Russland-Politik: Ungarn strafen, Polen schonen?
Die EU-Kommission hat sich besorgt über ein neues Gesetz in Polen geäußert. Es richtet sich gegen “russische Einflußnahme”, soll aber offenbar die Opposition knebeln. Doch Strafen sind nicht geplant – anders als in Ungarn.
Das Gesetz hat die regierende PiS-Partei durchgesetzt. Eine neu eingesetzte Kommission soll danach den Zeitraum von 2007 bis 2022 darauf hin untersuchen, welche Personen unter “russischer Einflussnahme” gehandelt haben könnten.
In einem solchen Fall würde die Sicherheitsüberprüfung für die Wahl im Herbst negativ ausfallen, was zum Ausschluss von öffentlichen Ämtern führen würde. Einspruch vor Gericht gegen eine solche Entscheidung wäre nicht möglich.
Regierungskritiker sehen darin den Versuch, Oppositionspolitiker wie den früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk von einer Machtübernahme auszuschließen. Tusk war “zufällig” von 2007 an Regierungschef und danach Ratspräsident der EU.
EU-Justizkommissar Didier Reynders kritisierte die Novelle. “Es ist unmöglich, einem solchen System zuzustimmen“, sagte er. Auch das US-Außenministerium warnte, das Gesetz könne dazu missbraucht werden, in die Wahlen einzugreifen.
Doch Strafen sind bisher keine geplant – im Gegensatz zu Ungarn. Dort diskutiert die EU sogar darüber, dem Land den Ratsvorsitz zu entziehen, der normalerweise im 2. Halbjahr 2024 ansteht. Begründung: Der Rechtsstaat sei in Gefahr.
Deutsche Europaabgeordnete wollen zudem noch mehr EU-Gelder für Ungarn streichen. Auf die Frage, was mit Polen sei, hieß es, die Lage sei auch ernst, aber man müsse erstmal die Wahlen abwarten.
Ob es vielleicht daran liegt, dass Polen stramm auf Kriegskurs gegen Russland ist, während Ungarn als Quertreiber gilt, wenn nicht sogar als Sicherheitsrisiko?
Mehr zu Polen hier
P.S. Die EU-Kommission verschärft den Ton: “The European Commission is currently analysing this new law and will not hesitate to take immediate action as necessary“, erklärte sie heute – sogar auf polnisch! Mal schauen, ob auch Action folgt…
Thomas Damrau
31. Mai 2023 @ 09:38
“… aber man müsse erstmal die Wahlen abwarten …” entwickelt sich zum Running Gag:
– Schon in Ungarn war die EU hyper-optimistisch, dass die “vereinigte Opposition” Orban aus dem Amt kegeln könne. Wurde nix draus.
– Die Wahlen in der Türkei brachten auch nicht das Ergebnis, dass die Kommission sich gewünscht hatte.
Warum sollte nun ausgerechnet in Polen ein Regierungswechsel stattfinden – vor allem weil Tusk in der Vergangenheit als hardcore Wirtschaftsliberaler in Polen nicht unbedingt populär war …
Sei’s drum.
Ansonsten schlittert die EU schleichend ins Kriegsrecht – und zwar nicht nur in Polen. Auch auf EU-Ebene maßt sich die Kommission immer Rechte an, die sie auf dem Papier nicht hat – mit der Begründung “Ausnahmezustand”.
Und natürlich nicht zu vergessen der Meinungsdruck, der auf anders Denkende ausgeübt wird: “Wer unsere Maßnahmen kritisiert, ist ein Agent Moskaus.” So werden Aufrüstung, Waffenlieferungen, Blankoschecks für Kiew, Atomkraft, LNG-Gas, verschleppter Umweltschutz, Sozialabbau, … zur nicht zu hinterfragenden Staatsräson. Obwohl die EU gar kein Staat ist.
Kleopatra
31. Mai 2023 @ 11:17
@Thomas Damrau: Das Wahlrecht in Polen ist im wesentlichen proportional, in Ungarn wird der Großteil der Parlamentssitze in Einpersonenwahlkreisen in einem Wahlgang verteilt. Damit ist schon technisch in Ungarn die Möglichkeit, die Regierung in einer Wahl zu besiegen, geringer. (Möglich ist es trotzdem, Orbán hat aus der Opposition die Regierung abgelöst; allerdings mit einem noch etwas weniger mehrheitslastigen Wahlsystem). In Polen ist zudem die Mehrheit der Regierung bei weitem nicht so erdrückend. Aber ein hypothetischer Versuch, aus Brüssel den Wählern Ratschläge zu geben, dürfte in die Hosen gehen.
KK
31. Mai 2023 @ 02:01
@ Arthur Dent:
„Demokratie wird nicht für das geschätzt, was sie ist, sondern für das, was sie für die Massen zu erreichen verspricht….Wo wird das noch gelebt und gewährleistet?“
Interessant dazu eine am gestrigen Dienstag Abend auf ARTE ausgestrahlte Reportage zur Entwicklung der Polizeigewalt auf Demonstrationen in den letzten 50 Jahren und einer seit etwa 25 Jahren stattfindenden Militarisierung der Polizeieinsätze. Offensichtlich mit der Intention, Demonstrationen zwar nicht komplett zu verhindern, sie aber weitgehend „bequem“ zu halten, und zwar durch massive Einschüchterung mit dem Ziel der Verdrängung aus dem Fokus der Öffentlichkeit und dabei Hervorhebung einzelner – oft provozierter – Gewaltausbrüche gegen eben diese „Ordnungskräfte“.
