Ukraine: Friedensprozess am Ende?
Nach heftigem Säbelrasseln um die Krim hat Russlands Präsident Putin den nationalen Sicherheitsrat einberufen. Es sei “sinnlos”, die Friedensgespräche fortzusetzen, sagt er. Ist Minsk am Ende?
Für Kanzlerin Merkel wäre das ein schwerer Rückschlag, schließlich hat sie Minsk mit angestoßen. Auch für die EU wäre es eine Schlappe – sie will mit ihren Russland-Sanktionen nachhelfen.
Doch die Sanktionen wirken nicht, im Gegenteil: Nun führen erstmal die Hardliner auf beiden Seiten das Wort. Putin wirft der Ukraine “Terror” auf der Krim und einen versuchten Einmarsch vor.
Demgegenüber behauptet der ukrainische Präsident Poroschenko, Putin suche nur einen Vorwand für eine neue Aggression. Von Merkel und den anderen Vermittlern hört man (noch) nichts…
OXIgen
12. August 2016 @ 12:59
Die Russland-Sanktionen sind von den USA gegen den Willen der meisten EU-Länder und gegen jede Vernunft durchgesetzt worden, wobei unsere amerikanische Kanzlerin total begeistert vorpreschte und sich nicht einmal von ihrem wichtigsten Klientel, den Wirtschaftsbossen, bremsen ließ. Konnte sie doch endlich mal ihren pathologischen Russlandhass ganz offen austoben (das muss echt was persönliches sein).
Da die US-Politik in der Hauptsache von einer brandgefährlichen Mischung aus absurdem Größenwahn und bodenloser Dummheit angetrieben wird (exemplarisch hierzu: Obamas Rede in Westpoint), kann man sich leicht ausrechnen, warum ausgerechnet jetzt in der Ukraine wieder provoziert und gezündelt wird. Ganz einfach, weil sich der Sultan vom Bospurus plötzlich gegen die USA auflehnt und sich lieber mit Russland verbandeln will. Das geht ja gar nicht, vor allem wenn es um Pipelines, Ölgeschäfte und nebenbei auch noch um Syrien geht. Interdependenz, sage ich nur. Und zwar von der übelsten Sorte.
An Sie, Nemschak, noch ein Wort: Sie sollten heilfroh sein, wenn Ihre Gewaltfantasien (Russland schwächen oder gar platt machen, in Griechenland einreiten und mal gründlich aufräumen, usw. usw.) nicht wahr werden. Denn wenn Ihre irren Freunde in Washington auf den falschen Knopf drücken, ist es auch in Austria mit dem beschaulichen Rentnerdasein vorbei.
Ach ja, an dem – jedenfalls bei uns – arg beschissenen Wetter kann natürlich auch nur Putin schuld sein. Wer sonst?
Peter Nemschak
12. August 2016 @ 14:20
Gewalt ist leider keine bloße Phantasie von mir sondern tägliche Realität, gerade auch in den Internationalen Beziehungen. Es geht um Macht und ihre Durchsetzung. Im Unterschied zu ihrem (un)heiligen Zorn versuche ich das komplexe Geschehen etwas distanzierter und nüchterner zu betrachten und zu verstehen; nicht wie es sein soll, sondern wie es ist.
Peter Nemschak
12. August 2016 @ 07:59
@ebo Dass der Wechsel der Ukraine von der russischen in die westliche Einflusssphäre nicht problemlos verlaufen würde, war zu vermuten. Es ist aber kein Argument gegen den Wechsel. Manchmal erfolgen solche Wechsel in der Geschichte mit Gewalt. Die Welt ist voll davon. Es scheint, Putin möchte als Preis für eine Lösung die Anerkenntnis der Annexion der Krim erhalten. Aus seiner Sicht verständlich. Dass sich der Westen ziert, auch verständlich.
