Unter Draghi wuchs die Wirtschaft, aber auch die Ungleichheit
Er möchte gern als Euro-Retter in die Geschichte eingehen: EZB-Präsident Mario Draghi zelebriert seinen Abschied. Doch seine umstrittene Geldpolitik hat auch die Ungleichheit gefördert.
Mit seinem “Whatever it takes” hat Draghi 2012 der Spekulation gegen den Euro Einhalt geboten und die Eurokrise leidlich in den Griff bekommen. Doch danach nahm er ein neues Ziel ins Visier: die drohende Deflation.
Mit Nullzinsen und massiven Anleihe-Kaufprogrammen versuchte die EZB, die Wirtschaft zu stimulieren und die Inflation wieder in Richtung der Zielmarke von zwei Prozent zu treiben. Doch das gelang ihm nicht.
Stattdessen hat die EZB nolens volens die Blasen an den Anleihen-, Aktien- und Immobilienmärkten gefördert, große Unternehmen mit Geld gepampert und das Geschäftsmodell vieler Banken und Versicherungen zerstört.
In der Folge ist die Ungleichheit weiter gewachsen .. Frederik Engholm, Chefstratege beim Finanzdienstleiser Nykredit in Kopenhagen: “Es sieht sehr danach aus, als ob davon vor allem die Reichen profitieren – und Ungleichheit ist bereits ein Thema in der aktuellen Entwicklung”.
Viele Ökonomen sehen es ähnlich. Die ulralockere Geldpolitik ist ein Konjunkturprogramm für die Reichen, nicht für kleine Sparer oder Arbeitslose. Wenn sie Investitionen fördert, dann nicht in die Realwirtschaft, sondern in spekulative Blasen.
Schuld daran ist das antiquierte EZB Mandat, das die Geldpolitik einzig und allein auf ein Inflationsziel ausrichtet. Warum fügt man nicht Wachstum und Wohlstand für alle hinzu? Das würde doch gut zum neuen “sozialen Pfeiler” der EU passen!?
Ach ja, die Bundesbank ist dagegen. Und die EU-Verträge lassen sich kaum noch ändern. Wer es versucht, muss mit einem deutschen Veto rechnen…
Siehe auch “Graf Draghila – es geht wieder los”
Peter Nemschak
27. Oktober 2019 @ 11:22
Die Niedrigzinspolitik war kein ausschließlich europäisches Phänomen. Die niedrige Inflationsrate in den entwickelten Ländern hat mehrere Ursachen, u.a. demografische, Auswirkungen der Globalisierung und technologische.
zykliker
26. Oktober 2019 @ 13:06
seit der Mensch seine Heimat in den Baumkronen verlassen hat, um in der Savanne ein „aufrechtes “ Leben zu entwickeln, macht er auch eine „nicht-physiologische Evolution“ zum „Kulturwesen“ durch. Dass diese nur hauchdünne Firnis immer wieder durch Rückfälle in die Barbarei gefährdet ist, zeigen zahlreiche politische und individuelle Beispiele.
In unserer westlichen Zivilisation sind einige Tatbestände des Mißbrauchs geächtet und werden, so sie ruchbar werden, abgeurteilt.
Natürlich hat die Raffgier nur in dieser kurzen Epoche das Etikett „neoliberal,“ könnte übergreifend einfach als Teil der barbarischen Urnatur des Menschen abgetan werden. Aber es ist schon eigenartig, wie interessengesteuert der Mißbrauch wirtschaftlicher, politischer oder einfach nur mentaler Macht zum Nachteil anderer positiv ideologisiert wird, während anderer Mißbrauch als das sanktioniert wird, was er auch ist.
Natürlich ist die Abgrenzung zwischen Unternehmergeist, Gewerbefleiß (Adam Smith) auf der einen und Raffgier auf der anderen Seite extrem schwierig. Ich hoffe da auf einen Diskurs klügerer Köpfe als Sie und ich.
https://www.zitateundsprueche.com/die-welt-hat-genug-fuer-jedermanns-beduerfnisse-aber-nicht-fuer-jedermanns-gier/
Allerdings fürchte ich auch, dass die Übernutzung der Welt durch „homo sapiens“ unseren Diskurs demnächst zum „Luxusproblemchen“ degradieren wird.
