Zehnte Zinserhöhung: Die EZB läuft Amok
Die Europäische Zentralbank läuft Amok. Trotz mieser Konjunkturdaten und nachlassender Inflation hat sie ihre Leitzinsen zum zehnten Mal in Folge erhöht. Droht nun eine schwere Rezession in Deutschland?
Auf ihrer mit Spannung erwarteten ersten Zinssitzung nach der Sommerpause beschlossen die Euro-Wächter, die Schlüsselsätze trotz der Konjunktureintrübung erneut um einen viertel Prozentpunkt auf 4,5 Prozent zu erhöhen.
Die Zinsen hätten nun ein Niveau erreicht, das zu einer zeitnahen Rückkehr der Inflation auf zwei Prozent beitragen werde, sagte EZB-Chefin Lagarde. Ob damit bereits der Zinshöhepunkt erreicht ist, ließ sie offen. “Wir sagen nicht, dass wir nun am Gipfel sind.”
Nun ja, der Gipfel des ökonomischen Unverstands ist sehr wohl ereicht. Deutschland und die Niederlande stecken schon in der Rezession, Luxemburg nun auch. Erst am Montag hat die EU-Kommission die Prognose nach unten geschraubt.
Inflation der Profite
Doch die EZB ignoriert die miese Wirtschaftslage und geht das Risiko ein, die Konjunktur noch mehr abzuwürgen. Sie läuft Amok und schert sich einen Sch… um die Hinweise, dass die Inflation vor allem auf überhöhte Profite zurückzuführen ist!
Die Zinsentscheidung sei “ein ordentlicher Schlag ins Kontor für die deutsche Wirtschaft”, meint R. Andresen von den Grünen im Europaparlament. “Eine tiefe Rezession der deutschen Wirtschaft wird damit sehr wahrscheinlich.”
An der Börse klingelt dagegen die Kasse. Der Dax drehte deutlich ins Plus…
The ECB hikes and Euro falls. That's markets telling the ECB that it is overtightening and that its hikes are counterproductive. The Euro zone is in the midst of a major adverse shock. Euro should never have returned above parity. Our fair value for EUR/$ remains 0.90… pic.twitter.com/KZrSzNZjcU
— Robin Brooks (@RobinBrooksIIF) September 14, 2023
european
24. September 2023 @ 13:24
Es kommen andere Meinungen auf. Folker Hellmeyer im aktuellen Wahlstreet-Online Podcast über den Vergleich der Zinspolitik mit Japan und die ungebrochene Angebotsinflation, die mit den EZB Mitteln nicht bekämpft werden kann.
https://youtu.be/xJ-D34CmuyU?feature=shared
Und wenn die Zinsen auf 10 Prozent steigen, wird sich an der angebotsseitigen Preistreiberei nichts ändern. WER macht die großen Gewinne? Energie und Lebensmittelkonzerne. Einfach weil sie es können und niemand sie stoppt.
KK
15. September 2023 @ 16:01
@ Karl:
“Sie wollen das essen?”
Man muss nicht alles essen wollen, was man vorgesetzt bekommt. Allerdings wird man manchmal gezwungen, es trotzdem zu schlucken…
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@ Thomas Damrau, european und Monika:
Wahrscheinlich wäre die Inflation sofort beendet, würde man nur noch das verkaufen dürfen, was man tatsächlich (physisch) auch besitzt.
Man müsste Leerverkäufe und am besten auch Warentermingeschäfte verbieten, und der ganze Zockerei mit nichts als Hirngespinsten wäre ein Riegel vorgeschoben.
Monika
15. September 2023 @ 10:59
Alle “gängigen” Wirtschaftstheorien bauen noch auf der Annahme auf, dass das Geld einen Wert darstellt, weil es halbwegs gleichmäßig verteilt ist: …Massen, die konsumieren, Industrielle, die in Materielles investieren und dabei Arbeitsplätze schaffen damit die Massen konsumieren können, und Geld, das auf Anlagemöglichkeiten wartet. Das funktioniert so lange gut, solange Geld in “Materielles” investiert wird und verkonsumiert wird. Nun haben wir aber mittlerweile Unsummen Geld, das nur noch in Hirngespinste investiert werden kann, Geld, das sich aus sich selber “einfach so” vermehrt, eine Art Klon-Geld, das auch nur noch ca. 1% der Weltbevölkerung “gehört”.