kaush
11. August 2016 @ 18:39
“Nach Angriff der Ukraine: Russland auf Krim in Alarmbereitschaft”
Veröffentlicht: 11.08.16 17:34 Uhr
“Bei einem Angriff von Ukrainern auf der Krim wurden am Donnerstag zwei russische Soldaten getötet. Russland hat seine Truppen auf der Halbinsel in Alarmbereitschaft versetzt. ”
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/08/11/grenze-zur-krim-konfrontation-zwischen-ukraine-und-russland-spitzt-sich-zu/
Für Herrn Nemschak aus der FAZ (seiner zeit im Feuilleton versteckt):
“Hat Russland die Krim annektiert? Nein. Waren das Referendum auf der Krim und deren Abspaltung von der Ukraine völkerrechtswidrig? Nein. Waren sie also rechtens? Nein; sie verstießen gegen die ukrainische Verfassung (aber das ist keine Frage des Völkerrechts). Hätte aber Russland wegen dieser Verfassungswidrigkeit den Beitritt der Krim nicht ablehnen müssen? Nein; die ukrainische Verfassung bindet Russland nicht. War dessen Handeln also völkerrechtsgemäß? Nein; jedenfalls seine militärische Präsenz auf der Krim außerhalb seiner Pachtgebiete dort war völkerrechtswidrig. Folgt daraus nicht, dass die von dieser Militärpräsenz erst möglich gemachte Abspaltung der Krim null und nichtig war und somit deren nachfolgender Beitritt zu Russland doch nichts anderes als eine maskierte Annexion? Nein…
…Was auf der Krim stattgefunden hat, war etwas anderes: eine Sezession, die Erklärung der staatlichen Unabhängigkeit, bestätigt von einem Referendum, das die Abspaltung von der Ukraine billigte. Ihm folgte der Antrag auf Beitritt zur Russischen Föderation, den Moskau annahm. Sezession, Referendum und Beitritt schließen eine Annexion aus, und zwar selbst dann, wenn alle drei völkerrechtswidrig gewesen sein sollten…
…Wenn nicht alle Zeichen trügen, ist der Westen soeben dabei, sich für eine verfehlte Außenpolitik die Quittung einer welthistorischen Blamage zuzuziehen. Er sollte deren Kollateralschäden nicht allzu weit in die Sphäre des Völkerrechts ausdehnen.”
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-krim-und-das-voelkerrecht-kuehle-ironie-der-geschichte-12884464.html
Skyjumper
11. August 2016 @ 20:47
“Referendum und Beitritt schließen eine Annexion aus, und zwar selbst dann, wenn alle drei völkerrechtswidrig gewesen sein sollten…”
Wenn!!! man davon ausgeht, dass es bei dem Referendum mit rechten Dingen im Sinne von, gleich, frei und geheim zugegangen ist. Das Referendum ist nämlich letztlich der statische Schlußstein im Bogenwerk der Sezessionsbefürworter. Wenn der Rausbricht, kracht das ganze Argumentationsgebäude in sich zusammen.
Trotzdem eine sehr schöner Artikel der mir wieder einmal deutlich macht, dass wir weder das eine (Sezession), noch das andere (Annektion) als absolute Wahrheit annehmen dürfen. Dafür waren wir (hier in DE) viel zu weit ab vom Schuß. Und ich gehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus dass sowohl die Russen als auch die Amerikaner, wie auch beider Vasallen, uns die Hucke vollügen.
Peter Nemschak
11. August 2016 @ 17:45
@ebo die realistische Theorie der Internationalen Beziehungen ist zu Beginn des Kalten Kriegs entstanden und wurde in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt. Ich behaupte keineswegs, dass sie alles erklärt, aber das Phänomen Macht und der aggressive Wettbewerb von nationalen und internationalen Akteuren um sie sind seit eh und je unleugbare Tatsache, ungeachtet aller Interdependenzen und des Hinzukommens neuer nicht-staatlicher Akteure. Der Kampf um die Hegemonie im Mittleren Osten (Türkei, Iran, Saudiarabien) und in Ostasien (China, Japan, USA) sind deutliche Hinweise dafür. Putin weiß das besser als all jene, welche von einer friedvollen Welt träumen. Das bedeutet nicht, dass es keinen Außenhandel in Zukunft mit Russland geben wird. Aggression und Kooperation schließen einander in dieser Welt nicht aus. Sie bestehen nebeneinander.
