Vier Zahlen, ein Ziel
Die Neuverschuldung in der Eurozone geht zurück. Nach Angaben von Eurostat hat sie 2013 erstmals wieder die Zielmarke von 3,0 Prozent erreicht. Höchste Zeit, die Austeritätspolitik zu lockern – denn andere ökonomische Kennzahlen fallen alarmierend schlecht aus.
Schauen wir uns einmal folgende Daten aus der Eurozone an:
- Neuverschuldung: 3,0 Prozent – Maastricht-Ziel wird damit wieder eingehalten
- Inflation: 0,7 Prozent (Februar 2014) – EZB-Ziel wird damit klar nach unten verfehlt
- Wachstum; 0,3 Prozent (4. Quartal 2013) – deutlich unter dem Potential, auch weniger als in nicht Euro-Ländern wie UK
- Arbeitslosigkeit: 12,1 Prozent (November 2013) – ein Allzeithoch, Besserung nicht in Sicht, Strategie 2020-Ziel klar verfehlt
Auf den ersten Blick fällt auf, dass nur ein einziges EU-Ziel erfüllt wird: Die Neuverschuldung liegt wieder bei der Zielmarke von maximal 3 Prozent.
Alle anderen Ziele werden klar verfehlt. Die deflationäre Austeritätspolitik hat Wachstum und Inflation gedrückt und die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellen lassen.
Eigentlich liegt auf der Hand, was jetzt zu tun wäre: Den Sparkurs lockern. Und zwar auf breiter Front – so lange, bis die Deflationsgefahr gebannt ist und eine Wende am Arbeitsmarkt kommt.
Das würde der EZB helfen, die bisher vergeblich mit der Deflation kämpft. Und es würde die Neuverschuldung schneller senken – denn mehr Wachstum bedeutet mehr Steuereinnahmen.
Doch die neue, in der Eurokrise eingeführte “Economic Governance” steht dem entgegen. Sie betrachtet keine aggregierten Daten der gesamten Eurozone, sondern nur einzelne Länder.
Sie zielt nicht auf eine Optimierung des Outputs, sondern nur auf “Stabilität”. Und sie kennt keine verbindlichen Ziele für Wachstum und Arbeitslosigkeit, sondern nur für die Verschuldung.
Völlig idiotisch! Deshalb muss sich Frankreich jetzt tiefer in die Krise sparen, und Deutschland kann seine “Konsolidierung” ungestraft fortsetzen, obwohl Investitionen dringend nötig wären!
Warum wagt es kein EU-Politiker, diese einfachen ökonomischen Tatsachen auszusprechen? Wieso geht der Europawahlkampf an diesem Thema bisher völlig vorbei?
Müssen wir immer noch Angst vor den Märkten haben? Nein, selbst Portugal kommt wieder günstig an frische Kredite, auch Griechenland wird das Geld hinterhergeworfen.
Das Vertrauen der Anleger ist zurück, das Vertrauen der Bürger schwindet. In dieser Lage kann es doch wohl nur ein Ziel geben: den Abbau der Massenarbeitslosigkeit – oder?
Peter Nemschak
26. April 2014 @ 11:19
Ich dachte, Austeritätspolitik heißt, dass die Staatsausgaben sinken. Tun sie das? Bitte um Aufklärung, wie das ideologische Gespenst Austeritätspolitik definiert wird. Was ist das Gegenteil davon?
thewisemansfear
24. April 2014 @ 19:43
Wenn wir eines nicht schaffen werden, dann aus dieser Schuldenkrise einfach wieder herauszuwachsen. Das ging nur mit zunehmender Abkopplung vom Ressourcenverbrauch, d.h. in einer zukünftigen noch stärker ausgeprägten Dienstleistungsgesellschaft ziehen wir uns dann gegenseitig das Geld aus der Tasche. Das nimmt ja heutzutage schon groteske Züge an.
Produktivitätsgewinne wird es wohl auch weiter geben, aber auch da ist irgendwo eine Grenze gesetzt. Sind wir so technik-gläubig, dass wir darauf vertrauen, dass da mal wieder was bahnbrechend neues entwickelt wird?
