“Zweierlei Maß beim Defizit” – Corbyn führt May vor
Nach Italien wird nun auch Frankreich zum budgetpolitischen Sorgenkind. Die EU-Kommission legt bei beiden Ländern unterschiedliche Maßstäbe an – und zieht damit neuen Ärger auf sich.
Nun ist es offiziell: Wegen der teuren sozialpolitischen Zugeständnisse an die „Gelbwesten“ wird Frankreich im kommenden Jahr die EU-Defizitgrenze von drei Prozent reißen.
Die Neuverschuldung werde 2019 voraussichtlich bei rund 3,2 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, sagte Ministerpräsident Philippe der Wirtschaftszeitung “Les Echos”.
Bisher sorgte das nicht für große Aufregung. So erklärte der für den Euro zuständige EU-Kommissar Moscovici, dass Brüssel eine “einmalige und begrenzte” Überschreitung der Drei-Prozent-Regel dulden könne.
Auch Bundeskanzlerin Merkel zeigte Verständnis. Macron habe sich seine Antwort auf die Gelbwesten „sehr gut überlegt“, sagte sie beim EU-Gipfel am Freitag in Brüssel. Sie setze auf Macrons Reformwillen.
Umso heftiger fällt die Reaktion in Italien aus. Er sei es leid, dass beim Haushalt mit “zweierlei Maß” gemessen werde, erklärte der starke Mann in Rom, Salvini. Für Paris müssten dieselben Regeln gelten wie für Rom.
Salvini steht unter Druck aus Brüssel – denn die EU-Kommission hat ein Defizitverfahren eingeleitet. Dieses Verfahren bezieht sich auf den ersten Blick auf das italienische Budgetdefizit, das mit 2,4 Prozent unter den französischen Zahlen liegt.
Als Rechtsgrundlage für das Strafverfahren hat Brüssel allerdings eine andere EU-Regel gewählt, die sich auf den Schuldenstand bezieht. Dieser liegt in Italien mit 130 Prozent der Wirtschaftsleistung deutlich über den erlaubten 60 Prozent.
Allerdings reißt auch Frankreich diese ziemlich beliebige EU-Schwelle; die Schuldenquote beträgt dort derzeit rund 100 Prozent. Theoretisch könnte die EU-Kommission also auch gegen Paris vorgehen.
Moscovici kündigte aber an, zunächst neue Konjunkturprognosen abzuwarten, die im Frühjahr erwartet werden. Brüssel spielt auf Zeit – und legt die für Rom so strikten Regeln in Paris recht flexibel aus.
Aus Deutschland kommt bereits Kritik. Die Situation in Frankreich sei “nicht anders als im Fall Italien und darf auch nicht anderes behandelt werden“, sagte der CSU-Finanzpolitiker H. Michelbach. Ob er sich bei Merkel beschweren wird?
Siehe auch “Die Regeln sind das Problem”
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WATCHLIST:
- Nach ihrer eigenen Tory-Partei fordert nun auch die oppositionelle Labour-Party die britische Premierministerin May heraus. Labour-Chef Corbyn will eine Vertrauensabstimmung herbeiführen, um May vorzuführen und womöglich auch zu stürzen. Grund für diesen Schritt sei die Weigerung, das Unterhaus noch vor Weihnachten über ihren Brexit-Deal mit der EU abstimmen zu lassen, sagte Corbyn. Für diesen Deal gibt es keine Mehrheit, trotzdem hält die EU daran fest. Siehe auch
Siehe auch “Vom bestmöglichen zum unmöglichen Deal”
WAS FEHLT:
- Der Rücktritt von M. Selmayr. Den fordert das Europaparlament – einer Entschließung stimmten 71 Prozent der MEP zu. Es geht immer noch um die putschartige Beförderung Selmayrs zum Generalsekretär der EU-Kommission in Frühjahr. Doch der deutsche EU-Kommissar Oettinger (CDU) hat sich vor den deutschen Juristen Selmayr (CDU-nah) gestellt…
Siehe auch “Game over” – mein E-Book über das Ende der “politischen Kommission”. Im Frühjahr hatten sich alle EU-Kommissare für Selmayrs Blitz-Beförderung ausgesprochen – kein einziger wagte Widerspruch..
Holly01
20. Dezember 2018 @ 14:55
Ich denke es ist ein tragbarer Kommentar, wenn ich schreibe:
Die soziale Befriedung Europas und auch Deutschlands erfolg am leichtesten über Notenbankpolitik.
Es macht also Sinn, neben der Etablierung von allgemein gültigen Standards (EU weit) auch die notleidenden Kredite zu kappen.
Das ist geldpolitisch absolut sinnvoll.
Es erzeugt weder ein Geldmengenwachstum, noch eine relevante Vermögensabnahme.
Es nimmt aber sehr viel sozialen Druck und sehr viel Divergenz inner der EU raus.
vlg
Peter Nemschak
18. Dezember 2018 @ 15:55
Warum wollen Sie faule Kredite monetisieren? Das treibt die Inflation. Was bedeutet Sicherheiten neu bewerten? Die Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg war das Ergebnis einer solchen Neubewertung durch den Markt. Wenn es so einfach wäre, wie Sie behaupten und es dabei nur Gewinner gäbe, wäre das alles längst geschehen. Frage: warum gibt es unterschiedlich hohe Risikoaufschäge für Staatsanleihen? Mir scheint eher, dass kein Land für die Schulden eines anderen haften will. Bevor es den Euro gab, wurden wirtschaftliche Ungleichgewichte (unterschiedliche Inflationsraten) durch äußere Abwertung beseitigt. Im Euro erfolgt der Ausgleich durch die schmerzhaftere innere Abwertung, schmerzhafter deshalb, weil Preise und Löhne nach unten unterschiedlich starr sind. Dieser ökonomische Mechanismus lässt sich nur durch transnationale Transfers ausschalten, was aber politisch nicht gewollt ist. Frankreich und Italien täten gut daran eine grundlegende Budgetreform durchzuführen. Der Aufstand der Gelbwesten hat gezeigt, dass aus deren Sicht sie vom Staat zuwenig zurückbekommen, gemessen an dem, was man ihnen an Steuern abnimmt.
