Unsicherheit in der Nato
Eklat bei der Nato: Finnland und Schweden haben ihren Mitgliedsantrag eingereicht. Doch die Türkei hat die anstehenden „historischen“ Beitritts-Gespräche sofort blockiert. Mit der Einheit im Bündnis ist es offenbar doch nicht so weit her – mit der Sicherheit auch nicht.
Kremlchef Putin hat sich getäuscht – die Nato ist stärker und entschlossener denn je: So lautet der offizielle Spin in Brüssel. Er mischt sich mit einer gehörigen Portion Schadenfreude. Statt die Nato von Russland fernzuhalten, rücke sie ihm nun, mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens, noch mehr auf die Pelle.
Tatsächlich weitet sich bald die Landgrenze zu Russland aus – um satte 1300 Kilometer, die Finnland mit seinem östlichen Nachbarn teilt. Doch das bedeutet nicht unbedingt einen Gewinn für die Nato. Im Gegenteil: Die neue Nordfront wird größer – und schwerer zu sichern.
Auch sonst sieht es nicht gut aus mit dem Sicherheitsversprechen der weltgrößten Militärallianz. Der Ukraine hat sie nur Unglück gebracht. Ohne den Nato-Beitrittswunsch in Budapest 2008 wäre es womöglich nie zum Krieg mit Russland gekommen, wie eine Expertin sagt.
Es war eine Entscheidung von US-Präsident George W. Bush und Vizepräsident Dick Cheney, und zwar nicht nur gegen den Rat der Geheimdienste – ich war ja damals National Intelligence Officer und weiß es daher mit Sicherheit –, sondern auch gegen den Rat vieler wichtiger Beamter, die den Schritt für einen Fehler hielten. Das Resultat ist bekannt: Wir bekamen die schlechteste aller vorstellbaren Lösungen.
Fiona Hill in Karenina
Aus dem Ukraine-Desaster hat die Nato bis heute keine Lehren gezogen. Man tut einfach so, als habe man damit nichts zu tun – und holt sich neue Mitglieder.
Doch selbst Schweden und Finnland können den nun geplanten und mit viel Vorschußlorbeeren gefeierten Beitritt nicht genießen. Denn die Türkei hat ein Veto eingelegt.
Beide Kandidaten wollten mit der Unterstützung von „Terrororganisationen“ weitermachen, aber gleichzeitig die Zustimmung der Türkei für eine Nato-Mitgliedschaft, bemängelte Sultan Erdogan. „Das ist milde ausgedrückt ein Widerspruch.“
Das sind wirre Worte, mit denen Erdogan wieder einmal seine islamistische und imperialistische Politik im Nordirak und in Syrien bemänteln will. Aber sie könnten eine Nato-Krise einlösen. Denn niemand weiß, was Erdogan wirklich will.
Geht es um die Auslieferung von kurdischen Aktivisten? Um Waffen aus den USA? Um ein Bekenntnis der Allianz zum türkischen Einmarsch in den Kurdenregionen?
Klar ist nur eins: Mit der Einheit im Bündnis ist es offenbar doch nicht so weit her. Der „Hirntod“, den Frankreichs Staatschef Macron vor Jahren mit Verweis auf die Türkei diagnostizierte, ist immer noch nicht überwunden.
Denn der türkische Sultan sorgt weiter für Unsicherheit – in der Nato und on the ground, etwa in Griechenland. Auch dort hat sich die Lage nicht entspannt, im Gegenteil: Der griechische Luftraum wird von der Türkei sogar noch öfter verletzt als der schwedische von Russland…
Art Vanderley
19. Mai 2022 @ 20:44
Ist das wirklich entscheidend, ob Finnland oder Schweden in der NATO sind?
Ein Angriff wäre der dritte WK, auch ohne Mitgliedschaft der beiden Länder, darüber sind sich (hoffentlich) alle Beteiligten klar.
Aus Sicht der beiden Länder ist der Wunsch verständlich, daran ist Putin selber schuld und das weiß er auch, mit Sicherheit war diese Entwicklung keine Überraschung für ihn.
Am Konflikt, der hinter der jetzigen Krise steckt, hat die NATO allerdings fleißig mitgewirkt.
ebo
19. Mai 2022 @ 21:06
Nein, entscheidend ist, wie die Nato mit ihrem inneren Schweinehund umgeht, vor allem als Werteunion 😉
Art Vanderley
20. Mai 2022 @ 20:22
Da wird noch eine Zeitlang viel gezetert und geschrien werden und dann wird plötzlich, still und heimlich, akzeptiert werden, daß man selber Fehler gemacht hat, und sei es nur hinter verschlossenen Türen.