ebo
11. August 2016 @ 17:58
@Nemschak Stimmt, aber die realistische Theorie war schon zu meiner Studienzeit veraltet. Von der Interdependenz ist man heute zu einem vernetzten Ansatz gekommen, übrigens sogar in der Sicherheitspolitik, selbst im Fall Russlands…
Peter Nemschak
11. August 2016 @ 18:33
Das eine schließt das andere nicht aus: Interdependenz als Mittel zur Dominanz. Wir leben nicht in einer machtfreien Welt. Es geht um herrschen und beherrscht werden. Daran hat sich seit der Antike allen emanzipatorischen Bemühungen zum Trotz nichts geändert. Auch wenn es jenen, die sich eine bessere Welt wünschen, nicht gefällt, wir müssen es als soziale Konstante zur Kenntnis nehmen. Im übrigen ist die realistische Theorie nicht veraltet sondern existiert neben anderen Erklärungsversuchen der Internationalen Beziehungen weiter.
Skyjumper
11. August 2016 @ 18:31
@ebo
Die realistische Theorie in den Schrank zu den Dinoknochen zu packen ist zwar bei uns in den westlichen Staaten bereits seit 2 Jahrzehnten ein gern genommener Betrachtungsansatz. Doch er bleibt das was er immer schon war: Humanistisches Wunschdenken auf der fehlerhaften Annahme “der Mensch ist gut”. Die Gleichgewichtstheorie ihrerseits ist lediglich eine Facette der realistischen Theorie. Denn letztlich geht es den Staaten immer darum opportunistisch Vorteile aus dem zwischenstaatlichen Agieren zu ziehen. Solange das am besten mit einer scheinbaren wechselseitigen Abhängigkeit und Handel funktioniert, ist es vorteilhaft für beide sich an die Spielregeln der Inderdependenz zu halten. Sowie eine der Seiten das Prinzip jedoch aufgibt erstrahlt an dessen Stelle sofort wieder das Gleichgewicht der Mächte. Im Gegensatz zur Machtpolitik des Gleichgewichts ist die Politik der Interdependenz nämlich nur eine Abwägungsfrage von Vor- und Nachteilen und keine Existenzfrage.
Und derzeit ist das Interdependenzprinzip ausser Kraft gesetzt, das sollte unstrittig sein. Je nach Sichtweise hat es entweder Russland (Krim-Sezession/Annektion) aufgekündigt, oder der Westen mit seiner Sanktionspolitik (ggf. könnte man schon früher ansetzen und die Westeinmischung in die ukrainische Politik) anführen.
ebo
11. August 2016 @ 19:12
@Skyjumper Die “Realisten” à la Kissinger und Brzinski haben die Entspannungspolitik abgelehnt und auch nie verstanden. Heute fordern sie eine Konfrontation mit Russland wg. der Ukraine. Hätten sie “vernetzt” gedacht, wären sie nie auf den Gedanken gekommen, dass der Wechsel der Ukraine aus dem russischen in die westliche Einflusssphäre problemlos vonstatten gehen könnte.
Skyjumper
11. August 2016 @ 20:38
@ebo: Letztlich bestätigen Sie damit meine Aussage. Denn es ist egal WELCHE Seite das Prinzip aufgibt, und aus welchen Gründen. Entscheidend ist, dass im Anschluß sofort wieder die Theorie vom Gleichgewicht der Kräfte in Funktion tritt und man diese Theorie daher eben nicht als überholt einordnen darf. Tatsächlich ist es meiner Meinung nach sogar sehr schwer überhaupt die Abgrenzungen zwischen dem einen und dem anderen vorzunehmen. Denn auch das atomare Gleichgewicht des Schreckens ist auf seine Art eine Interdependenz gewesen:
Man war in dem Sinne in gegenseitiger Abhängigkeit gefangen das keine Seite zuschlagen konnte ohne selbst vernichtet zu werden.