Klar, den Karren wieder anzuschieben ginge auch so relativ simpel. Man muss nur ganz oben die Kohle wegnehmen und ganz tief unten wieder ins System geben – nennt sich Umfairteilung 😉
Die Masse unten ist ja eben nicht mehr solvent genug, sich neu zu verschulden. Und ohne Nach- und Neuschuldner funktioniert das ganze System einfach nicht. Das ist der Zwang aus der Zinswirtschaft.
popper
24. April 2014 @ 19:26
Allein mit einer Lockerung beim sogenannten “Sparen” ist noch gar nichts erreicht. Denn das ändert doch nichts am eingetretenen Kaufkraftschwund. Die Leistungsbilanzdefizite können nur dann zurückgeführt werden, wenn Deutschland seinen Wettbewerbswahn aufgibt und seine Löhne drastisch erhöht. Geschieht das nicht kommt die EWU nicht aus der Deflation. Die Wettbewerbsfähigkeit auf gleichem Niveau wird den Rest der Welt nicht animieren, sich für die Dumpfbacken der Eurozone zu verschulden damit die EWU aus der Rezession kommt. Ganz im Gegenteil, die werden ihre Währungen abwerten und das weiter so mit Exportüberschüssen verhindern.
winston
24. April 2014 @ 12:56
Für Ebo, hoffe Sie sind des französischen mächtig.
Gruss.
http://russeurope.hypotheses.org/2179
ebo
24. April 2014 @ 12:58
Merci, Mr. Sapir ist mir ein Begriff…
zustimmender leser
24. April 2014 @ 12:27
Vielleicht überblicke ich es auch nicht vollkommen. Aber für mich waren die “Schuldenbremsen” immer etwas ähnliches wie die “Investitionsschutzabkommen”, wie sie jetzt in TTIP enthalten sind: Also ein Hebel, eine bestimmte (neoliberale) Politik tatsächlich “alternativlos” zu machen, indem man künstlich erst entsprechende “Sachzwänge” schafft, und dann bedauernd sagt, man könne ja leider keine sozialere, ökologischere oder demokratischere Politik machen, weil dem ja nun Gesetze dagegenstehen und man sonst verklagt wird.
Ein Staatshaushalt ist nicht der Haushalt einer “schwäbischen Hausfrau”, die immer sparen will und keine Schulden macht (nebenbei bemerkt ist das Lebensmodell “schwäbische Hausfrau” nun auch nicht gerade das attraktivste…). Das ist Populismus pur und eine unterkomplexe Darstellung der Realität. Natürlich waren auch die Schuldenexzesse der 70er keine Lösung. Aber hier übergeben Politiker mutwillig das Primat der Politik an Konzerne. Und mittlerweile glaube ich da nicht mehr an reine Dummheit oder Naivität oder reines Parteisoldatentum, das ist wohl oft durchaus Ideologie und gewollt. Die Politik sagt dann quasi selbst, dass der Markt es doch besser regelt als die Politik – also eine Bankrotterklärung. Und diese Politik kommt ja auch nicht aus den Parteien selbst (so wie vorgesehen im demokratischen Modell), sondern von “Experten” und Thinktanks, denen man hörig ist, so wie die Agenda2010 der SPD eben nicht aus den Ortsvereinen kam, sondern von Bertelsmann und Konsorten, letztlich also von Konzernen und Oligarchen. Die interessante Frage ist natürlich, wie diese es schaffen, ihre Interessen als Mehrheitsinteressen zu verkaufen und wählen zu lassen, denn das sind ja andere Interessen als die von denen, die das dann erst wählen und später jammern.
Arnould
24. April 2014 @ 11:58
Deutschland geht kaputt
7,2 Milliarden Euro fehlen jedes Jahr für Schienen, Straßen und Schleusen. Das Fundament des Wohlstands bröckelt
http://www.zeit.de/2013/26/infrastruktur-schienen-strassen
zustimmender leser
24. April 2014 @ 12:29
Dafür las man gestern von “Rekordsteuereinnahmen” und einem “Geldsegen” in den Medien. Es wird schon immer grotesker. Wahrscheinlich brauchen wir das ganze Geld nun für die Ukraine, da muss die Infrastruktur eben mal zurückstehen.
georg
24. April 2014 @ 11:49
was denn jetzt
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/04/23/trotz-milliarden-rettungen-schulden-steigen-in-der-euro-zone/
ebo
24. April 2014 @ 11:51
Die Neuverschuldung sinkt, der Schuldenberg steigt weiter – das ist kein Widerspruch. Erst bei kräftigem Wachstum wird auch die Schuldenquote, die ja ein Verhältnis zum BIP ist, runter gehen. Im übrigen sind die DWN mit Vorsicht zu genießen…
Flo
24. April 2014 @ 14:05
Warum sind die DWN mit Vorsicht zu genießen? Gibt es Beispiele?
Es wird kein kräftiges Wachstum mehr geben in Europa, da dieses Geldsystem, nicht nur in Europa, an sein natürliches Ende gekommen ist! Informieren Sie sich über den Zins und wo der herkommt.
http://www.bankofengland.co.uk/publications/Documents/quarterlybulletin/2014/qb14q1prereleasemoneycreation.pdf