Gut dokumentiert an Beispielen aus Frankreich, Deutschland und den USA – also drei der sich als ach so „demokratisch“ gerierenden Vorbilder für die Welt, die anderen ihre „Werte“ notfalls auch mit Waffengewalt aufzwingen wollen.
Ist sicher noch in der Mediathek und durchaus sehenswert.
Arthur Dent
30. Mai 2023 @ 23:53
Ein Gespenst geht um in Europa – nein, nicht der Kommunismus – sondern der Geist von McCarthy.
Die Bürger driften immer weiter nach rechts – hm, mittlerweile ist “Demokratie” nicht mehr als ein “leerer Signifikant” mit viel Popularität, aber ohne Substanz – Demokratie ist der Altar, vor dem der Westen betet. Demokratie wird nicht für das geschätzt, was sie ist, sondern für das, was sie für die Massen zu erreichen verspricht. Der Begriff der Demokratie hat zwei Versprechen: das prozedurale Versprechen der gleichen und effektiven Teilhabe am politischen Prozess sowie das substanzielle Versprechen einer Angleichung der sozialen Lebensverhältnisse. Wo wird das noch gelebt und gewährleistet?
Mittlerweile haben sich Länder der EU, insbesondere Deutschland, sich bis zur Selbstaufgabe den Interessen anderer verschrieben.
Die meisten Menschen möchten einfach nur ihr kleines, unbedeutendes und langweiliges Leben in dem von ihnen und von ihren Vorfahren erarbeiteten bescheidenen Wohlstand leben und nicht als reine Verfügungsmasse der zur Zeit regierenden Politiker dienen. Mag sein, sie fallen dabei wieder auf die falschen Versprechen selbsternannter Weltbeglücker herein.
KK
30. Mai 2023 @ 18:25
@ ebo:
“Eher wird Ungarn rausgeworfen als dass die EU sich auflöst.”
Ist zwar im Lissabon-Vertrag nicht vorgesehen – aber da ist so vieles nicht vorgesehen oder sogar ausdrücklich untersagt, was jetzt doch gemacht wird. Selbst bei niedrigen Papierpreisen sind diese Verträge das Papier nicht mehr wert, wo sie draufstehen.
Und für eine andere, sinnvollere Verwendung ist es wohl nicht weich genug…
Hekla
30. Mai 2023 @ 18:08
Dieser EU kann ich nur noch wünschen, Ungarn wirklich rauszuschmeissen (da bin ich schon sehr gespannt, mit welchem rechtstaatlichen Verfahren das überhaupt möglich wäre) – und dafür die Ukraine sofort aufzunehmen. Wenn die EU superkorrupte, Opposition und Minderheiten unterdrückende, politisch auf der ganzen Linie gescheiterte Staaten mit einem ausgewachsenen Ultranationalistenproblem als “ wertverwandt“ sieht, dann passt Ungarn wirklich nicht in diese EU, denn diese Kriterien erfüllt es nicht mal ansatzweise.
Die Ungarn, die selbst während des Kalten Kriegs gewohnt waren, dass die russische Besatzungsmacht ihnen viele Freiheiten gewährt hat, wundern sich im Übrigen nicht wenig, weshalb ihr Land als nunmehr souveräner Staat weniger frei sein sollte, innere Angelegenheiten nach den eigenen Vorstellungen zu regeln. Es gibt inzwischen gar nicht so wenige Stimmen in der Durchschnittsbevölkerung, die meinen, eine derartige Diskriminierung Ungarns wie durch die EU hat man nicht einmal durch die Russen erfahren. (Dann braucht man sich aber auch nicht zu wundern, wenn die ungarische Bevölkerung wenig Neigung zeigt, die hirnlosen Sanktionen gegen Russland und die ebenso hirnlosen Waffenlieferungen an die Ukraine zu unterstützen).
european
30. Mai 2023 @ 16:43
Ich kann das alles nicht mehr ernst nehmen und warte nur noch darauf, dass diese EU sich aufloest und wir als europaeische Buerger einen Neustart ohne diese Mischpoke wagen. Ulrike Guerots Vortrag von gestern hat mir wieder Hoffnung gegegeben. Gute Ideen gibt es und auch faehige Leute, die das anpacken. Frexit, Italexit, Oeexit, Dexit, Espexit uvm. – ich bin mit allem einverstanden. Meinen Nick werde ich nicht aendern, denn ich bleibe auch ohne DIESE EU eine begeisterte Europaeerin mit einer europaeischen Familie. 🙂
ebo
30. Mai 2023 @ 16:46
Eher wird Ungarn rausgeworfen als dass die EU sich auflöst. Auf die Bürger würde ich auch nicht setzen – sie driften immer weiter nach rechts, nun auch in Spanien…
european
30. Mai 2023 @ 16:59
Das darf ernsthaft niemanden mehr wundern, dass die Buerger immer weiter nach rechts abdriften. Die Politik treibt sie dorthin und die Rechten brauchen nicht mal etwas zu tun. Sie muessen nur noch einsammeln.
Die grosse Masse jedoch, so zumindest mein Eindruck, findet sich eher bei den Nichtwaehlern wieder.
KK
30. Mai 2023 @ 16:22
“Auf die Frage, was mit Polen sei, hieß es, die Lage sei auch ernst, aber man müsse erstmal die Wahlen abwarten… ”
Lasst das Kind ruhig in den Brunnen fallen… danach schauen wir dann, wie – bzw. ob – wir es wieder dort raus bekommen.
Ich sags eigentlich nicht gern, aber der Eiserne Vorhang hatte nicht nur Nachteile, wenn man sich manche Entwicklung ansieht, die das Heben desselben hier zur Folge hatte – und wohl auch noch weiter haben wird.