Ob ich übrigens gerade Brzinski und den Dunstkreis des GMF als Realisten einstufen würde? Ich zweifel da ehrlich gesagt, ganz besonders bei Brzinski selbst. Und letztlich kann man Ihre Aussage auch so aufstellen:
Hätte Putin vernetzt gedacht wäre er nie auf den Gedanken gekommen dass die Einverleibung der Krim in die russische Förderation problemlos vonstatten gehen könnte 🙂
Peter Nemschak
11. August 2016 @ 12:59
Russlandsanktionen wirken langfristig, weil sie die technologische Entwicklung des Landes behindern. Putin hat offenbar kein Interesse an einer Befriedung. Warum sollen die EU und die USA nachgeben? Die Besetzung der Krim war und ist völkerrechtlich illegal. Das wird von den Pazifisten gerne vergessen. Zumindest befinden wir uns nicht in einer heißen Phase des Kriegs. Die EU wird daran nicht scheitern, die Türkei an Russland nicht genesen.
ebo
11. August 2016 @ 13:22
@Nemschak Sie folgen dem Mainstream. Erst hieß es, die Sanktionen seien dazu gedacht, Russland zurück an den Verhandlungstisch zu holen. Dann ging es darum, Krieg in Ostukraine zu beenden (Minsk). Nun kommen Sie mit “langfristigen” Sanktionen. Wie lang darf es denn sein? Wo ist der Nutzen, Russlands technolog. Entwicklung zu behindern? Wollen Sie Russland zurück ins 19. Jhdt. befördern, so wie Iran? Wäre ein schwerer Fehler, der ganz Europa schadet!
Peter Nemschak
11. August 2016 @ 14:20
Das internationale Staatengefüge ist durch miteinander im Wettbewerb stehende Machtbeziehungen geprägt. Im Wettbewerb um die relative Macht habe ich nichts gegen ein im Verhältnis zum Westen, insbesondere der EU, schwächeres Russland. Russland ist an einer Schwächung der EU interessiert, um seinen eigenen Einfluss in Europa auszubauen. Die Hoffnung jener, welche den Faktor Macht in den internationalen Beziehungen unterschätzen, teile ich nicht. Sie ist historisch durch nichts begründet.
ebo
11. August 2016 @ 16:02
@Nemschak Die Theorie vom Gleichgewicht der Mächte stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist mittlerweile überholt. Auch die internationale Machtkonkurrenz ist der Theorie der Interdependenz gewichen. hinzu kommt, dass die EU angetreten ist, die Interdependenz zum allgemeinen Vorteil zu nutzen. Dies gilt selbstverständlich auch für Russland. Die seit dem Nato-Gipfel in Warschau verfolgt Politik der “Eindämmung” ist ein Rückfall in den Kalten Krieg – und sie funktioniert nicht, wie wir sehen…
Skyjumper
11. August 2016 @ 18:13
“Russlandsanktionen wirken langfristig, weil sie die technologische Entwicklung des Landes behindern.”
Das stelle ich mal in Abrede. Sie machen m.E.n. (wie viele im Westen) den Fehler zu glauben dass Russland technologisch rückständig sei. In einigen industriellen Wirtschaftszweigen ist das in praktischer Hinsicht auch tatsächlich so. Aber in Sachen Grundlagen-Know-How ist/wäre Russland jederzeit in der Lage auch Hightech eigenständig zu entwickeln und zu produzieren. Um das zu erkennen reicht bereits ein Blick auf die Bereiche Militär- und Raumfahrttechnik.
Nur weil es in der Vergangenheit für die russischen Konzerne bequemer war westliche Technik gegen reichlich vorhandenes Öl zu kaufen heißt das nicht, dass sie es nicht können wenn sie müssen.
Und was die langfristige Wirkung anbelangt: Wenn es nach den Analysen des IWF geht hat Russland die Talsohle der Wirtschaftsentwicklung bereits durchschritten und befindet sich auf dem Weg der Besserung. Angeblich soll das Wirtschaftswachstum in Russland bereits in 2017 wieder größer sein als in der EU. Vielleicht sollte man die Aufhebung der Russland-Sanktionen daher lieber vornehmen solange das aus russischer Sicht noch etwas wert sein könnte.
Wenn und falls der Ölpreis (wovon ich kurzfristig allerdings nicht ausgehe) wieder über die 75,- $ Marke steigt, hat Russland schlagartig keine Probleme mehr durch die Sanktionen. Tatsächlich bin ich überzeugt dass sich die russische Zentralbank und die russische Regierung heimlich die Hände reiben hinsichtlich der Sanktionen. Die Wirkungen sind schlecht für die Bevölkerung, aber prima für den Staatseinfluß gewesen.