Solange diese Leute jedoch als Politiker und Finanzjongleure selbst an den “Hebeln der Macht” sitzen, können sie sich -auch mit dem Nachdruck übelster militärischer Gewaltanwendung- im Glauben halten die “Kings of the World” zu sein.
Drum müssten eigentlich alle Staaten, denen ein halbwegs zivilisiertes Überleben ihrer Bevölkerungen am Herzen liegt, sämtliche Schulden-Bremsen lockern, für Infrastruktur (Materielles) und Soziales mehr Löhne, mehr Konsum) ausgeben was irgend sie können, weil über eher kurz als lang die Wertlosigkeit dieses Klon-Gelds offenbar und wirksam wird.
Eine weltweite Neu-Organisation des Geld-Markts ist erforderlich, nicht eine weitere Runde Sozialkürzungen in den einzelnen Staaten, um das unfruchtbare Klon-Geld zu päppeln, das auf Servern in der Karibik oder sonstwo unproduktiv vor sich hin “lagert” und dabei den größten Teil der Weltbevölkerung vorsätzlich verarmt.
Aber dieses 1% fürchtet dies genau und investiert “materiell” zielgerichtet in Militärequippment, um für die kommenden sozialen Auseinandersetzungen “gerüstet” zu sein. Und trotzdem: irgendwann ist überall “der Saft” raus….
Thomas Damrau
15. September 2023 @ 07:30
Zentralbanken sind Drogen-Dealer. Spätestens nach der Bankenkrise 2007 wurde billiges Geld als Aufputschmittel für die Wirtschaft großzügig verteilt. Was als kurzfristige Maßnahme sinnvoll ist, richtet als Dauer-Medikation enorme Schäden an.
Ich würde z.B. behaupten, dass die Niedrigzinspolitik die Immobilienpreise durch die Decke gejagt hat:
– Wo reine Geldlage wenig Profit abwirft, sucht sich das Kapital andere Anlagemöglichkeiten – Aktien und vor allem Immobilien.
– Bei niedrigen Zinsen lohnt es sich, einen Kredit aufzunehmen, eine Immobilie zu erwerben (oder zu bauen) und mit den erzielten Mieteinnahmen den Kredit abzubezahlen – oder im Zweifelsfall gar nicht erst zu vermieten und lediglich auf kontinuierliche Wertsteigerung zu spekulieren.
Da der verfügbare Baugrund (insbesondere in Deutschland) endlich ist (und als ökologischen Gründen auch nicht massiv erweitert werden sollte) steigen erst einmal die Grundstückpreise und in der Folge die Preise für den umbauten Raum: Hier im Großraum Stuttgart liegt der Quadratmeter-Preis für eine neue Stadt-nahe Wohnung bei € 7000. Wer plant eine solche Immobilieninvestition in 30 Jahren durch Mietnahmen wieder hereinzuholen, müsste eine Monatsmiete von grob €20 pro Monat und Quadratmeter (€ 7000 / 360 Monate) verlangen. Am Ende muss der Staat Mieten und Bauen massiv subventionieren, um die schlimmsten Verwerfungen zuzuschütten.
Und jetzt wird der Junkie auf kalten Entzug gestellt: Anstatt langsam (in den letzten zehn Jahren) die Zinsen anzuheben, wird in Panik kurzfristig der Stecker gezogen. Dabei hat die Inflation vermutlich wenig mit billigem Geld zu tun, sonst wäre die Inflation schon seit dem Beginn der Nullzins-Politik durch die Decke gegangen. Aber das neu gedruckte Geld stärkte ja nicht die Massenkaufkraft, sondern wurde als Kapitalgewinn abgeschöpft (und in die Karibik verbracht): So entsteht keine Inflation. Es bedurfte erst einer Verknappung von Energie, Rohstoffen und Vorprodukten, um die Preise in die Höhe zu treiben. Und diese Inflation holt nicht das Geld aus der Kabaribik zurück, sondern reduziert die Kaufkraft und damit die Nachfrage: Der Weg in die Rezession. Der Staat müsste eigentlich anti-zyklisch agieren und die Nachfrage stärken.