Peter Nemschak
26. Oktober 2019 @ 09:57
@Zykliker Die Raffgier ist nicht neoliberal sondern zutiefst menschlich und hat es ebenso wie Ressentiments und Neid im Gewand der Gerechtigkeit immer gegeben, auch unter feudalen sowie national- und realsozialistischen Bedingungen. Dass Menschen auf finanzielle Anreize stark regieren, sollte sich die Klimapolitik zunutze machen. Sie sind wirksamer als der moralisch erhobene Zeigefinger. Transparenz, Maßnahmen gegen die Aneignung des Staates durch Partikularinteressen und Wettbewerb sind plumpem Dirigismus vorzuziehen.
Peter Nemschak
26. Oktober 2019 @ 09:40
Wer in den letzten 10 Jahren monatlich 100 Euro in einen breit gestreuten weltweit investierenden Aktienfonds gesteckt hat, konnte sich über einen beachtlichen Vermögenszuwachs erfreuen. Diese Möglichkeit stand auch kleinen Sparern offen. Durch den Sozialstaat ist im Unterschied zu den USA die Ungleichheit zwischen dem oberen und unteren Drittel der Einkommenspyramide gemildert worden.
zykliker
25. Oktober 2019 @ 17:17
weitgehende Zustimmung, aber:
die lockere Notenbank-Politik begünstigt zwar auch die Ungleichheit, aber sie ist nicht deren primäre Ursache. Zunächst ist da der in der Realwirtschaft grassierende massive Machtmißbrauch zu Ungunsten der Schwachen in der Gesellschaft (Güter- und Arbeitsmärkte!). Ausgehend davon führt die schwindende Kaufkraft von immer mehr Einkommensschwachen zu einer auch für die Unternehmen prekären Nachfrageschwäche.
Dieser versuchen nun die Notenbanken mittels Geldschwemme entgegen zu wirken. Aber das ist für die Gesamtwirtschaft, wie wenn man einem Hungernden nur Wasser zu trinken gibt: es füllt für kurze Zeit den Magen, sättigt aber nicht. Deshalb warten wir auch vergeblich auf den von der Notenbank-Politik erhofften Aufschwung, statt dessen verhindert diese nur die eigentlich immer wieder zwangsläufig eintretende zyklischen Korrektur, auch mit Pleiten und Bereinigung nicht mehr bedienbarer Schulden.
Mit etwas Gutem Willen könnte man also die Notenbank-Politik auch als Überdruck-Ventil verstehen, das die sozialen Folgen der obszönen neoliberalen Raffgier abmildert.
Dass die so aus dünner Luft erzeugten Geldmengen der Realwirtschaft nicht wirklich helfen, ergibt sich aus der fehlenden Kaufkraft der “unteren xx%”, und dass sie deshalb in den Finanz-Casinos der ohnehin schon “oberen xx%” herumvagabundieren, ist dann das zwangsläufige Ergebnis.
Neoliberale Ideologen gehen nun mit der Anschuldigung hausieren, die Notenbank-Politik sei die einzige Ursache der Ungleichheit und illustrieren das gerne mit anschaulichen Beschreibungen des Geldschöpfungsprozesses. Welche Heuchelei!
Merke: Korrelation ist nicht gleich Kausalität!
übrigens: Die amerikanische FED hat den erweiterten Auftrag: Stabilität + Vollbeschäftigung.
Was nützt das, wenn die Arbeitsmarkt-Statistik so hinmanipuliert wird, dass ca 100 Mio US-Bürger als “not in labour force” aus der Arbeitslosen-Statistik “herausgefallen werden”, also quasi als Menschen überhaupt nicht mehr existieren.