Wo Cameron recht hat
Der britische Premier Cameron hat mit einem EU-Austritt gedroht, falls sich die Union nicht spürbar verändert. Brüssel, Berlin und Paris haben prompt reagiert – und vor einem “Spiel mit dem Feuer” gewarnt. Dabei hat Cameron einige wichtige Punkte angesprochen, die die Berufseuropäer gerne verschweigen.
Vorweg: in diesem Beitrag geht es nicht darum, die bizarre britische Taktik zu kommentieren. Das habe ich bereits an anderer Stelle getan. z.B. hier (“Camerons Drohung”). Ich will auch nicht über die Folgen eines “Brexit” spekulieren; dazu habe ich mich bereits bei “Arte” geäußert (siehe “Europa ohne England?”)
Mir geht es erstmal nur darum, “à chaud” einige Aspekte von Camerons Rede zu präsentieren, die ich für richtig oder wichtig halte. Denn die Medien werden sich sofort auf die Reaktionen stürzen, wobei die Diskussion erfahrungsgemäß zu kurz kommt. Der Wortlaut der Rede, aus der ich zitiere, findet sich hier.
1. Problemaufriss
First, the problems in the Eurozone are driving fundamental change in Europe.
Second, there is a crisis of European competitiveness, as other nations across the world soar ahead. And third, there is a gap between the EU and its citizens which has grown dramatically in recent years. And which represents a lack of democratic accountability and consent that is – yes – felt particularly acutely in Britain.
If we don’t address these challenges, the danger is that Europe will fail and the British people will drift towards the exit.
Richtig, die “Reform” der Eurozone wird ganz Europa verändern. Richtig, es gibt ein Wettbewerbsproblem (wenn auch ein anderes, als Cameron & Co. meinen – siehe dazu “Das Phantom der Euroretter”). Richtig, die Kluft zwischen EU und Bürgern ist gewachsen – und sie birgt tatsächlich das Risiko eines Scheiterns dieses europäischen Projekts.
2. Frustration
People are increasingly frustrated that decisions taken further and further away from them mean their living standards are slashed through enforced austerity or their taxes are used to bail out governments on the other side of the continent.
We are starting to see this in the demonstrations on the streets of Athens, Madrid and Rome. We are seeing it in the parliaments of Berlin, Helsinki and the Hague.
And yes, of course, we are seeing this frustration with the EU very dramatically in Britain.
Interessant, aber hier vermischt Cameron die Proteste gegen die Austeritätspolitik und den Frust der vermeintlichen Zahlmeister. Und was haben die Briten damit zu schaffen? Sie sind ja nicht im Euro und können ihr Pfund nach Belieben abwerten (siehe dazu auch “Die nächste Schlacht”).
3. Neues Denken
The biggest danger to the European Union comes not from those who advocate change, but from those who denounce new thinking as heresy. In its long history Europe has experience of heretics who turned out to have a point.
Nun ja, Cameron steht nicht gerade für neues Denken – aber es stimmt, dass jede Kritik an der EU schnell als Häresie verdammt wird. Dies ist in der Tat eine Gefahr. Dabei gibt es genügend Alternativen – z.B. hier
4. Machtverlust
My third principle is that power must be able to flow back to Member States, not just away from them. This was promised by European Leaders at Laeken a decade ago.
It was put in the Treaty. But the promise has never really been fulfilled. We need to implement this principle properly.
Ein richtiger Punkt, ein falscher. Es stimmt, dass die EU-Staaten immer mehr Macht verlieren. Daran ist aber nicht Brüssel schuld, sondern der globalisierte Kapitalismus. Brüssel ist allerdings schuld daran, dass die EU den Machtverlust nicht kompensiert. Das beste Beispiel ist die Währungsunion, wo alle Mitglieder ihre Souveränität aufgeben, aber nur wenige etwas hinzugewinnen…
5. Demokratie
My fourth principle is democratic accountability: we need to have a bigger and more significant role for national parliaments.
There is not, in my view, a single European demos.
It is national parliaments, which are, and will remain, the true source of real democratic legitimacy and accountability in the EU.
It is to the Bundestag that Angela Merkel has to answer. It is through the Greek Parliament that Antonis Samaras has to pass his Government’s austerity measures.
Stimmt, es gibt (noch) kein europäisches Volk. Eine ganze Zeitlang werden die nationalen Parlamente noch wichtiger sein als das EU-Parlament. Allerdings wird die “Souveränität” in Athen anders gelebt als in Berlin. Solange die Griechen Spar- und Reformdiktaten unterworfen sind, kann das Europaparlament das einzige demokratisch legitimierte Gegengewicht sein. Ist es aber (noch) nicht. Eine Renationalisierung bringt in dieser Lage nichts – außer vielleicht für Cameron…
Beate
23. Januar 2013 @ 21:31
Die liebe Wettbewerbsfähigkeit.
Ständig werden ‘alte’ Produkte neu konstruiert.
Das schafft Produktivitätssteigerungen in der Industrie von 3 – 4% jährlich.
Ich sehe keine neuen Silberstreifen (Produkte) am Horizont.
Woher soll das Wachstum kommen?
Nur wenn die 10 Millionen Hungerlöhner in Deutschland wieder in die Wohlstandsgesellschaft reintregiert werden wird die deutsche Wirtschaft, aus sich heraus, wieder wachsen.
Ist dem deutschen Staat , z.B. den Bundestagsabgeordneten bekannt, welche Deutschen riesige Auslandsvermögen zusammenraffen vermochten.
Wie reagieren die Rentner, deren Renten seit 2004 um 10% gekürzt wurden, darauf.
Ist den Rentnern bewusst, dass die Kürzung ihrer Renten, die Bildung grosser Privatvermögen ermöglicht hat?
Johannes
23. Januar 2013 @ 19:26
Zum ersten Mal bin ich mit Ebo mehr oder weniger einer Meinung, was für ein Tag. Camron hat in vielem recht, leider stellt sich Brüssel, Berlin und Paris taub. Reformen in Brüssel, Volksabstimmungen wie für Euro-Bonds, nicht in Sicht, die Elite hat nichts gelernt und Demokratie/Eigenverantworung/Transparenz passt ja seit der Euro-Krise überhaupt nicht mehr zu Europa.