Aber in Zeiten, in denen das gesamte politische Establishment (einschließlich der Grünen) wirtschaftsliberal und daher die Angebots-orientiert denkt, werden (Unternehmens-)Steuern gesenkt und Subventionen an Konzerne verteilt werden.
european
15. September 2023 @ 13:06
@Thomas Damrau
Da ist sicherlich etwas dran. Hinzu kommt noch, dass insbesondere nach der Finanzkrise der Trend zum Betongold enorm zugenommen hat. Immobilienpreise behalten meistens zumindest einen relativen Wert, waehrend Aktien und andere Papiere durchaus mal ins bodenlose stuerzen koennen, wie in der Finanzkrise erlebt.
Man darf auch nicht vergessen, dass das “Kapital, das scheue Reh” international unterwegs ist. Dadurch gelangen hochpreisige Immobilien gern in Eigentum von reichen Landesfuersten oder aehnlichem. Die brauchen keinen Kredit oder niedrige Zinsen. Hier in UK werden solche Haeuser gern von reichen Scheichs aus Dubai oder VAE gekauft. In London gibt es ganze Strassenzuege mit Villen, in denen niemand wohnt. Sie werden gekauft, 2 Jahre behalten und dann mit Gewinn wieder wieder verkauft, ohne dass jemals jemand dort einzieht. Der Sueden Englands hatte durchaus Jahre mit 10prozentiger Preissteigerung bei bestimmten Immobilien. Insgesamt stehen hier in UK ca 1 Mio Haeuser komplett leer.
Im Moment machen die Energie- und Lebensmittelkonzerne die meisten Gewinne, einfach weil sie es koennen. Sie koennen die Preise willkuerlich festsetzen und niemand hindert sie daran. Ein Hoch auf die Italiener. Die schoepfen zumindest einen Teil der Energiegewinne vor Ort ab, indem sie den Abzug am Umsatz bemessen. Also keine Chance auf Verschiebung der Gewinne rund um den Globus.
Helmut Höft
15. September 2023 @ 21:58
@ Thomas Damrau, @ european
Es macht Spaß Eure Kommentare zu lesen! „Ja, dess kimmt von dess, gell“! Das 14-fache des weltweiten BIP – oder isses schon das 17-fache, who cares? – kreist im Finanzcasino … das muss man sich erst einmal reinziehen! Und überall sind Staatsschulden das Thema # 1 … Privat ist die Pest, die den Planeten umbringt!
Das alles hängt einfach daran, dass nur wenige die Natur des Geldes kennen und wissen woher es kommt (vom Staat), wohin es geht (zum Staat und in privaten Reichtum – Staatsdefizit = „Privatprofizit“) und was es dazwischen macht (Wirtschaftstätigkeit erzeugen und anregen) – siehe hier (div. Einträge). Aus dem Grundmissverständnis heraus entsteht dann ein dysfunktionales Gebilde, welches zur Subvention des Kapitals, der Banken und indirekt der Börsen führt … die restlichen 100 Seiten schenken wir uns.
Last but not least, Hyman Minsky: „Stabilizing an Unstable Economy.“ (Instabilität und Kapitalismus.). Interessant war ja das auf und ab Gestöne 2007: „Is this a Minsky-Moment?“ „Do we have a Minsky-Meltdown?“ etc., etc. (auch hier schenken wir uns hundert Seiten)
Fazit: Das Kapital weiß wo’s lang geht … und lenkt die Bahnen sehr zielstrebig, die Politniki und die Ökonomiki folgt!
KK
14. September 2023 @ 17:26
“Sie läuft Amok und schert sich einen Sch… um…”
Endlich lässt der Blog hier auch sprachlich unzweifelhaft erkennen, was uns die EU und ihre Institutionen täglich vorsetzen…
Karl
15. September 2023 @ 09:15
@ KK “sprachlich unzweifelhaft” -> Sie wollen das essen?