennoch ist der beste Reformzeitpunkt immer genau jetzt.
Eine Rezession könnte man nur mit einem konjunkturellen Strohfeuer verhindern, wodurch die anschließenden Probleme aber größer sind als vorher.
ebo
15. Oktober 2014 @ 16:34
Wie schön, dass der Neoliberalismus gemeingültige und überzeitliche Gesetze kennt. Es kann also morgen schon losgehen mit der Reise ins Paradies! Nun musst Du nur noch die Menschen überzeugen. In Deutschland schrumpft die potentielle Wählergruppe gerade gegen Null. Immerhin, der Dicke macht jetzt auch mit: http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/konjunktur-waechst-schwaecher-gabriel-zementiert-die-schwarze-null/10836470.html
Tim
15. Oktober 2014 @ 16:54
@ ebo
Das ist es ja gerade. 🙂
Es gibt keine allgemeingültigen Lösungen für die Vielfalt der Unternehmen da draußen. Darum sollte man ihnen mehr Freiraum als heute geben. Sonst wird die Produktion eben woanders hochgezogen. Und bald auch die Entwicklung.
Ich weiß ja, daß Du und viele andere das nicht mögen. Erst arbeitet Ihr gegen unternehmerische Freiheiten und beklagt Euch dann über die Folgen.
Wie ich schon oft sagte: Den Unternehmen ist es zunehmend egal, weil sie auf konkrete Standorte immer weniger angewiesen sind. Nicht egal ist es aber den Arbeitnehmern, die nicht mal eben nach Polen ziehen können oder wollen.
lloretta
16. Oktober 2014 @ 13:30
Wie sollen denn “Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen” anderen EU-Ländern helfen? Die “Investitionen in Infrastrukturmaßnahmen” sind sehr langwierige Vorhaben, die ihre Wirkung erst in ein paar Jahren entfalten. Und ob dies im Interesse der deutschen Arbeitnehmer und Steuerzahler ist, würde ich von den Maßnahmen abhängig machen. Flughäfen im Nirgendwo und Straßen ins Nichts sind da auch nicht hilfreich.
Johannes
15. Oktober 2014 @ 14:18
“Genau das ist es, was Frankreich, den USA und vielen anderen Ländern außerhalb Europas Angst macht:” Das glaubt doch kein Deutscher mehr.
All diese Länder wollen Deutschland noch mehr Schulden von Süd Europa aufzwingen. Frankreich und Italien haben einfach keine Lust sich für den Euro und den Frieden Europas fit zu sparen, die wollen es einfach nicht und Deutschland soll bitte zahlen.
Außerdem: Deutschland muss gar nichts mehr machen, wir müssen uns Süd Europa anpassen. Investieren und reformieren wir, werden wir nur wieder von der EU, EZB, SPD, CDU und Grüne bestraft und müssen noch mehr Schulden übernehmen.
Tim
15. Oktober 2014 @ 09:49
Investitionsstau ist das falsche Wort für die Situation in Deutschland. Tatsächlich sind die Investitionsbedingungen einfach nicht besonders attraktiv. Lange Genehmigungszeiten bei Neubauten, oft absurde Auflagen und Regulierungen, verkorkstes Arbeitsrecht usw. Es ist kein Wunder, daß das Geld nicht hier investiert wird.
Peter Nemschak
15. Oktober 2014 @ 12:59
Gibt es auch positive Beispiele in der EU? Es geht wieder einmal um die Frage, welche Faktoren einen Standort attraktiv für Investoren macht, selbstverständlich auch um die Frage, welche Art von Investitionen wir uns wünschen.
Tim
15. Oktober 2014 @ 14:50
Na, Österreich scheint es doch richtig zu machen. Wobei ich nicht weiß, wie bedeutsam dafür die berühmt-berüchtigten Steuerdeals der Unternehmen sind.