Backlash beim Klima
In Brüssel wird der Ruf nach einer „Pause“ beim Umwelt- und Klimaschutz lauter. Knapp ein Jahr vor der Europawahl im Juni 2024 versuchen immer mehr EU-Politiker, sich mit Warnungen vor „überbordender Bürokratie“ und „Überforderung der Industrie“ zu profilieren.
Den Auftakt machte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. “Was Regelungen angeht, sind wir vor den Amerikanern, den Chinesen und allen anderen Weltmächten”, kritisierte der rechtsliberale Präsident. Die EU dürfe nicht noch mehr Gesetze auf den Weg bringen, warnte Macron.
Ganz ähnlich klingt es neuerdings in Belgien. “Wir müssen verhindern, dass der Wagen überladen wird”, warnte Premier Alexander De Croo. Konkret sprach er sich gegen höhere Auflagen für die Landwirtschaft und die Industrie aus.
Sogar im Europaparlament rumort es. Dort stellt sich die konservative Fraktion der Europäischen Volkspartei quer. Sie wirft EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) vor, zu viel ans Klima und zu wenig an die Indus-trie zu denken. In der letzten Woche kam es zum Eklat.
Bei den Beratungen über das so genannte Naturschutzpaket, bei dem es um die Pestizidverordnung und um ein EU-Gesetz zur Renaturierung geht, gerieten sich EU-Klimakommissar Frans Timmermans und der CDU-Politiker Norbert Lins in die Haare. Die Landwirte seien überfordert, so Lins.
Timmermans hielt dagegen, dass die Überschwemmungen in Italien zeigten, wie dringend nötig der Umwelt- und Klimaschutz sei. Die EU dürfe keine Zeit verlieren; eine Gesetzgebungs-Pause könne sich Europa nicht leisten. Doch es half alles nichts: Zwei Ausschüsse stimmten am Ende gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur.
Streit um Atomkraft
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Einen Rückschlag gab es auch bei den Erneuerbaren Energien. Auf Drängen Frankreichs und einiger osteuropäischer Staaten hat das Europaparlament einen Beschluss zu neuen Ausbau-Zielen für Erneuerbare auf Juni verschoben. Frankreich fordert, die Atomkraft stärker anzurechnen – schließlich sei sie ja klimafreundlich.
Bahnt sich da eine schwarz-gelbe Allianz gegen neue Umwelt- und Klimagesetze an? Macron und De Croo gehören beide der liberalen Parteienfamilie „Renew“ an; im Europaparlament könnten sie mit der EVP gemeinsame Sache machen. Oder geht es vor allem gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen?
Die CDU-Politikerin hatte den „Green Deal“ nach ihrem Wechsel nach Brüssel 2019 in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt. Der größten Teil ihrer Umwelt- und Klimagesetze, die Europa bis 2050 klimaneutral machen sollen, wurde bereits verabschiedet. Einige wichtige Teile wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz fehlen aber noch.
“Die fossile Allianz ist zurück”
Nun könnten sie in den Sog des beginnenden Europawahl-Kampfs geraten, fürchten die Grünen. „Die fossile Allianz ist zurück“, warnt der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss. Sie reiche von Macron bis zur extremen Rechten und sei wahltaktisch motiviert. „Man versucht, mit populistischen Parolen gegen von der Leyen zu punkten“, so Bloss.
Ganz anders sieht das Peter Liese, der umweltpolitische Sprecher der EVP-Fraktion. Der CDU-Politiker spricht von einer „Zeitenwende im Umweltausschuss“, nachdem auch dort ein Vorschlag der EU-Kommission gescheitert worden war. Die Vorlage zu Industrie-Emissionen wurde „in allen relevanten Punkten substanziell abgeschwächt“, so Liese.
Dies sei jedoch kein Versuch, den Klimaschutz auszuhebeln – im Gegenteil: Es gehe darum, die „Dekarbonisierung der Industrie“ weiter voranzutreiben und dafür andere, weniger wichtige Ziele zurückzustellen. Vor allem die Menschen auf dem Land seien überfordert, so Liese. Die Grünen hätten beim Umweltschutz überzogen…
Helmut Höft
31. Mai 2023 @ 20:34
Passend zum Thema, 2,5 h die sich rundum lohnen!
So isses richtig. (sry)
Thomas Damrau
31. Mai 2023 @ 20:07
Auch in der Diskussion um Umweltschutz wird der Kontrast beliebig hochgezogen, bis zum Schluss nur noch Schwarz oder Weiß übrig bleibt:
– Schwarz: möglichst so weiter wie bisher
– Weiß: nie mehr Fleisch, nie mehr Fliegen, Auto abschaffen, keinen Kunststoff verwenden
Dabei können wir einfach mit der Frage „Muss das wirklich sein?“ anfangen:
– Muss der Urlaub in immer exotischeren Orten verbracht werden oder gibt es nicht auch in der Nähe (Europa/Nordafrika) interessante Urlaubsorte?
– Brauchen wir wirklich einen 2,5-Tonner mit 10 Liter auf 100 km Verbrauch, um die Aktentasche zur Arbeit zu fahren – oder genügt nicht auch ein Kleinwagen?
– Sind die Kinder wirklich so durch den PKW-Verkehr gefährdet, dass wir sie ständig zu ihrem Schutz im PKW durch die Gegend fahren müssen?
– Muss man immer mit dem Auto ins Zentrum der Großstadt fahren oder kann man nicht auch das Auto an der Peripherie parken und mit dem (in der Regel gut ausgebauten) öffentlichen Verkehr ins Zentrum fahren?
– Ist der Thrill von Tempo 200 km/h wirklich so groß, dass wir dafür Unmengen von Energie verbraten müssen?
– Muss täglich Fleisch (das vom Stall in der Massentierhaltung bis zum Kühlregal beim Discounter schon 100e von km zurückgelegt hat) auf den Tische kommen?
– Muss man alle zwei Jahre sein Smartphone gegen ein Neues austauschen?
– Muss man seinen Mittags-Imbiss immer aus dem Kühlregal des Supermarkts in praktischer Plastikverpackung beziehen?
– …
Es scheint fast Gottes-lästerlich, solche Fragen zu stellen.
Und in diesem Zusammenhang muss ich auch Ulrike Herrmann recht geben: Unser Gesellschaft lechzt nach immer mehr Schnick & Schnack, ohne sich zu fragen, wo wir wirklich in den letzten Jahrzehnten unsere Lebensqualität verbessert haben. Größer – Schneller – Weiter ist inzwischen zum Selbstzweck geworden, während die Unzufriedenheit vieler mit vielem zunimmt.