Peter Nemschak
18. Dezember 2018 @ 13:16
Die EU wird um eine intelligente Flexibilisierung der Euroregeln nicht herumkommen. Derzeit haften auf Grund der Konstruktion des Euro de facto alle EURO-Mitgliedstaaten solidarisch. Es müssen Schuldenkategorien geschaffen werden, welche eine Solidarhaftung tragen und andere, welche mit einer Individualhaftung des Schuldnerlands verbunden sind. Im Insolvenzfall müssen erstere (Eurobonds) absolute Priorität gegenüber letzteren (einzelstaatliche Staatsanleihen) haben. An Eurobonds führt letztlich kein Weg vorbei. Die Verschuldungsmöglichkeit in Eurobonds wird durch die Euroverschuldungskriterien, die der nationalen Staatsanleihen durch die Disziplin des Marktes erfolgen müssen, weil letztere ungleich stärker als die politische ist. Solche Ideen, die nicht neu sind, werden wieder in den Vordergrund rücken. Inzwischen könnte Frankreich eine grundlegende Steuerreform durchführen. Ob dazu allerdings die politische Kraft Macrons reicht, wird man sehen. Wieder einmal zeigt sich, dass die EU nur so stark ist wie die Summe ihrer nationalen Bestandteile.
Holly01
18. Dezember 2018 @ 13:54
Geld wird aus dem Nichts erzeugt.
Wichtig ist nur die Sicherheit, die bei der Erzeugung hinterlegt wird.
Alles was Sie da schreiben ist im Kern Unsinn.
Schritt 1: Alle EU-Staaten führen den Euro ein. Die EU ist ein homogener Währungsraum.
Schritt 2: Die EZB kauft allen Banken alle Kredite zum Nominalwert ab.
Schritt 3: Die EZB übernimmt durch Schritt 2 alle Sicherheiten.
Schritt 4: Die EZB bewertet die Sicherheiten neu.
Schritt 5: Die EZB gibt die Kredite an die Banken zum Nominalwert (neu) zurück.
Schritt 6: Die Banken übernehmen durch Schritt 5 die harmonisierten Sicherheiten.
Da die EZB nichts anderes ist als die Summe aller Banken (Ihre IBAN ist ihre Kontonummer bei der EZB) plus einer Verwaltungseinheit und einer Kontrolleinheit, ist das alles mit ein paar clicks und etwas Software erledigt.
Man erhält einen harmonischen Währungsraum, mit gleichen Grundlagen.
Wer bei der Umstellung dabei ist, hat es gut.
Wer nicht dabei ist, muss danach hohe Hürden überspringen, um in diesen Mark rein zu kommen.
good bye offshore money *winke winke*
vlg
Holly01
18. Dezember 2018 @ 14:24
Jetzt bin ich etwas überrascht, weil es tatsächlich online gegangen ist 🙂
Also zur sachlichen Abrundung:
Die etwa 10% NPL also Kredit die eigentlich Müll sind, werden selbstverständlich bereinigt.
Die EZB behält diese notleidenden Kredite.
Eine Notenbank kann nämlich innerhalb ihres eigenen Währunsraumes keine Verluste machen.
Die EZB schreibt die einfach gegen Aufrechnung der Sicherheiten ab, vulgo: Bilanzverkürzung.
Bevor nun jemand die schwäbische Hausfrau schreiend durch das Dorf treibt:
Das ist ein völlig normaler Vorgang.
Wir sparen dabei nur den blödsinnigen Gerichtsweg, mit der rechtlichen Feststellung der Zahlungsunfähigkeit.
Den von den Schulden befreiten Marktteilnehmern bleibt natürlich die Bonitätsbeurteilung, das ist quasi das finanzielle Todesurteil.
Es sollte sowieso ein Modus eingerichtet werden, bei dem Kredite quasi abgewickelt werden, sobald unvorhersehbare Risiken eingetreten sind.
Die Banken lassen den gestörten Markt von der Politik feststellen und sind geschützt.
Die Kreditnehmer sollten die Gelegenheit haben, etwas ähnliches für die Lebensrisiken zu haben, was sie dann nicht ruiniert.
Ob die Gesellschaft diese Kredite nun bei den Zinserwartungen abfedert oder man schlicht die Bankbilanz ohne Kompensation verkürzt, muss diskutiert werden. Das ist politischer Willen.
vlg
Thomas
18. Dezember 2018 @ 07:19
EU – Kommissar Oettinger war und ist leider eine äußerst „peinliche Fehlbesetzung“ im Sinne der Vision Vereintes Friedliches Europa.
Holly01
18. Dezember 2018 @ 12:10
Ich finde Hr. Oettinger drückt das deutsche Wesen in einer unnachahmlichen und eindeutigen Art und Weise aus.
Besser kann man das nicht darstellen.
vlg