Alexander
19. Mai 2022 @ 22:27
@Art Vanderley: Ich finde das Video gerade nicht, aber wenn ich das nicht geträumt habe, dann sagte Klaus von Dohnanyi tatsächlich, dass der Bundeskanzler Helmut Schmidt ihm einst mitgeteilt hat, dass er (Schmidt) die BRD im Falle eines Kriegsausbruchs sofort für neutral erklären würde! (Ich hatte an der Stelle Probleme mit meiner Kinnlade)
Genauso gab es immer Zweifel, ob die USA im Ernstfall wirklich bereit sind, ihr Land für Europa zu opfern oder spätestens nach einer Eskalation bis hin zu einer nuklearen Verwünstung Europas zu einer eiligen diplomatischen Lösung greifen würden. Von daher spielt es auf dem geopolitischen Schachbrett schon eine Rolle, wer zumindest angibt, für ein anderes Land die eigene Zerstörung zu riskieren!
Art Vanderley
20. Mai 2022 @ 20:32
QAlexander
“Kinnlade” , wär mir wohl auch verrutscht, ob er auch so gehandelt hätte, wer weiß.
Ein Gespenst geht (erneut) um in Europa, der begrenzbare Atomkrieg.
In den 80ern noch mit dem theoretischen Bauernopfer Europa, heute vielleicht eher mit mininukes, die auf das Gefechtsfeld begrenzbar sein sollen. Auch diese Vorstellung wird das Zeitliche segnen, weder das eine noch das andere Szenario ist berechenbar, ein Atomkrieg ist nicht führbar.
Hinzu kommt noch das Problem der Strahlung- ein verwüstetes Europa könnte alleine schon reichen, um die Menschheit durch Strahlung zu vernichten, mindestens aber wäre es das sichere Ende der Zivilisation, und zwar weltweit, und damit auch das Ende der USA.
Armin Christ
19. Mai 2022 @ 18:41
Die NATO ist ein Angriffsbündnis, da braucht man nichts umzudefinieren.
ebo
19. Mai 2022 @ 21:08
Können wir uns auf „expansives Defensivbündnis zu Diensten eines Imperiums“ einigen?
Armin Christ
20. Mai 2022 @ 07:09
Eine wahlich schöne Formulierung !
Alexander
19. Mai 2022 @ 10:09
Weil im Text George W. Bush erwähnt wurde:
https://twitter.com/kenklippenstein/status/1527095936811409410
Überhaupt nicht lustig!
Thomas Damrau
19. Mai 2022 @ 09:09
Die Diskussion um die Erweiterung der NATO nimmt groteske Züge an. Ein Interview des DLF mit dem österreichischen Außenaußenminister vom 18. Mai ( https://www.deutschlandfunk.de/neutralitaet-oesterreich-aussenminister-schallenberg-100.html ) wurde mit der Frage eingeleitet, ob Österreich sich noch militärische Neutralität „leisten“ könne.
Als schlagendes Argument wurde von der Moderatorin angeführt, dass Wien ja in Reichweite russischer Atomraketen liege. Ob es da nicht besser sei, wenn Österreich im Fall eines Atomkriegs unter dem Schutz der NATO stehe. Was offensichtlich suggerieren soll, dass die NATO nur russische Atomraketen abschießen wird, die auf ein NATO-Land zielen: Österreich als Atomwüste, während die umliegenden Staaten dank NATO-Schutz von Einschlägen verschont bleiben.
Das Grundproblem der NATO ist ein Mangel ein Feinden:
– Bis zum Zerfall des Warschauer Pakts war der Feind klar zu identifizieren. Danach wurde es schwierig.
– Zwischenzeitlich taugte der „War on Terror“ als gemeinsames Ziel. Leider kann man nur Länder bekämpfen und nicht Methoden der Auseinandersetzung, wie „Terror“. Daher wurde der „Worontära“ keine Erfolgsgeschichte.
– Inzwischen taugt Russland wieder als gemeinsamer Feind. Sehr zur Freude der Rüstungsindustrie.
– Trotzdem bleibt die Frage, ob die (bald 32) NATO-Staaten jedes Jahr über eine Billion Dollar ins Militär investieren müssen, um ein einziges Land in Schach zu halten, dass gerade in der Ukraine vorführt, wie wenig Schlagkraft seine konventionellen Truppen haben.
– … und ein chinesischer Angriff auf NATO-Gebiet ist (zumindest Stand heute) geographisch etwas schwierig.
– Es sei denn, man definiert die NATO zum Angriffsbündnis um.